Wo vielleicht das Leben wartet – Gusel Jachina
Autor | Gusel Jachina |
Verlag | Aufbau Verlag |
Erscheinungsdatum | 18. August 2022 |
Format | gebundene Ausgabe |
Seiten | 591 |
Sprache | Deutsch |
Übersetzung | Helmut Ettinger |
ISBN-13 | 978-3351038984 |
„Die Jagd nach Seife, Verpflegung und Kohle für die Lok brachte nichts, doch Dejew hatte das wichtigste Gesetz des Jägers verstanden, Augen und Ohren stets weit offen zu halten.“ (Zitat Pos. 4387)
Inhalt
Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges, der Aufstände und des Bürgerkrieges, verbunden mit Ernteausfällen und politischen Entscheidungen, führen in Russland zu einer katastrophalen Hungersnot, bei der Millionen Menschen sterben. Kinder landen in Kinderheimen und Sammelstellen. Fünfhundert dieser Kinder zwischen zwei und zwölf Jahren soll der Zugführer Dejew von Kasan nach Samarkand bringen, unterstützt von der Kinderkommissarin Belaja. Den Auftrag erhält Dejew am 9. Oktober 1923, doch es gibt keinen Zug, so muss er zuerst eine Lokomotive und Waggons finden. Die Zeit drängt, sollen die Kinder eine Chance haben zu überleben. Die Strecke beträgt mehr als 4.000 Kilometer, die Reise wird mindestens vierzehn Tage dauern und er hat Verpflegung für genau drei, maximal vier Tage bekommen. Doch nicht nur das Essen fehlt, er braucht auch Kleidung, Medikamente für die Kinder, Kohle und Holz für die Lokomotive – es fehlt einfach alles. Doch Dejew, der ehemalige Soldat, der bisher nur Waren transportiert hat, ist fest entschlossen, die Kinder nach Samarkand zu bringen, durch den Bürgerkrieg und unwegsames Gelände, dorthin, wo es genug zu essen geben soll. Seine Ideen und sein persönlicher Einsatz sind waghalsig, kreativ und sehr gefährlich.
Thema und Genre
In diesem Roman mit geschichtlichem Hintergrund geht es um die Hungersnot in Russland in den 1920er Jahren, das Leben der Menschen, vor allem der Kinder. Es geht um zwischenmenschliche Beziehungen, Obrigkeit, Mut, Zusammenhalt, Menschlichkeit und Liebe, aber auch um Bürgerkrieg, Gewalt und Vorurteile und auch um Schuld und Sühne.
Charaktere
Als ehemaliger Soldat ist der junge Dejew von seinen Erinnerungen traumatisiert. Er ist mutig, scheut keine Gefahren, verzweifelt, wütend und zornig, wenn es ihm nicht gelingt, die dringend notwendigen Dinge zu erhalten. Er beugt sich keiner Obrigkeit und seine beinahe Vorurteile bleiben auch dort bestehen, wo er auf Menschlichkeit trifft.
Handlung und Schreibstil
Die Geschichte wird chronologisch erzählt, in sieben großen Kapiteln, die als Überschrift jeweils die Anzahl der Menschen tragen, die im Mittelpunkt stehen, und dazu den betreffenden Teil der Strecke. Im Laufe der Handlung ergänzen Erinnerungen der einzelnen Figuren die aktuellen Ereignisse. Diese Vorgeschichten der Figuren zeigen jeweils die eigene Entwicklung, Vergangenheit, prägende Erlebnisse und erklären ihren Charakter näher, ihre Einstellung und Handlungen in der Hauptgeschichte. So wird Verhalten, über das man sich beim Lesen zuvor manchmal gewundert hat, erklärt und nachvollziehbar. Spannende Situationen wechseln ab mit Schilderungen von politischen Hintergründen, des Umfeldes und der Natur, die dieser Zug auf seiner langen Reise durchquert, sowie der Gedanken und Befindlichkeiten der einzelnen Hauptfiguren. Diese ausführlichen Schilderungen und die sich wiederholenden ähnlichen Beschreibungen des Zustandes der hungernden Kinder führen trotz der erschütternden Eindrücklichkeit zu Längen. Denn die Sprache spart nicht mit allen grausamen Details, um dann wieder extrem gefühlsbetont ins Schwülstige zu wechseln. Hier wäre meiner Meinung nach weniger mehr gewesen.
Fazit
Eine eindringlicher, beklemmender Roman, geschrieben gegen das Vergessen. Eine packende Geschichte, interessante Hauptfiguren und faktische Hintergründe, lebhafte, sprachgewaltige Schilderungen, obwohl ich mir gerade hier manchmal eine leisere Sprache gewünscht hätte, machen dieses Buch lesenswert.