Die Welt von Gestern: Erinnerungen eines Europäers – Stefan Zweig

AutorStefan Zweig
VerlagFISCHER Taschenbuch
Datum1. April 1085
AusgabeTaschenbuch
Seiten512
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3596211524

„Nie habe ich unsere alte Erde mehr geliebt, als in diesen letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, nie mehr auf Europas Einigung gehofft, nie mehr an seine Zukunft geglaubt als in dieser Zeit, da wir meinten, eine neue Morgenröte zu erblicken. Aber es war in Wahrheit schon der Feuerschein des nahenden Weltbrands.“ (Zitat Seite 223)

Inhalt

Dieses Buch entstand in den Jahren 1939 bis 1941, als Stefan Zweig bereits im Exil lebte, und es erschien erst nach seinem Tod, 1942 im Bermann-Fischer Verlag in Stockholm. Stefan Zweig erinnert sich an seine Kindheit, Jugend, die Zeit als Student in der Sicherheit eines bürgerlichen Elternhauses in der pulsierenden Weltstadt Wien, damals ein kulturelles Zentrum Europas. Sein weiteres Leben ist geprägt von den Umbrüchen durch den ersten Weltkrieg und die Zeit danach. Schon früh erkennt er die drohende Gefahr durch die Nationalsozialisten für ganz Europa, während die deutschen Intellektuellen Adolf Hitler noch als Bierstubenagitator belächeln.

Thema und Genre

Stefan Zweigs Erinnerungen an die Welt von gestern sind eine ausdrucksvolle, literarische Zeitreise des österreichischen Schriftstellers, der gleichzeitig ein überzeugter Europäer und Weltbürger ist. Dieses Buch ist mehr als ein autobiografisches Werk, es ist ein beeindruckendes, bis heute lebendiges Zeitbild einer Generation.

Erzählform und Sprache

Im Mittelpunkt dieser Erinnerungen stehen nicht die persönlichen Ereignisse im Leben von Stefan Zweig, diese bilden nur den Rahmen, oder auch den roten Faden. Genau genommen ist dieses Buch die Biografie Österreichs, Wiens, Europas vom Ende des 19. Jahrhunderts an bis zum Jahr 1939. Erzählt in der bekannt treffenden, klaren Sprache des Schriftstellers, entfaltet sich vor uns Lesern keine weitere historische Abhandlung, kein Sachbuch oder Geschichtswerk, sondern hier beschreibt jemand, der diese Zeit mit allen Sinnen selbst erlebt hat, mit allen begeisternden Höhen und die tiefsten Tiefen. Seine aufmerksamen Beobachtungen, seine Eindrücke, die lebhafte Schilderung des kulturellen, des gesellschaftlichen Lebens, aber auch der politischen Strömungen und des Alltagslebens der unterschiedlichen Bevölkerungsschichten, verbindet Stefan Zweig mit seinen eigenen Gedankenströmen, Überlegungen und Gefühlen, mit Freude, Hoffnung und tiefer Verzweiflung. „Nein, am Tage, da ich meinen Paß verlor, entdeckte ich mit achtundfünzig Jahren, daß man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde.“ (Zitat Seite 466)

Fazit

Dieses Buch des österreichischen Schriftstellers, der in seiner Zeit einer der bekanntesten, meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller war, holt diese für Europa prägende Zeit, die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, in die heutige Zeit. Es hilft uns Lesern, die Zusammenhänge besser zu verstehen und ist zeitlos aktuell und ebenso zeitlos lesenswert.

Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41 – Lisa Fittko

AutorLisa Fittko
Verlag dtv Verlagsgesellschaft
Erscheinungsdatum 1. Oktober 2004
FormatTaschenbuch
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3423621892

„Doch hätte keiner von uns überleben können ohne die Hilfe von Franzosen in jedem Winkel des Landes – Franzosen, deren Menschlichkeit ihnen den Mut gab, diese verbliebenen Fremden aufzunehmen, zu verstecken, zu ernähren.“ (Zitat Seite 108)

Thema und Inhalt

Ihren späteren Ehemann, den Journalisten Hans Fittko, lernt Lisa bereits in Prag kennen, wohin die junge jüdische Widerstandskämpferin 1933 geflohen ist. 1939/1940 werden sie in Frankreich getrennt in Internierungslager gesperrt, sie können entkommen. Auf vielen Umwegen erreichen sie Marseille, ein wichtiger Schritt, um Frankreich schnellstmöglich verlassen zu können. Sie haben die benötigten Papiere, doch es fehlt ihnen, wie vielen anderen Flüchtlingen, das französische Ausreisevisum, das nur in Vichy ausgestellt wird, welches jedoch unter deutscher Kontrolle steht. Daher kommt nur ein illegaler Grenzübertritt in Frage, von Banyuls-sur-Meraus über die Pyrenäen nach Spanien. Walter Benjamin ist der erste von vielen Menschen, den sie über diesen Weg führen. Gerade als sie selbst aufbrechen wollen, tritt Varian Fry vom Emergency Rescue Committee an sie heran. Er benötigt eine erfahrene Anlaufstelle vor Ort. Sie überlegen nur kurz, riskieren es, bleiben, und aus der Route Lister wird die F-Route, Rettung für Tausende von Menschen.

Umsetzung

Unaufgeregt, ohne ihren immer gefährlichen, unermüdlichen Einsatz (oft gehen sie und Hans den Weg drei Mal pro Woche) zu glorifizieren, schildert Lisa Fittko die Ereignisse dieser Zeit. Sie beginnt mir einer kurzen Vorgeschichte, ihre Jugendzeit in Wien und Berlin, dann Prag. Es folgt der Sommer 1940 im berüchtigten Lager Gurs, immer unter der Gefahr, an die Deutschen ausgeliefert zu werden. Die Zeit in Banyuls-sur-Mer 1940/1941 wird in Tagebucheinträgen vom 12. Oktober 1940 bis zum 26. März 1940 geschildert. Daran schließt die endgültige Reise nach Kuba im Herbst 1941 an und eine kurze Zusammenfassung der darauffolgenden vierzig Jahre. Am Buchende findet sich eine Zeittafel, je ein Artikel über die Internierungspraxis in Frankreich, das Emergency Rescue Committee, ein Namensregister mit kurzen Lebensläufen und ein Verzeichnis der französischen Bezeichnungen und Redewendungen.

Die Sprache von Lisa Fittko ist persönlich, lebhaft und interessant. Sie schildert detailgenau und präzise, wie sie die F-Route immer wieder anpassen müssen, neue Möglichkeiten suchen, ein Netzwerk aufbauen, erzählt von hilfsbereiten Menschen auf beiden Seiten der Pyrenäen, aber auch von dem Gegenteil davon. Es ist immer spannend und für alle Beteiligten lebensgefährlich, manche Ereignisse sind besonders problematisch, andere skurril-komisch und hier zeigt sich Lisa Fittkos Humor.

Fazit

Dieses Buch ist eine Mischung aus autobiografischen Erinnerungen und Tagebuch, und ist gleichzeitig ein authentischer Tatsachenbericht dieser Zeit. Es sind zeitlos aktuelle Ereignisse, die hier erzählt werden und die durchgehend packende Spannung lässt zeitweise beinahe vergessen, dass es sich hier um die lebensbedrohliche Realität in einer furchtbaren Zeit handelt. Das vorliegende Buch ist auch eine empfehlenswerte, wichtige Ergänzung zu dem im Februar 2024 erschienenen, ebenso empfehlenswerten Buch „Marseille 1940“ von Uwe Wittstock.

Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist – Gert Loschütz

AutorGert Loschütz
Verlag Schöffling & Co.
Erscheinungsdatum 1. Februar 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3895611582

„Ich habe dir erzählt, daß es das erste Hotel war, in dem ich übernachtet habe, und daß vielleicht alle anderen, die unzähligen, die ihm später gefolgt sind, nur dem einen Zweck gedient haben, dieses erste ungeschehen zu machen, wie auch die Reisen, ja, mein Beruf diesem einen Zweck gedient haben mochten, die erste Reise über die Grenze durch unendliche Wiederholung auszulöschen.“ (Zitat Seite 66)

Inhalt

Karsten Leiser ist zehn Jahre alt, als er an diesem Tag im Mai buchstäblich über Nacht aus seinem gewohnten Umfeld und Landschaft seiner Kindheit gerissen wird. Der Zorn darüber, nicht gefragt worden zu sein, von seinen Eltern nicht auf die geplante Flucht aus der DDR vorbereitet worden zu sein, hindert ihn daran, in Wildenburg im Westen anzukommen. Er wird Reisejournalist, rastlos, getrieben, doch jedes Jahr an genau diesem Tag kommen die Erinnerungen an damals zurück, immer wieder holt ihn die Vergangenheit ein und löst ihn aus seiner Gegenwart, in der er nie wirklich ankommt.

Thema und Genre

Als dieser Roman 1990 zum ersten Mal erschienen ist, trug er den Titel „Flucht“. Es geht um dieses Gefühl des „Entwurzelt-Werdens“, das Unverständnis und die Wut eines Menschen, der plötzlich die vertraute Heimatstadt, seine Freunde und damit seinen Lebensmittelpunkt und seine Wurzeln verliert, als die Familie in den Westen flieht. Ein wichtiges Thema sind auch die Erinnerungen.

Charaktere

Am Tag der Flucht in den Westen ist Karsten zehn Jahre alt. Inzwischen ist er längst erwachsen, doch es ist ihm nicht gelungen, seine Erinnerungen hinter sich zu lassen und sich mit der Vergangenheit zu versöhnen. Alle Ereignisse in seinem späteren Leben bezieht er auf diesen Tag. „Dieses Rückwärtsgucken, dieses Nichtdrüberwegkommenwollen“ (Zitat Seite 192)

Handlung und Schreibstil

Der Ich-Erzähler, Reisejournalist, schildert Episoden aus seinem Leben, prägende Erinnerungen und Erlebnisse mit unterschiedlichen Handlungsorten. Rastlos schweifen seine Gedanken immer wieder ab, gehen zurück in die Vergangenheit, er erzählt über die Landschaft seiner Kindheit in Plothow, die Stunden der Flucht, dann wieder ein Fragment, ein Erlebnis von einer seiner Reisen viele Jahre später. Auch dabei bleibt er bruchstückhaft, wechselt Ort und dort erlebte Geschichte, um im späteren Verlauf irgendwann den Faden wieder aufzunehmen. Genau genommen sind es viele Fäden und manche bleiben auch am Schluss der Geschichte lose, lassen uns mit Fragen und eigenen Versuchen zurück, das Gelesene zu entwirren und zu deuten. Großartig dagegen ist die Erzählsprache des Autors, er brennt Bilder und Gefühle in unsere Gedanken und kommt mit gut zweihundert Seiten für eine intensive, dichte Geschichte aus, wofür andere sechshundert Seiten brauchen.

Fazit

Dieser Roman ist weniger die Geschichte einer Flucht, sondern vielmehr die Schilderung der nachfolgenden Auswirkungen dieser einen Nacht im Mai, dieser Bahnfahrt aus der DDR in den Westen, auf einen damals zehn Jahre alten Jungen und sein ganzes späteres Leben.

Der Silberfuchs meiner Mutter – Alois Hotschnig

AutorAlois Hotschnig
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungsdatum 9. September 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462002133

„Unsere gemeinsame Welt war aus ihrem Koffer gekommen, aus einem Buch und aus einer Geschichte über eine Mutter und ihren verlorenen Sohn. Diese Welt war von nun an unser Versteck, und eine ganze Welt als Versteck, das war schon nicht nichts.“ (Zitat Pos. 220)

Inhalt

Gerd Hörvold ist Norwegerin, verlobt mit dem deutschen Soldaten Anton Halbleben. Als sie schwanger wird, ist sie in ihrer Heimat nicht mehr sicher, sie ist die Nazi-Hure und muss Norwegen verlassen. Über Oslo und Berlin kommt sie nach Hohenems, wo sich Antons Familie um sie kümmern soll, so lange er noch im Krieg ist. Doch auch die Menschen hier lehnen sie ab, Anton behauptet, das Kind sein von einem unbekannten Russen und verbietet sich jeden Kontakt. Ende 1942 kommt ihr Sohn Heinz zur Welt, es folgen Kinderheim und Pflegefamilie. 1946 findet die Mutter Heinz durch das Rote Kreuz und sie ziehen nach Lustenau, immer wieder gibt es Unterbrüche durch die Epilepsie seiner Mutter. Die Frage, was damals wirklich geschehen ist, lässt Heinz nicht los, immer wieder begibt er sich auf der Suche nach Antworten auf die Frage, wer er wirklich ist, während er im Leben immer wieder ein eine neue Rolle gleitet. Als Kind und Jugendlicher flieht er in die Geschichten, die er selbst erfindet, später auf der Theaterbühne und im Film als Schauspieler.

Thema und Genre

Dieser Roman erzählt die Suche nach der Wahrheit über die eigenen Wurzeln, über die Geschichte seiner Mutter und die Frage, warum sein Vater und dessen Familie seine Mutter und ihn plötzlich ablehnen. Es geht um das Aufwachsen im ländlichen, engen Vorarlberg nach dem Krieg, um Armut und Vorurteile, um das beharrliche Schweigen einer Generation. Diese Geschichte handelt von den vielen möglichen Varianten von Erinnerung und Wahrheit.

Charaktere

Um von den Menschen, die ihn umgeben, Ruhe zu haben, hat Heinz schon früh gelernt, sich selbst als Rolle zu spielen.

Handlung und Schreibstil

Dieser Roman ist der Monolog eines nun alten Ich-Erzählers, seine Erinnerung in Verbindung mit den Erinnerungen anderer, die sie ihm erzählt haben. Es ist die Geschichte seiner Mutter und zugleich die Geschichte seines eigenen Lebens. Dies verbindet sich mit seinen Gedanken, Gefühlen, den Fragen, die er sich immer wieder stellt, warum er von seinem Vater und dessen Familie plötzlich verleugnet wurde. Seine Erfahrungen vernetzt er später mit den Rollen, die er im Theater und im Film spielt. Es sind harte, raue Bedingungen, unter denen er aufwächst und so ist es auch ein harter, rauer Text, in dem die schönen Erinnerungen und glücklichen Momente rasch von der Realität des Alltags überdeckt werden. Daran ändert sich für mich auch nichts, als gegen Ende noch ein Schwenk in eine mögliche, zweite Variante auftaucht, denn dies bleibt ein Fragment, lose Enden, offene Fragen zwischen Schein und Wirklichkeit. Auch die Sprache ist eine direkte und raue Umgangssprache, manchmal ausufernd, langatmig, wenn das erzählende Ich in den eigenen Gedanken und Geschichten versinkt.  

Fazit

Die als Monolog geschilderte Suche nach der Wahrheit im Leben des 1942 geborenen Ich-Erzählers Heinz Fritz und seiner norwegischen Mutter Gerd. Eine tragische, harte Geschichte eines Lebens voller Lücken, die sich von Heinz trotz seiner intensiven Fragen nicht füllen lassen.