Auslieferung auf Verlangen: Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41 – Varian Fry

AutorVarian Fry
Verlag FISCHER Taschenbuch
Erscheinungsdatum 1. August 2009
FormatTaschenbuch
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3596183760

„Ich verließ Amerika, die Taschen vollgestopft mit den Listen der Namen von Männern und Frauen, die ich retten müßte, und den Kopf voller Ideen, wie ich das bewerkstelligen wollte. Es waren mehr als zweihundert Namen, und viele Hundert kamen später dazu.“ (Zitat Seite 11)

Thema und Inhalt

1935 besucht Varian Fry Deutschland und erlebt in Berlin bereits die ersten großen Judenverfolgungen mit. Als daher vergeblich jemand gesucht wird, der die neu gegründete amerikanische Hilfsorganisation Emergency Rescue Committee (ERC) vor Ort leitet, ist es für Varian Fry selbstverständlich, im August 1940 selbst nach Marseille zu reisen. Denn die Zeit drängt und die Gefahr wurde mit dem Waffenstillstandsabkommen vom Juni 1940 zwischen Frankreich und Deutschland besonders für deutsche Emigranten, die auf den Listen der Gestapo standen, täglich größer. Eine Klausel besagt, dass sich die französische Vichy-Regierung verpflichtet, Deutsche auf Verlangen der Gestapo an diese auszuliefern. Auf den Listen stehen die Namen von bekannten jüdischen Intellektuellen, Schriftstellern, bildenden Künstlern, aber auch von Widerstandskämpfern und politischen Flüchtlingen. Aus den geplanten wenigen Wochen werden dreizehn Monate, in denen Fry und sein Team sich immer neuen Situationen und Hindernissen stellen müssen, neue Wege suchen, Länder, die noch bereit waren, Flüchtlinge aufzunehmen, oder zumindest Visa auszustellen. Bald werden auch Fry und das ERC genau beobachtet, bis er im August 1941 unter Zwang nach Amerika zurückkehren muss.

Umsetzung

Chronologisch erzählt der Journalist Varian Fry die Geschichte des Emergency Rescue Committee in Marseille, schildert die Entwicklung von immer neuen kreativen Fluchtwegen, die Probleme mit den Behörden, falsche Hoffnungen, Rückschläge, plötzliche Lichtblicke und erfolgreich durchgeführte Aktionen. Manche Flüchtlinge müssen erst aus französischen Konzentrationslagern befreit werden und immer wieder müssen fehlende Dokumente, Passierscheine, Reisepässe beschafft werden, oder sichere Fälschungen dieser Unterlagen. Doch es geht auch um die Weiterreise, bald gibt es kaum mehr Schiffe und gerade Amerika prüft die politische Gewinnung genau, bevor ein Einreisevisum erteilt wird, stringent bereits bei Mitgliedern von sozialistischen Parteien. Spanien und Portugal dagegen bestehen auf Visa von Übersee-Ländern, aus Sorge, die Flüchtlinge könnten im Land bleiben. Es sind bekannte Namen wie  Lion Feuchtwanger, Heinrich und Golo Mann, Franz Werfel und Max Ernst, deren illegale Flucht aus Frankreich Fry, seine engen Mitarbeiter und heimlichen Helfer ermöglicht haben. Fry schildert unaufgeregt, sachlich, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, dies macht seinen Tatsachenbericht nicht nur von der ersten Seite an extrem packend, sondern auch sehr sympathisch.

Fazit

Ein authentischer, geschichtlich sehr interessanter Bericht, spannend wie ein Thriller und man muss sich selbst beim Lesen in Erinnerung rufen, dass es hier ausschließlich um reale Schicksale, Gefahren und Erlebnisse von Menschen auf der Flucht vor der Ermordung in einem Konzentrationslager handelt. Es sind selbstlose und sehr mutige Menschen, die im ERC unermüdlich und unter Einsatz des eigenen Lebens tätig sind. Ein zeitlos brisantes Buch und eine wichtige Ergänzung zu dem im Februar 2024 erschienenen, ebenfalls großartigen Buch „Marseille 1940“ von Uwe Wittstock.

Das neunte Gemälde – Andreas Storm

AutorAndreas Storm
Verlag KiWi-Paperback
Erscheinungsdatum 18. August 2022
FormatBroschiert
Seiten416
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462003888

„Drei Jahrzehnte war Julies Vater im Dunkel der Familiengeschichte umhergetappt, bevor ihm schließlich ein Mann namens Gilles Dupret den Weg zum Lichtschalter gewiesen hatte.“ (Zitat Pos. 4390)

Inhalt

Dr. Lennard Lomberg, ist Experte für Europäische Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts und ein international tätiger Gutachter. Am 22. April 2016 ist er auf dem Weg nach London, um ein Wertgutachten zu erstellen, als er einen Anruf erhält, in dem es um ein Gemälde geht, das ursprünglich einer jüdischen Familie in Frankreich gehörte, welche 1942 von den Nationalsozialisten enteignet wurde. Am 25. April ist Lomberg wieder zurück in Bonn, doch er hat keine Lust, Duprets Auftrag anzunehmen. Dupret bleibt hartnäckig, deutet einen Zusammenhang mit Lombergs Familie an, kommt aber nicht zum vereinbarten Treffen. Er wird tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden, das Gemälde ist verschwunden. Doch nicht nur Kriminalrätin Sina Röhm, Spezialgebiet Kunstkriminalität, ermittelt, auch Lennard Lomberg beginnt mit intensiven Recherchen, unterstützt von seiner Tochter Julie, welche die umfangreichen Unterlagen  ihres 1995 verstorbenen Großvaters Ernst Lomberg sichtet. Dieser war ab 1942 als Mitglied der deutschen Wehrmacht in Paris für den Kunstsektor eingeteilt. Lomberg sucht nach dem Gemälde, vor allem aber will er aufdecken, was damals wirklich passiert ist, doch sehr einflussreiche Kreise wollen mit allen Mitteln genau dies verhindern.

Thema und Genre

Dieser Kriminalroman ist reine Fiktion, der Autor baut jedoch zeitgeschichtlich dokumentierte Fakten in seine Geschichte ein. Es geht um den internationalen Kunstmarkt,  NS-Raubkunst, die sich heute noch versteckt in Privatbesitz befindet, um den Einfluss  von ehemaligen NS-Mitgliedern bei der Besetzung von einflussreichen Positionen. Wichtige Themen sind Freundschaft und Familie.

Charaktere

Die einzelnen Charaktere sind sehr gut beschrieben, stimmig, und ihre Handlungen sind nachvollziehbar. Auch dort, wo es Überraschungen gibt, bleiben sie glaubhaft und realistisch.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte führt uns, von Deutschland ausgehend, quer durch Europa nach Frankreich, Spanien und in die Schweiz. Sie nimmt ihren Anfang im Sommer 1914, den die befreundeten Künstler Picasso, Braque und Derain im gemeinsamen künstlerischen Austausch verbringen wollten. Ein weiterer Erzählstrang beginnt im besetzten Frankreich 1942/43 und führt weiter bis in das Jahr 1966. Die aktuelle Handlung spielt in einem straffen Zeitrahmen in den Monaten April bis Juni 2016. Die Handlungen werden abwechselnd, jedoch in längeren Abschnitten, erzählt. Gerade dieses von Kapitel zu Kapitel dichter werdende, mit großer Kreativität intelligent gewobene Netz aus Verbindungen, Überraschungen und logischen Konsequenzen ist sehr spannend, interessant und absolut stimmig. Es ist Fiktion, könnte jedoch durchaus tatsächlich so stattgefunden haben.

Fazit

Dieser erste Band einer neuen Serie von Kriminalromanen mit dem Kunstexperten Lennard Lomberg ist ein packendes Lesevergnügen, das begeistert, überzeugt und schon jetzt Vorfreude auf Band 2 macht.