Wasserläufer – Michael Kröchert

AutorMichael Kröchert
VerlagTropen
Datum15. Juli 2023
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3608500165

„An diesem allerersten Abend meiner Reise in den Floß-Sommer spürte ich die unermessliche Tiefe dieses Raumes. Aber noch deutlicher als das fühlte ich mich.“ (Zitat Pos. 126)

Inhalt

Als Alissa, mit der er seit vier Jahren in Berlin in einer festen Beziehung lebt, für ein Semester nach Frankfurt geht, um dort ihre Dissertation in Kunstgeschichte fertig zu schreiben,  nimmt Rio, vierzig Jahre alt, Fotograf und Dokumentarfilmer, eine fünfwöchige Auszeit von seinem aktuellen Job in einer Redaktion. Er hat ein Floß gebaut und will diese Wochen auf dem Soliner See nahe Berlin verbringen, alleine in der Natur, um über sein Leben und seine weiteren Pläne nachzudenken. Doch während er in den Telefonaten mit Alissa weiterhin betont, die Einsamkeit zu suchen, lernt er immer mehr Menschen kennen, Birk und die Ökologiestudentin Johanna, deren Vater eine ökologische Landwirtschaft mit Hofladen betreibt, sowie Jost und seine Frau, die Künstlerin Magda, die auf einer mit allem Komfort und Luxus umgebauten großen holländische Tjalk ebenfalls den Sommer auf dem See verbringen wollen. Als ihm der Trubel auf dem See zu groß wird, flüchtet er in eine versteckte Bucht auf dem kleineren Fernower See. Dort denkt er weiter über seine Pläne nach, denn sein Erfolg als Dokumentarfilmer ist acht Jahre her, er will mit Alissa zusammen sein, wünscht sich ein Kind von ihr, doch die Realität erzählt eine völlig andere Geschichte, er weiß nur noch nicht, welche.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine Art Road-Trip, doch statt auf Highways in der Ferne spielt er auf dem Wasser, im Seengebiet rund um Berlin. Im Zentrum steht ein Mann in der Mitte seines Lebens, der in der Einsamkeit der Natur herausfinden will, wer er ist und was er noch von seinem Leben erwartet. Es geht um Pläne, die ohne Entscheidungen Pläne und Träume bleiben, und es geht um Beziehungen. Auch sozialkritische Themen kurz nach Corona spielen eine Rolle, sowie Politik und Umwelt.

Charactere

Rio ist mit seinem aktuellen Bildschirmjob nicht glücklich, seine Erfolge liegen lange Zeit zurück. Er sucht die Einsamkeit, doch bald braucht er den Alkohol, um diese Einsamkeit zu ertragen, in der ihm die Realität immer öfter zu entgleiten droht. Es sind die männlichen Protagonisten, die diese Handlung dominieren, in der Frauen zwar für manche Ereignisse wichtige, aber doch nur Nebenrollen einnehmen.

Erzählform und Sprache

Rio selbst schildert als personaler Ich-Erzähler seine Geschichte, meistens chronologisch, ergänzt durch Erinnerungen, manchmal aber wechselt er spontan die Zeitabläufe zwischen Ereignissen und Situationen. Seine Gedanken schreibt er als Haikus nieder. „Haikus waren ein wenig wie Wasserläufer – sie waren unwahrscheinlich und autonom.“ (Zitat Pos. 1971) Dominiert wird die Handlung von seinen inneren Monologen, welche die Realität teilweise ins Surreale kippen lassen. Sprachlich beeindruckend sind die Schilderungen der Natur, die jedoch in einem gekonnt gewählten Verhältnis zum Text eingesetzt werden: „Ein Rest grelles, sattes Gold-Orange wurde von einem leuchtenden Blau zugleich sanft und unerbittlich hinter den Horizont gedrückt, bevor das Schwarz kam, um alles zu dominieren. Mit diesem Verlust der Farben kam eine geradezu unbegreifliche Stille.“ (Zitat Pos. 646).

Fazit

In einer Genre-Zuordnung ist von Urlaubs- und Wohlfühlroman die Rede, doch beides ist diese Geschichte meiner Meinung nach nicht, denn was als interessante,  positive Sinnsuche in der Natur beginnt, wird rasch zu einem negativen Sog für die Hauptfigur Rio, auf Grund seiner Unentschlossenheit und seiner inneren Weigerung, endlich Entscheidungen zu treffen. Die zusätzliche Spannung im Handlungsbogen, die durch einen Anschlag in der Nähe aufgebaut werden soll, wirkt auf mich wie ein Fremdkörper in der Handlung, zu konstruiert und somit entbehrlich. Die vielseitigen menschlichen Themen und Aspekte dieser Geschichte waren für mich das wirklich Spannende.

Quatre-Bras – Michael Kanofsky

AutorMichael Kanofsky
Verlag Verlag duotincta GbR
Erscheinungsdatum 7. Juli 2022
FormatBroschiert
Seiten221
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3946086710

„Bringen Sie erst das zu Ende, was Sie begonnen haben, bleiben Sie dabei, und nur dabei, vor allem dann, wenn Sie glauben, zwischen den Worten und Sätzen festzustecken und nicht weiterzukommen und sich fragen, welchen Sinn es hat, Tag und Nacht in die Schreibmaschine zu hacken.“ (Zitat Seite 17)

Inhalt

Es war in diesem besonderen Sommer, als der Ich-Erzähler, wir kennen seinen Namen nicht, damals noch Student der Literaturwissenschaften in München, seine Sommersemesterferien in Paris verbrachte. Schreibend, schon damals mit dem brennenden Wunsch, Schriftsteller zu werden. In einer Buchhandlung erkennt er plötzlich sein großes Vorbild, den Schriftsteller Julio Cortazár und sie kommen ins Gespräch. Dies ist der Beginn einer jahrelangen Freundschaft. Angeregt durch die Gespräche mit dem erfahrenen Schriftsteller wächst im Ich-Erzähler die Idee, eine literarische Biografie über seinen ehemaligen Schulfreund, den erfolgreichen deutsch-brasilianischen Milliardär Antonio-Luiz Kleber zu schreiben.

Thema und Genre

Dieser Roman, der zweite Teil der Packeis-Trilogie, ist fiktiv, obwohl einige der handelnden Figuren real sind. Auch die Schilderungen aus dem Leben eines Schriftstellers, den täglichen Schreibprozess und die Tage, eingeschlossen zwischen Bergen von unbeschriebenen weißen Seiten, daher auch der Titel „Im Packeis“, zeigt einen deutlichen Bezug zum realen Leben des Autors.

Charaktere

Es sind sehr unterschiedliche Hauptfiguren, denen wir in diesem Roman begegnen. Den namenlosen Schriftsteller verbindet eine Jugendfreundschaft und Erinnerungen an diese unbeschwerte Zeit mit dem äußerst erfolgreichen Geschäftsmann Antonio-Luiz Kleber und andererseits eine Freundschaft mit dem berühmten, älteren Schriftsteller, der auch sein Mentor ist. Mir war Julio Cortázar bisher überhaupt kein Begriff, doch nun wurde ich neugierig auf sein Werk.

Handlung und Schreibstil

Quatre-Bras, ein Ort, wo sich vier Wege in vier unterschiedliche Richtungen kreuzen und die Entscheidungen getroffen werden, welcher Richtung man folgen wird. Wer den ersten Teil der Trilogie kennt weiß, dass man bei Michael Kanofsky keine einfache, chronologisch fortlaufende Handlung erwarten sollte. Auch diesmal entführt uns der Autor in Städte wie Berlin, München, Brüssel, Paris, in die Bretagne und zurück, dann sogar in die schillernde Weltstadt Rio de Janeiro. So folgen wir dem herrlich schrägen namenlosen Ich-Erzähler auf seinen Gedankenspaziergängen zurück in die Vergangenheit und sehen ihm an seinem aktuellen Schreibplatz in Berlin über die Schulter. Wie es nach dem Abitur, als sich ihre Wege trennten, mit seinem Freund Antonio-Luiz weiterging, erzählt ihm dieser während des Treffens in Rio. Dazwischen die phantastischen Ideenflüge und Gedankensprünge des Ich-Erzählers, die für Schmunzeln und Überraschungen sorgen, ebenso wie die lebhafte Sprache, die ebenfalls zwischen vielen Ausdrucksvarianten wechselt. „Wichtig ist, wie du erzählst. Du bist ein Maler: deine Leinwand ist das leere Blatt Papier vor dir. Du schafft eine Welt, die vorher nicht da war.“ (Zitat Seite 157)

Fazit

Eine ungewöhnliche Geschichte zwischen Coming-of-Age, Road-Trip, Literatur und Schreiballtag. Auch dieser zweite Teil der Packeis-Trilogie ist Lesevergnügen und macht schon jetzt Vorfreude auf den dritten Teil.

Das perfekte Grau – Salih Jamal

AutorSalih Jamal
Verlag Septime Verlag
Erscheinungsdatum 18. Januar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3991200017

„Wir waren Ausreißer mit nichts in der Tasche als Sehnsucht. Gefangen in der Gewissheit, dass alles Bleiben sinnlos und vor sich selbst wegzulaufen unmöglich ist. Aber das wusste ich damals noch nicht.“ (Zitat Seite 19)

Inhalt

Sie treffen einander in einem etwas abgewohnten Hotel in einem vor Jahren sehr bekannten, jetzt beinahe vergessenen Seebad. Ante, genannt Dante, arbeitet hier als  Hausdiener, Haustechniker, Mann für alles, Mimi ist für Küche und Service zuständig, Rofu ist der Hilfskoch und Novelle ist eines der Saison-Zimmermädchen. Was sie eint, ist ihre Flucht vor der Vergangenheit, der eigenen, keiner gemeinsamen. Dante liest viel, ist in der Enge eines Dorfes aufgewachsen, seinen Träumen gefolgt, und findet den Namen Dante für sein bisheriges Leben passend: Inferno, Misserfolg und Pleiten. Mimi ist Engländerin, würde aber auch nach Paris passen, versteckt ihre roten Haare unter einer Doris-Day-Perücke und hat sich mit einem Fischgericht aus ihrer Ehe befreit. Novelle ist erst zwanzig Jahre alt, hat ein Talent für schlechte Anfänge, ist impulsiv, liebt Mangas und auch den Alkohol. Rofu, Schwarz, groß, kräftig, fröhlich und trotzdem zurückhaltend, ist nach einer abenteuerlichen Flucht im Schlauchboot in der Nähe von Lampedusa gerettet worden. Es scheint ein gelassener, ruhiger Sommer zu werden, doch dann taucht die Polizei auf, Mimi muss fort und Dante, Rofu und Novelle gehen mit ihr. Eine abenteuerliche, manchmal beinahe magische Reise beginnt. Als Novelle verschwindet, beschließen  Dante, Rofu und Mimi weiter nach Alt-Ötting zu reisen, dem Heimatort von Novelle.

Thema und Genre

In dieser Geschichte eines Sommers der Veränderungen geht es um Zusammenhalt und Freundschaft, um die Facetten von Flucht, um Suche und den Traum, anzukommen.

Charaktere

„Du bist ein Leuchtfeuer, das sich selbst sucht und dabei verbrennt. Du hattest immer die Wahl, doch du vermeidest sie. Das ist der Unterschied.“ (Zitat Seite 157) Mimi über Dante. „Flucht ist wie Fallen. Ein nicht enden wollendes Stürzen in ein schwarzes Loch. Du brichst auf, willst zu den Sternen, aber du verschwindest im unendlichen Nichts.“ (Zitat Seite 36) Rofu. Mimi ist unnahbar, manchmal sogar abweisend, aber einfühlsam, während Novelle mit ihren unterschiedlichen Stimmungen sich nie einordnen lässt.

Handlung und Schreibstil

Dante schildert als Ich-Erzähler die Ereignisse dieser spannenden, abenteuerlichen Reise voller Überraschungen, und von den liebenswerten und weniger liebenswerten Menschen, die den Weg der vier Hauptfiguren kreuzen. Gespräche über die jeweilige persönliche Vergangenheit ergänzen die aktuelle Handlung mit weiteren Details und Informationen. Der Autor scheut auch ernste, aktuelle sozial- und gesellschaftskritische Themen nicht, die er offen anspricht. Philosophische Gedanken des Ich-Erzählers und entsprechende Diskussionen vor allem mit Rofu und Mimi ergänzen ebenfalls die Geschichte dieser Reise, unterbrechen manchmal den Handlungsbogen. Da der Ich-Erzähler Dante ein sechsunddreißigjähriger Alt-Hippie mit dem entsprechenden Lebensgefühl ist, kommt auch der Humor in einigen sehr lustigen, skurrilen Szenen nicht zu kurz.

Fazit

Eine Geschichte mit vielen Zwischentönen. Es ist eine Sommerreise mit brisanten Themen, umhüllt von Poesie und beinahe magischen Momenten, auf der wir vier sympathischen Figuren auf der Suche nach einem Platz zum Ankommen im eigenen Leben folgen.

Reise mit zwei Unbekannten – Zoe Brisby

AutorZoe Brisby
Verlag Eichborn Verlag
Erscheinungsdatum 26. März 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten416
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMonika Buchgeister
ISBN-13978-3847900566

„Sie hinterließ ihm die Erinnerungen an diese zwei Tage. Das war nicht viel, aber er konnte sich ihrer bedienen, wie man sich eines Schmuckkästchens bedient.“ (Zitat Seite 360)

Inhalt

Alex ist fünfundzwanzig Jahre alt, unsicher, schüchtern und unglücklich verliebt. Er muss raus aus dem Alltag und beschließt, durch Frankreich nach Brüssel zu fahren. Aus finanziellen Gründen sucht er über eine Mitfahrzentrale eine weitere Person. Als er in seinem alten Renault Twingo Max „Hobbies: Technik, Whisky, Tour de France“ abholt, rechnet er mit einem jungen Mann. Doch es erwartet ihn Maxine, violette Haare, exzentrisch und über neunzig Jahre alt. Sie hat erste Anzeichen für Alzheimer an sich entdeckt und und will in Brüssel ihr Leben selbstbestimmt geordnet beenden. Doch zuvor will sie diese Reise richtig genießen, Spaß haben und plötzlich können beide wieder lachen.

Thema und Genre

Dieser Roman ist ein charmantes Roadmovie. Es geht um Verständnis zwischen den Generationen, Lebenserfahrung, Mut und vor allem um die Freude am Leben mit allen Höhen und Tiefen.

Charaktere

Das denkt Maxine über Alex: „Was diesem jungen Mann fehlte, war Vertrauen. Zunächst einmal Selbstvertrauen, aber darüber hinaus auch Vertrauen zu anderen, Vertrauen in das Leben, Vertrauen in die Zukunft.“ (Zitat Seite 38)

Das denkt Alex über Maxine: „Einerseits sah sie aus wie eine freundliche und harmlose alte Dame, andererseits bekam sie offenbar alles was sie wollte, und brachte ihr Gegenüber mühelos dazu, das Gegenteil von dem zu tun, was er eigentlich vorgehabt hätte.“ (Zitat Seite 39)

Handlung und Schreibstil

Die Handlung umfasst nur wenige Tage. Sie beginnt mit den beiden Einträgen in das Formular der Mitfahrzentrale und schildert chronologisch den Verlauf der Reise von Alex und Maxine. Details aus dem Leben der beiden erfahren wir durch die Episoden, die sie einander erzählen. In den einzelnen Kapiteln steht jeweils Alex oder Maxine im Mittelpunkt der personalen Erzählform, was Abwechslung und Vielfalt in den Text bringt. Es sind witzige und skurrile Situationen, die sie auf dieser Reise erleben, manche abenteuerlich und oft überraschend. Spannung erhält die Geschichte durch die Frage, ob und wie diese gemeinsame Reise die beiden Hauptfiguren verändern wird. Für mich wäre die Handlung damit perfekt gewesen, doch die Autorin bringt ein weiteres Detail als Spannungsmoment in die Handlung, die dadurch etwas ins Unglaubhafte, Konstruierte abgleitet.

Fazit

Liebenswerte Charaktere, Humor und Lebensfreude ergeben einen unterhaltsamen Roadmovie-Roman.