schrift für blinde riesen: Gedichte – Lutz Seiler

AutorLutz Seiler
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 16. August 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten112
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3518430002

„ein leben, das heißt  einhunderttausend träume (circa) & zwanzig / millionen wimpernschläge.“ (aus „drüben stehen die robinien“, Seite 36)

Inhalt

Zu Beginn dieses Gedichtbandes stellt der Autor fest: „daumen & zeigefinger / kommen zusammen, die / schreibhand entsteht. zehntausend jahre / vor dem aufrechten gang.“ (aus „morgenrot & knochenaufgänge“, Seite 7). Es folgen dreiundsechzig Gedichte in sieben übergeordneten Kapiteln.

Themen und Sprache

Der Autor führt uns in seinen Gedichten zurück in die Kindheit, in vergangene Tage und die damit verbundenen Erinnerungen und Gefühle, die in Verlust und Abschied münden und sich mit der Gegenwart verbinden. Oft geht es auch um die Natur, als Begleitung und Ergänzung der Szene zu einem einprägsamen Bild. Doch gerade, wenn man sich lesend zwischen den Kiefern der Wälder und an der Küste des Meeres gedanklich niederlassen will, durchbricht er die gerade entstehende Wohlfühlzone und rüttelt aus auf, mit Umbrüchen, völlig neuen Bildern, lässt uns an seiner Suche und Gedanken teilhaben, gibt aber immer auch Raum für unsere eigenen Überlegungen, für das Nachdenken und Innehalten.

Ich habe Lutz Seiler durch seinen Roman „Kruso“ entdeckt, wo er mich auch sprachlich sofort beeindruckt und begeistert hat. Da gibt es eine Stelle, wo ein Satz über dreizehn Buchzeilen reicht und dieser ist weder geschachtelt, noch wirkt er konstruiert, erzählend verliert er in keinem einzigen Wort die Aussage oder den Sinn. Diese Sprache begeistert auch in den vorliegenden Gedichten, prägnant verdichtet, präzise und einprägsam in der Sprachmelodie, manchmal hart und trotzdem immer leise und poetisch zeichnet sie auch in der lyrischen Kürze Bilder und ganze Geschichten in unsere Gedanken.

Fazit

Im inneren Klappentext schreibt Lutz Seiler über Gedichte: „Jedes gute Gedicht kann der gestische Kern eines Romans sein und die Verbindung herstellen zum Ursprung des Genres: zum Epos und seinem Gesang.“  Besser kann man die hier vorliegenden Gedichte gar nicht beschreiben. Es lohnt sich, beim Gedanken an Lyrik nicht innerlich die Nase zu rümpfen oder den Kopf zu schütteln, man sollte neugierig bleiben, sich die Zeit nehmen und sich auf dieses besondere Leseerlebnis einlassen.

Alles außer Lyrik: Gedichte – Christian Futscher

AutorChristian Futscher
Verlag Czernin
Erscheinungsdatum 29. August 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3707606478

„Manchmal gelingt mir / ein Gedicht / nach dem ich denke, / jetzt könnte ich sterben (Gedicht Glücksmomente, Seite 93)

Inhalt

Der Titel dieses neuen Gedichtbandes von Christian Futscher wird gleichsam zur Inhaltsangabe, wenn man die fehlenden zwei Worte dieser Aussage von Andreas Okopenko wenige Seiten später in der Widmung liest. Denn natürlich ist es Lyrik, die 153 Seiten dieses Buches füllt. Es sind Gedichte, über die man beim Lesen laut lacht und mehrmals noch nachkichert, so skurril sind die Schlussfolgerungen, die als letzter Satz die vorhergehenden Zeilen bestätigen, völlig umdrehen oder auf den ersten Blick einen Gedankenfetzen ohne Zusammenhang nachstellen. Dann kommt der zweite Blick und damit die Tiefe und das Nachdenken.

Themen und Sprache

Es gibt nichts im tägliche Leben, zu dem dieser Autor nicht einige Zeilen findet, große Probleme, wie die Lage Europas und kleine, wie eine Packung Tee, die aus dem Küchenkastel fällt, es geht um Liebe, Natur, die Alltagssorgen der Menschen. Zu einigen Themen gibt es mehrere Gedichte, die den vorhergehenden Gedanken aufnehmen, weiterführen, oder plötzlich ein völlig neues Bild schaffen. Manche Gedanken, wie die Liebe zum Bauchnabel und die Zitrone, die zuhört und so den Psychologen ersetzt, tauchen im Laufe des Buches immer wieder auf.

Die Sprache spielt mit uns, malt Bilder, schickt uns nach lachendem Kopfschütteln plötzlich in ernste, nachdenkliche Tiefe, um eine Seite weiter wieder fröhlich zu zwinkern und die nächsten Zeilen wie mit leichter Feder aufs Paper zu werfen.

Über Schwalben / will ich auch einmal / etwas Hübsches schreiben. / Aber nicht jetzt. (Gedicht Schwalben, Seite 112)

Fazit

Lyrik, die mich begeistert und die ich auch Leser*innen empfehle, die bei Lyrik an Schulgedichte, streng gereimt, denken und daher nie wieder welche lesen wollen. Diese hier lohnen sich, zum Reinlesen, nochmals Lesen, immer wieder neu Entdecken, versprochen.