Lausanne – Sherzad Hassan

AutorSherzad Hassan
Verlag Klingenberg Verlag
Erscheinungsdatum 24. Juli 2023
FormatTaschenbuch
Seiten66
SpracheDeutsch
ÜbersetzerRawezh Salim
Raphael Urweider
ISBN-13978-3903284210

„Ich weiß, es ist seltsam, aber ich fühlte mich wie ein Land, das in unzählige Teile zerrissen war, genau wie Kurdistan.“ (Zitat Seite 13)

Thema und Inhalt

Die Erzählung Lausanne ist eine Metapher auf das Schicksal des kurdischen Volkes, als ihr Land Kurdistan durch den Vertrag von Lausanne am 24. Juli 1923 in vier Teile aufgeteilt wurde, die an vier unterschiedliche Länder gingen.

Der Kurde Kawa studiert an der Sorbonne und ist geprägt von dem Schmerz, der Melancholie und Trauer über die Spaltung seines Landes. So kann aus einer möglichen Liebesgeschichte mit der Schweizer Studentin Lausanne schon auf Grund ihres Namens nur etwas Bitteres, zutiefst Trauriges und Verstörendes werden.

Die Erzählung wird ergänzt durch ein Interview mit dem Sherzad Hassan, seinen Vortrag „Zu Sprache und Person eines Autors“ und einen Beitrag von Sherko Kirmanj über den Vertrag von Lausanne.

Umsetzung

Die  Erzählung umfasst 26 Seiten und wurde im Jahr 2000 geschrieben. Im daran anschließenden Interview mit dem Autor, welches im Juli 2023 von Raphael Urweiler, Laura Schuler und Paul Klingenberg geführt wurde, erklärt dieser den politischen, aber auch traumatisierenden psychologischen Hintergrund seiner Erzählung und die Bedeutung seiner Figuren.

Daran schließt ein Beitrag von Prof. Sherko Kirmanj „Der Vertrag von Lausanne und das Los der Kurden“ an. Hier erklärt Sherko Kirmanj die weitreichenden Auswirkungen des Vertrages von Lausanne auf die Kurden. Denn hier wurden die im alten Vertrag von Sèvres festgeschriebenen Artikel 62 – 64 gestrichen, welche die Bildung eines eigenständigen, unabhängigen Kurdistan vorsahen und anderen politischen Zielen, vor allem den Interessen Großbritanniens, geopfert.

Den Abschluss dieses Buches bildet ab Seite 45 die Niederschrift eines Vortrags von Sherzad Hassan, gehalten am 18. Juni 1997 auf einer PEN Literaturkonferenz zum Thema „Zu Sprache und Person eines Autors“.

Fazit

„Es geht nicht um Schwarzmalerei, aber ich gehe davon aus, dass uns im Mittleren Osten in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht das denkbar erbärmlichste Schicksal der nächsten Jahrhunderte ereilen wird.“ (Zitat Seite 48) Dieses Zitat stammt aus dem PEN-Vortrag von Sherzad Hassan vom 18. Juni 1997 und die zeitlos gültige Aktualität und neue erschütternde Brisanz seit 2023 sind mit ein Grund, diese ungewöhnliche Erzählung und auch die interessanten, in ihrer Vielseitigkeit das Thema mit weiterem Wissen vertiefenden Anhänge zu lesen.

Fenster ohne Aussicht: Tagebuch aus Tel Aviv – Dror Mishani

AutorDror Mishani
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 24. Juli 2024
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257073089

 „Nichts rechtfertigt das furchtbare Morden am 7. Oktober, aber ich denke, was wir vorher getan haben und auch jetzt noch tun, hilft uns ganz bestimmt nicht, die nächste Katastrophe zu verhindern. Und die Grausamkeit der Hamas am Schwarzen Schabbat rechtfertigt nicht retroaktiv die langen Jahre drakonischer Kontrolle über das Leben der Palästinenser.“ (Zitat Pos. 742)

Thema und Inhalt

Dror Mishani nimmt am 7. Oktober 2023 gerade an einem Krimifestival in Toulouse teil, als seine Ehefrau Martha ihn anruft und ihm die Luftangriffe aus Gaza schildert. Raketen auf Tel Aviv sind nichts Ungewöhnliches, doch diesmal ist es anders und bald ist klar, das ist keiner der üblichen Angriffe, das ist wieder Krieg. Soll Mishani in Frankreich bleiben und Flugtickets für seine Familie besorgen, er überlegt nur kurz, entscheidet sich, nach Israel zurückzukehren. Zu Hause beginnt er, ein Tagebuch zu schreiben, schildert die aktuelle Situation, die Versuche, dennoch den Alltag zu leben. Mishani schreibt über die Gespräche und Diskussionen innerhalb seiner Familie. Einfühlsam, aber teilweise auch ratlos, beschreibt er am Beispiel seiner beiden Kinder, wie Jugendliche versuchen zu vestehen, was gerade passiert und ihre unterschiedliche Art, mit der Situation umzugehen. Er beobachtet, schaut nicht weg, sieht das große Leid auf beiden Seiten. Auch die Spaltung, die durch israelische Gesellschaft geht, ist für ihn ein wichtiges Thema. Gerade von Kulturschaffenden wird erwartet, dass sie nicht nur die Angriffe der Hamas verurteilen, sondern die israelischen Gegenschläge befürworten, eine Meinung, die Dror Mishani nicht teilen kann.

Aus den Berichten über einzelne Schicksale erwachsen in seiner Vorstellung Themen, Figuren und Ideen für neue Artikel und der Stoff für einen neuen Kriminalroman, der während dieses Krieges spielen soll. Er liest, sammelt Artikel, recherchiert. Sein Tagebuch endet mit dem Abgabetermin des Verlages und so ist es eine Geschichte mit einem offenen Ende.

Umsetzung

Das Tagebuch ist in sechs Abschnitte gegliedert, die jeweils mit einer Überschrift und einer Datumsangabe versehen sind. Teil I beginnt am 7.10.2023 und Teil VI endet am 10.03.2024. Die Einträge umfassen neben den jeweiligen Episoden mit persönlichen Erlebnissen auch Gedanken, Notizen und Ausschnitte aus Medienberichten. Am Ende das Buches finden sich ein kurzer Epilog, ein Zitatnachweis und eine kurze Biografie von Dror Mishani.

Fazit

Dror Mishani schreibt authentisch aus dem Alltag in Tel Aviv, der dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 folgt. Er ist ein genauer Beobachter, informiert sich umfassend über das Geschehen auf beiden Seiten und so ist dieses Buch auch ein eindringliches Plädoyer für den Frieden, damit dieses kaum in Worte zu fassende Leid aller Betroffenen ein Ende hat.

Anständige Leute – Leonardo Padura

AutorLeonardo Padura
VerlagUnionsverlag
Datum8. Juli 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten400
SpracheDeutsch
ÜbersetzerPeter Kultzen
ISBN-13978-3293006218

„Die Wege der Literatur und des Lebens neigen dazu, sich auf alle möglichen und unmöglichen Arten zu kreuzen. Und die dabei entstehende Reibung fördert vielfach beunruhigende, manchmal auch augenöffnende Wahrheiten zutage.“ (Zitat Seite 127, 128)

Inhalt

Fast dreißig Jahre ist es nun schon her, dass Mario Conde „El Conde“ den Polizeidienst verlassen hat. In diesem Jahr 2016 stehen zwei einmalige Ereignisse unmittelbar bevor: der amerikanische Präsident Barack Obama besucht Kuba, ein Besuch, der mit großen Hoffnungen verbunden ist. Auch die Rolling Stones setzen ein Zeichen und geben ein kostenloses Open-Air-Konzert in Havanna. Die Stadt vibriert vor Vorfreude und Aufregung. Da wird Reynaldo Quevedo, in den 1970ern einer der meistgefürchteten Politiker und bis meistgehassten Männer, ermordet aufgefunden und Mario Condes ehemaliger Kollege bei der Polizei Manuel „Manolo“ Palacios, braucht seine Hilfe bei den Ermittlungen. Gerade in diesen Tagen müssen die Ermittlungen besonders diskret erfolgen und es werden schnelle Resultate verlangt. Mario Conde sagt zu, obwohl er gerade einen Abendjob angenommen hat und mit eigenen Recherchen beschäftigt ist, die ihn in die Jahre 1909 und 1910 in Havanna zurückführen, zu einem jungen Ermittler, zu Morden im Rotlichtmilieu und zu der schillernden, charismatischen Legende Alberto Yarini Ponce de León.

Thema und Genre

In diesem gesellschaftskritischen, literarischen Kriminalroman geht es um die politische und gesellschaftliche Situation Kubas im Jahr 2016 und mehr als einhundert Jahre zuvor. Themen sind Korruption, Machtmissbrauch, kulturelle Diktatur, die Armut der Bevölkerung, unerfüllte Lebensträume, aber auch Freundschaft, Liebe und Lebensfreude. Die wichtigste Frage aller Figuren damals und heute ist die persönliche Definition des Begriffes Anstand und was es bedeutet, ein anständiges Leben zu führen.

Charaktere

Die Lebenseinstellung von Mario Conde wurde mit den Erfahrungen der Jahre und durch die genaue Beobachtung des Alltagslebens in Kuba nicht optimistischer, im Gegenteil. Kritisch verfolgt er die Vorgänge in seinem Heimatland und er lässt sich von der Euphorie im Vorfeld der beiden Großereignisse nicht überzeugen. „Marío Conde, der eingefleischte Pessimist, verfügte womöglich über ein zu umfangreiches historisches Wissen und war, was manche Dinge anging, so oder so von unheilbarem Misstrauen erfüllt, jedenfalls hatte er das Gefühl, sein Land genieße gerade lediglich eine kurze Verschnaufpause, nach deren Ende sich die Härte wiedereinstellen würde.“ (Zitat Seite 229)

Erzählform und Sprache

Padura erzählt auch in diesem Roman zwei Geschichten, die einander abwechseln. Um die Zuordnung einfach zu gestalten, wählt er für die Abschnitte rund um El Condes Ermittlungen im Jahr 2016, die innerhalb von wenigen Tagen stattfinden, nur die fortlaufende Nummerierung als Überschrift. Die Kapitel mit den Geschehnissen in den Jahren 1909, 1910 tragen Überschriften. Den unterschiedlichen Inhalten folgend, wird der aktuelle Handlungsstrang in der dritten Person geschildert, mit Marío Conde im personalen Mittelpunkt. Die historischen Ereignisse dagegen werden als Aufzeichnungen in der ersten Person erzählt. Es ist Paduras besondere Art zu schreiben, die begeistert, mühelos wechselt er zwischen umgangssprachlichen Dialogen, literarischen Schilderungen und philosophischen Gedankenströmen. Havanna im Ausnahmezustand durch Obamas Besuch – für Padura eine Gelegenheit, dies kritisch zu betrachten und durch die Gedanken und Beobachtungen Condes die Realität in Kuba zu beschreiben.

Fazit

Zwei facettenreiche Geschichten, lose vernetzt, ergeben interessante Einblicke in das Leben in Havanna 1910 und mehr als einhundert Jahre später, im wichtigen Jahr 2016 mit den zwei besonderen Großereignissen. Eine spannende, interessante Mischung aus kritischem Gesellschaftsroman, politischem Roman, historischem Roman und Kriminalroman in einer Sprache, die das Lesen zum Erlebnis macht.

Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41 – Lisa Fittko

AutorLisa Fittko
Verlag dtv Verlagsgesellschaft
Erscheinungsdatum 1. Oktober 2004
FormatTaschenbuch
Seiten336
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3423621892

„Doch hätte keiner von uns überleben können ohne die Hilfe von Franzosen in jedem Winkel des Landes – Franzosen, deren Menschlichkeit ihnen den Mut gab, diese verbliebenen Fremden aufzunehmen, zu verstecken, zu ernähren.“ (Zitat Seite 108)

Thema und Inhalt

Ihren späteren Ehemann, den Journalisten Hans Fittko, lernt Lisa bereits in Prag kennen, wohin die junge jüdische Widerstandskämpferin 1933 geflohen ist. 1939/1940 werden sie in Frankreich getrennt in Internierungslager gesperrt, sie können entkommen. Auf vielen Umwegen erreichen sie Marseille, ein wichtiger Schritt, um Frankreich schnellstmöglich verlassen zu können. Sie haben die benötigten Papiere, doch es fehlt ihnen, wie vielen anderen Flüchtlingen, das französische Ausreisevisum, das nur in Vichy ausgestellt wird, welches jedoch unter deutscher Kontrolle steht. Daher kommt nur ein illegaler Grenzübertritt in Frage, von Banyuls-sur-Meraus über die Pyrenäen nach Spanien. Walter Benjamin ist der erste von vielen Menschen, den sie über diesen Weg führen. Gerade als sie selbst aufbrechen wollen, tritt Varian Fry vom Emergency Rescue Committee an sie heran. Er benötigt eine erfahrene Anlaufstelle vor Ort. Sie überlegen nur kurz, riskieren es, bleiben, und aus der Route Lister wird die F-Route, Rettung für Tausende von Menschen.

Umsetzung

Unaufgeregt, ohne ihren immer gefährlichen, unermüdlichen Einsatz (oft gehen sie und Hans den Weg drei Mal pro Woche) zu glorifizieren, schildert Lisa Fittko die Ereignisse dieser Zeit. Sie beginnt mir einer kurzen Vorgeschichte, ihre Jugendzeit in Wien und Berlin, dann Prag. Es folgt der Sommer 1940 im berüchtigten Lager Gurs, immer unter der Gefahr, an die Deutschen ausgeliefert zu werden. Die Zeit in Banyuls-sur-Mer 1940/1941 wird in Tagebucheinträgen vom 12. Oktober 1940 bis zum 26. März 1940 geschildert. Daran schließt die endgültige Reise nach Kuba im Herbst 1941 an und eine kurze Zusammenfassung der darauffolgenden vierzig Jahre. Am Buchende findet sich eine Zeittafel, je ein Artikel über die Internierungspraxis in Frankreich, das Emergency Rescue Committee, ein Namensregister mit kurzen Lebensläufen und ein Verzeichnis der französischen Bezeichnungen und Redewendungen.

Die Sprache von Lisa Fittko ist persönlich, lebhaft und interessant. Sie schildert detailgenau und präzise, wie sie die F-Route immer wieder anpassen müssen, neue Möglichkeiten suchen, ein Netzwerk aufbauen, erzählt von hilfsbereiten Menschen auf beiden Seiten der Pyrenäen, aber auch von dem Gegenteil davon. Es ist immer spannend und für alle Beteiligten lebensgefährlich, manche Ereignisse sind besonders problematisch, andere skurril-komisch und hier zeigt sich Lisa Fittkos Humor.

Fazit

Dieses Buch ist eine Mischung aus autobiografischen Erinnerungen und Tagebuch, und ist gleichzeitig ein authentischer Tatsachenbericht dieser Zeit. Es sind zeitlos aktuelle Ereignisse, die hier erzählt werden und die durchgehend packende Spannung lässt zeitweise beinahe vergessen, dass es sich hier um die lebensbedrohliche Realität in einer furchtbaren Zeit handelt. Das vorliegende Buch ist auch eine empfehlenswerte, wichtige Ergänzung zu dem im Februar 2024 erschienenen, ebenso empfehlenswerten Buch „Marseille 1940“ von Uwe Wittstock.

Auslieferung auf Verlangen: Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41 – Varian Fry

AutorVarian Fry
Verlag FISCHER Taschenbuch
Erscheinungsdatum 1. August 2009
FormatTaschenbuch
Seiten352
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3596183760

„Ich verließ Amerika, die Taschen vollgestopft mit den Listen der Namen von Männern und Frauen, die ich retten müßte, und den Kopf voller Ideen, wie ich das bewerkstelligen wollte. Es waren mehr als zweihundert Namen, und viele Hundert kamen später dazu.“ (Zitat Seite 11)

Thema und Inhalt

1935 besucht Varian Fry Deutschland und erlebt in Berlin bereits die ersten großen Judenverfolgungen mit. Als daher vergeblich jemand gesucht wird, der die neu gegründete amerikanische Hilfsorganisation Emergency Rescue Committee (ERC) vor Ort leitet, ist es für Varian Fry selbstverständlich, im August 1940 selbst nach Marseille zu reisen. Denn die Zeit drängt und die Gefahr wurde mit dem Waffenstillstandsabkommen vom Juni 1940 zwischen Frankreich und Deutschland besonders für deutsche Emigranten, die auf den Listen der Gestapo standen, täglich größer. Eine Klausel besagt, dass sich die französische Vichy-Regierung verpflichtet, Deutsche auf Verlangen der Gestapo an diese auszuliefern. Auf den Listen stehen die Namen von bekannten jüdischen Intellektuellen, Schriftstellern, bildenden Künstlern, aber auch von Widerstandskämpfern und politischen Flüchtlingen. Aus den geplanten wenigen Wochen werden dreizehn Monate, in denen Fry und sein Team sich immer neuen Situationen und Hindernissen stellen müssen, neue Wege suchen, Länder, die noch bereit waren, Flüchtlinge aufzunehmen, oder zumindest Visa auszustellen. Bald werden auch Fry und das ERC genau beobachtet, bis er im August 1941 unter Zwang nach Amerika zurückkehren muss.

Umsetzung

Chronologisch erzählt der Journalist Varian Fry die Geschichte des Emergency Rescue Committee in Marseille, schildert die Entwicklung von immer neuen kreativen Fluchtwegen, die Probleme mit den Behörden, falsche Hoffnungen, Rückschläge, plötzliche Lichtblicke und erfolgreich durchgeführte Aktionen. Manche Flüchtlinge müssen erst aus französischen Konzentrationslagern befreit werden und immer wieder müssen fehlende Dokumente, Passierscheine, Reisepässe beschafft werden, oder sichere Fälschungen dieser Unterlagen. Doch es geht auch um die Weiterreise, bald gibt es kaum mehr Schiffe und gerade Amerika prüft die politische Gewinnung genau, bevor ein Einreisevisum erteilt wird, stringent bereits bei Mitgliedern von sozialistischen Parteien. Spanien und Portugal dagegen bestehen auf Visa von Übersee-Ländern, aus Sorge, die Flüchtlinge könnten im Land bleiben. Es sind bekannte Namen wie  Lion Feuchtwanger, Heinrich und Golo Mann, Franz Werfel und Max Ernst, deren illegale Flucht aus Frankreich Fry, seine engen Mitarbeiter und heimlichen Helfer ermöglicht haben. Fry schildert unaufgeregt, sachlich, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, dies macht seinen Tatsachenbericht nicht nur von der ersten Seite an extrem packend, sondern auch sehr sympathisch.

Fazit

Ein authentischer, geschichtlich sehr interessanter Bericht, spannend wie ein Thriller und man muss sich selbst beim Lesen in Erinnerung rufen, dass es hier ausschließlich um reale Schicksale, Gefahren und Erlebnisse von Menschen auf der Flucht vor der Ermordung in einem Konzentrationslager handelt. Es sind selbstlose und sehr mutige Menschen, die im ERC unermüdlich und unter Einsatz des eigenen Lebens tätig sind. Ein zeitlos brisantes Buch und eine wichtige Ergänzung zu dem im Februar 2024 erschienenen, ebenfalls großartigen Buch „Marseille 1940“ von Uwe Wittstock.

Kafka: Um sein Leben schreiben – Rüdiger Safranski

AutorRüdiger Safranski
Verlag Carl Hanser Verlag
Erscheinungsdatum 19. Februar 2024
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3446279728

„In diesen Monaten füllte Kafka seine Notizbücher mit Aufzeichnungen, in denen er sich Rechenschaft ablegt und sein Denken erkundet über Gott und die Welt, über die Kunst, über sich selbst und über seinen bisherigen Lebensweg.“ (Zitat Seite 154)

Thema und Inhalt

Immer wieder ist in den Briefen und Tagebucheintragungen von dem hohen Stellenwert zu lesen, den das Schreiben im Leben von Franz Kafka einnahm und dem er alles andere unterordnete. Das Thema dieser besonderen Biografie ist Franz Kafka als Schriftsteller, seine Probleme und Konflikte, seine Suche, die persönlichen Erfahrungen, die ihn geprägt haben und immer wieder neu prägen, schreibend in Texten zu verarbeiten.

Umsetzung

Rüdiger Safranski schildert das Leben von Franz Kafka in dreizehn Kapiteln zwar chronologisch, doch seine Herangehensweise unterscheidet dieses Buch deutlich von den bekannten Biografien. Safranski ergänzt jeden Abschnitt mit zahlreichen Auszügen aus Kafkas Briefen und Tagebüchern. Gleichzeitig verbinden sich die jeweiligen Ereignisse im Leben von Franz Kafka mit den Texten, die in der entsprechenden Zeit entstehen. Vertiefend sucht Rüdiger Safranski die gedanklichen Verbindungen, die wichtigen Themen, die Franz Kafka immer wieder beschäftigen, und begründet, wie und in welchen seiner Texte Kafka seine Zweifel, tiefe Konflikte, die immer wieder präsent sind, Fragen und Eindrücke verarbeitet. So ergibt sich eine Vielzahl von neuen Blickwinkeln für uns Leser, interessante Facetten und Aspekte, unter denen wir Franz Kafkas Werk neu erlesen und erleben können. Was die Sprache von Rüdiger Safranski auszeichnet, ist ihre trotz der komplexen Themen verständliche Lesbarkeit und Leichtigkeit. Auch der umfangreiche Anhang mit den Quellennachweisen zu den einzelnen zitierten Textstellen und dem Literaturverzeichnis ist klar und übersichtlich strukturiert.

Fazit

„Dieses Buch verfolgt eine einzige Spur im Leben Franz Kafkas, es ist die eigentlich naheliegende: Das Schreiben selbst und sein Kampf darum.“ (Zitat Seite 9, Vorbemerkung) Besser als Rüdiger Safranski selbst kann man nicht auf den Punkt bringen, was dieses interessante Buch zu einem beeindruckenden Leseereignis macht.

Transit – Anna Seghers

AutorAnna Seghers
VerlagAufbau Taschenbuch
Datum25. April 2018
AusgabeTaschenbuch
Seiten309
SpracheDeutsch
NachwortSonja Hilzinger
ISBN-13978-3746635019

„Irgendetwas war mir verlorengegangen, so verloren, dass ich nicht einmal mehr genau wusste, was es gewesen war, dass ich es nach und nach nicht einmal mehr richtig vermisste, so gründlich war es verlorengegangen in all dem Durcheinander.“ (Zitat Seite 43)

Inhalt

In diesem Sommer 1940 begegnen sich in Marseille Menschen auf der Flucht vor den Nationalsozialisten, und da sich ihre Wege gleichen, von Konsulaten zu französischen Behörden und umgekehrt, treffen sie einander immer wieder. Gerüchte über Schiffe, die noch auslaufen, führen zu neuen Hoffnungen, und alle, die davon hören, begeben sich sofort auf den Wettlauf um die benötigten Papiere, um einen der begehrten Plätze zu erhalten. In dieser Menschenmenge trifft der deutsche Ich-Erzähler Seidler immer wieder auf eine junge Frau, die verzweifelt nach jemandem zu suchen scheint. Spontan verliebt er sich in diese Frau, folgt ihren Spuren, bis er durch einen Zufall erfährt, dass sie Marie heißt und ihren Ehemann sucht, den Schriftsteller Weidel, für den auf dem mexikanischen Konsulat bereits ein Visum bereitliegt. Was sie nicht ahnt ist, wie nahe sie durch den deutschen Ich-Erzähler ihrem Mann gekommen ist. Seidler schweigt, verfolgt seine eigenen Pläne, hilft Freunden und Bekannten, während er darüber nachdenkt, was er wirklich will.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um die Fluchtwege aus der lebensbedrohlichen Umklammerung durch die Nationalsozialisten in Europa, und die beinahe schon geschlossenen Routen nach Übersee. Transit wörtlich als Durchgang, Übergang, Durchreise und metaphorisch für die Entscheidung zwischen Gehen und Bleiben. „Um das zu sehen worauf es ankommt, muss man bleiben wollen. Unmerklich verhüllen sich alle Städte für die, die sie nur zum Durchziehen brauchen.“ (Zitat Seite 289)

Erzählform und Sprache

„Ich möchte gern einmal alles erzählen, von Anfang an bis zu Ende.“ (Zitat Seite 6) Der Ich-Erzähler lädt einen Unbekannten zu einem Glas Wein ein und beginnt zu erzählen. Seine Geschichte beginnt mit der Flucht aus einem Arbeitslager in Rouen. Ein unfertiges Manuskript des Schriftstellers Weidel und die damit verbundenen Ereignisse verändern den Ich-Erzähler langsam. Je mehr er in das Leben des Schriftstellers eintaucht, desto mehr lernt er, zuzuhören und Verantwortung zu übernehmen. Daher umfasst eine Geschichte auch die Schicksale der Menschen, die immer wieder seinen Weg kreuzen. So ergibt sich quasi ein Augenzeugenroman dieser Zeit, denn Anna Seghers ist eine genaue Beobachterin und der Stoff für diesen Roman entstand aus ihren eigenen Erlebnisse und Erfahrungen.

Fazit

Ein zeitlos lesenswerter und ebenso zeitlos aktueller Roman, ein einfühlsames Zeitdokument, in dessen Mittelpunkt Menschen auf der Flucht stehen. Angst, Hoffnung, Mut, Verzweiflung, Freundschaft, Liebe, persönliche Entscheidungen, dies alles ist in dem einen Wort Transit vereint.

Die ungeheure Welt in meinem Kopf – Hans Platzgumer

AutorHans Platzgumer
VerlagElster & Salis Wien
Datum29. April 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten180
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3950543520

„Ich hoffte, so viele Aufträge wie möglich zu kriegen. Sie sollten mich zurück in der Realität verankern.“ (Zitat Seite 98)

Inhalt

Sascha Konjovic, achtunddreißig Jahre alt, ist Taxifahrer in Wien, Nachtfahrer für Nachtschichten. Das Warten auf Fahrgäste lässt ihm genug Zeit, um Jazz zu hören und in Kafkas Tagebuchaufzeichnungen zu lesen. An diesem Montag, 2. Februar 2015, kommen  gegen 21 Uhr ein älterer Mann mit einem Aktenkoffer und eine deutlich jüngere Frau mit einem Rollkoffer aus dem Westbahnhof und steigen in sein Taxi. Es ist diese Frau, sie heißt Eugenie, wie die Tänzerin in Kafkas Aufzeichnungen, die Sascha nicht mehr aus dem Kopf geht. In seinem Wagen bleiben ein Hauch ihres Parfums zurück und eine lachsfarbene Rose, und er spürt, dass seine Geschichte mit Eugenie noch nicht zu Ende ist.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um unterschiedliche Wahrnehmungen von Wirklichkeit und Scheinwelten, um ein alltägliches Leben, in dem die Grenzen zwischen Realität und Phantasie pendeln, sich vermischen bis zur Auflösung. Die literarische Themenwelt von Franz Kafka in einer modern Version in das heutige Wien transferiert.

Erzählform und Sprache

Schon die Erzählform ist ungewöhnlich, unterstreicht jedoch perfekt diese Geschichte, denn sie ist ausschließlich in der direkten Rede geschrieben, auch alle Ereignisse, die sich zuvor zugetragen haben, werden in Dialogform geschildert. Es ist Sascha, der mit seinen Fahrgästen spricht, aber nicht alle, die sich in Saschas Gedanken drängen und mitreden, leben noch, und dies trifft nicht nur auf Franz Kafka zu. „Irgendwann kannst du nicht mehr entscheiden, wer du bist und wer die anderen sind, wer echt ist, wer nicht.“ (Zitat Seite 8) Die Geschichte selbst umfasst nur zwei Tage und führt uns Leser gekonnt und ganz im Stil von Kafkas Erzählungen mehrmals in die Irre, auch wenn wir bald eigene Vermutungen anstellen, verschwinden auch für uns die Grenzen zwischen der Wirklichkeit und den von Sascha in seinen Gedanken geschaffenen Scheinwelten. Dadurch bleibt die beklemmende Spannung bis zur letzten Seite aufrecht und auch unser Verständnis für die verschrobene, aber sympathische Hauptfigur.

Fazit

Hans Platzgumer gelingt mit diesem Roman eine ungewöhnliche, packende Hommage an Franz Kafka. Ein bizarres, skurriles, verwirrendes, trauriges, beklemmendes, doch gleichzeitig auch positives Leseerlebnis.

Du siehst mich nicht – herausgegeben von Katarina Grgic

HerausgeberinKatarina Grgic
Verlag Frieling-Verlag Berlin
Erscheinungsdatum 21. Juni 2024
FormatTaschenbuch
Seiten232
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3828038042

„Früher oder später macht beinahe jeder von uns diese süß-bittere Erfahrung mit der unerfüllten Liebe.“ (Zitat Seite 5, Vorwort von Katarina Grgić)

Inhalt

Dieser ansprechend gestaltete Lyrikband enthält 222 Gedichte, verfasst von 222 Personen. Die Gedichte sind alphabetisch nach den Namen der Verfasser und Verfasserinnen geordnet, was eine abwechslungsreiche, vielfältige Mischung ergibt.

Themen und Sprache

Dieser Gedichtband ist aus einem Lyrikwettbewerb entstanden und die hier enthaltenen Texte wurden von einer Jury aus einer Fülle von eingesendeten Texten ausgewählt. Vorgegeben war nur das Thema einer nicht erwiderten, heimlichen oder hoffnungslosen Liebe, weitere Einschränkungen gab es nicht. So finden sich in dieser Sammlung Gedichte, in denen sich zumindest die Wortpaare gefunden haben und sich in unterschiedlichen Reimformen vereinen. Andere wieder spielen mit der Sprache, frei fließend malt sie Bilder und Gefühle in unsere Gedanken. Es sind Alltagsgedichte, die sich mit einer Problematik und Situation im Leben auseinandersetzen, die wohl die meisten von uns kennen und die zeigen, sich mit dieser Enttäuschung auseinanderzusetzen, sich schreibend dem Spiel mit der Vielfalt der Sprache zu nähern, Enttäuschungen, Trauer, Frust in Worte zu fassen, ist ein möglicher Schritt, damit umzugehen.

Fazit

Sonett, Haiku, ein englischer Text, Gereimtes und Ungereimtes, sie alle haben hier etwas gemeinsam: sie setzen sich intensiv mit den Facetten der Liebe auseinander und in diesem Fall einer Liebe ohne Happy End.

Die Zeit der Zikaden – Moritz Heger

AutorMoritz Heger
VerlagDiogenes Verlag
Datum26. Juni 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten304
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257072747

„Ihr Tinyhouse, nicht breiter als eine Fahrspur, wird sie nicht beengen, davon ist sie überzeugt. Vielmehr ihren Raum ins nahezu Grenzenlose öffnen.“ (Zitat Pos. 47)

Inhalt

Alex, etwas über sechzig Jahre alt, war sechsunddreißig Jahre lang als Lehrerin tätig, nun geht sie in Pension. Für sie ist es ein neugieriger Aufbruch in eine neue Freiheit. Ein Auto und ein Tinyhouse auf Rädern, nach ihren Wünschen geplant und sorgfältig eingerichtet, damit beginnt ihr Abenteuer. Auf der Hochzeit ihrer Lieblingsschülerin Wibke lernt sie auch deren Schwiegervater Johann kennen. Dieser, bald sechsundfünfzig Jahre alt, übergibt das Familienunternehmen, ein Bestattungsunternehmen, an seinen Sohn. Auch Johann braucht eine Auszeit, er will wieder malen. Das von seinem Onkel Renat geerbte, alte Rustico in Ligurien bietet sich dafür an. Als er Alex dorthin einlädt, nimmt sie die Einladung an und bald steht ihr Tinyhouse im Garten des Rusticos. Gemeinsam erkunden sie die Gegend, lauschen dem Gesang der Zikaden und spüren bald, dass dies mehr ist, als nur ein Besuch.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um das Altern als Chance, mit dem Ende des aktiven Berufslebens aus dem bisherigen Alltag aus- und aufzubrechen. Damit verbunden ist eine persönliche Freiheit, etwas völlig Neues zu tun. Weitere Themen sind Familie, Freundschaft und die wilde Schönheit Liguriens.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird chronologisch erzählt, Erinnerungen und Gespräche ergänzen die Handlung mit vergangenen Ereignissen aus dem Leben der beiden Hauptfiguren Alex und Johann, die im personalen Mittelpunkt stehen. Es sind die kleinen Erlebnisse des Alltags, die in diesem Roman geschildert werden, zwei ältere Menschen auf der Suche danach, wie sie ihr weiteres Leben gestalten wollen. Durch diese Kernthemen dominieren die Gespräche und persönlichen Gedanken die Handlung, die ebenso ruhig fließt, wie die Sprache, in der die Geschichte von Alex und Johann erzählt wird.

Fazit

Ein Roman über das Altern und die Suche nach neuen Möglichkeiten als Ausbruch aus dem Alltagstrott des bisherigen, durch den Beruf geprägten Lebens. Der Handlungsort Ligurien verbreitet südliches Flair und eine Wohlfühlatmosphäre

Über Palästina – Hannah Arendt

AutorHannah Arendt
Verlag Piper Verlag
Herausgeber, NachwortThomas Meyer
Erscheinungsdatum 27. Juni 2024
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMike Hiegemann
ISBN-13978-3492073196

„Im Schatten dieses Konflikts wurde die Betrachtung des Flüchtlingsproblems von einer Reihe irrelevanter Streitpunkte und gewissermaßen ablenkender langfristiger Ziele überlagert, deren Diskussion sich in endlosen Komplikationen und gegenseitigen Schuldzuweisungen verlor.“ (Zitat Pos. 582)

Thema und Inhalt

Die beiden Texte aus den Jahren 1944 und 1958 stehen in einem direkten Zusammenhang mit der Situation in Israel und Palästina in den jeweiligen Jahren. Der erste Text ist ein Essay von Hannah Arendt, „Amerikanische Außenpolitik und Palästina“. Dieser Essay wurde von Thomas Meyer erst jetzt in einem Archiv entdeckt.

Der zweite Text ist ein Bericht mit dem Titel  „Das palästinensische Flüchtlingsproblem“. Dieser umfassende Bericht schildert die Situation der aus Israel vertriebenen und geflüchteten Palästinenser und schlägt Lösungsansätze für deren Rückkehr nach Israel vor. Verfasst wurde dieser zweite Text von einem eigens dafür eingerichteten Gremium zum palästinensischen Flüchtlingsproblem, dem Institute für Mediterranean Affairs. Diesem Gremium aus unterschiedlichen Fachleuten gehörte auch Hannah Arendt an, was Thomas Meyer ebenfalls erst jetzt, während seiner Recherchen, herausgefunden hat.

In beiden Texten geht es um die Situation im Nahen Osten, um Israel, Palästina und die Suche nach einer Lösung. Interessant ist vor allem die Herangehensweise des Expertengremiums, denn der Bericht listet nach einer Einleitung sechs nicht relevante Aspekte auf, die nicht geeignet sind, in dieser emotional extrem kritischen Konfliktsituation diskutiert zu werden. Dies sind vor allem die Fragen nach der Schuld, historischen Ansprüchen und die Frage, wer recht hat. Erst dann folgen die Daten, Statistiken, Fakten, eine kritische Beleuchtung der Problematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln und die Lösungsvorschläge.

Gestaltung

Das Buch beginnt mit einem Vorwort von Thomas Meyer. Es folgt der Essay von Hannah Arendt. Daran schließen Texte und Kurzfassungen einzelner Gremiumsmitglieder an, dann der gesamte Text „Das Palästinensische Flüchtlingsproblem. Ein neuer Ansatz und ein Plan für eine Lösung“, der auch eine Chronologie der Ereignisse zwischen November 1947 und August 1958 enthält. Beide Texte werden durch Fußnoten mit erklärenden Details, vertiefenden Hinweisen und Anmerkungen des Übersetzers ergänzt. Mit von Thomas Meyer verfassten Kurzbiografien der Gremiumsmitglieder und einem ausführlichen Nachwort, ebenfalls von Thomas Meyer, mit ergänzenden Informationen zu Hannah Arendt und zu den beiden Texten, ebenfalls mit Fußnoten und Anmerkungen, endet das Buch.

Fazit

Diese beiden hochinteressanten Texte haben bis heute nichts von ihrer Brisanz und Aktualität verloren. Sie haben die Situation bereits 1944 und 1958 auf den Punkt gebracht und auch die Lösungsvorschläge sind zeitlos. „Doch auch wenn die Publikation vor über 65 Jahren erfolgte, lohnen die Lektüre und die Reflexion über die Ausführungen unbedingt. Es war noch nie klug, das Wissen und die Hoffnungen früherer Generationen zu ignorieren.“ (Zitat Pos. 4048) So formuliert es Thomas Meyer in seinem Nachwort, und besser kann man es nicht formulieren und begründen, warum dieses Buch gelesen werden sollte.

„Marseille 1940: Die große Flucht der Literatur“ – Uwe Wittstock

AutorUwe Wittstock
Verlag C. H. Beck
Erscheinungsdatum 28. Februar 2024
FormatGebundene Ausgabe
Seiten351
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3406814907

„Nun sind sie zwar privilegierte Besitzer amerikanischer Einreisevisa, doch im Grunde ändert das wenig an ihrer prekären Lage, denn die Franzosen erteilen keine Ausreisevisa.“ (Zitat Seite 248)

Thema und Inhalt

Viele Menschen, die seit 1933 aus Deutschland und vor Hitler geflohen sind, fühlen sich in Frankreich sicher. Dies ändert sich dramatisch, als die Deutschen im Juni 1940 Paris erreichen und am 22. Juni 1940 mit Frankreich einen Waffenstillstand schließen, denn nun sind sie wieder im Visier der Gestapo, auf deren Fahndungslisten ihre Namen weit oben zu finden sind: Schriftsteller, Künstler und linke Intellektuelle. Am 25. Juni 1940 wird in New York das Emergency Rescue Commitee gegründet, um die bedrohten Künstler zu retten, die sich teilweise bereits in Internierungslagern befinden. Eine geeignete Person soll in Marseille heimlich ein Büro des ERC aufbauen. Doch dies alles dauert dem Journalisten Varian Fry, einem der Gründer des ERC, zu lang und er übernimmt die Aufgabe in Marseille persönlich, für drei Wochen, denkt er, doch es werden schließlich fünfzehn Monate. Von ihm und seinen Mitstreitern, von abenteuerlichen Fluchtwegen, Künstlerschicksalen zwischen Hoffnung und Resignation, Erfolg und Scheitern, erzählt dieses Buch.

Umsetzung

Kurze Vorgeschichten im Juli 1935 leiten das Hauptthema, die Zeit zwischen Mai 1940 und Oktober 1941, ein. Ein Kapitel, welches die anschließenden und späteren Ereignisse im Leben der Hauptpersonen schildert, ein kurzes Nachwort, eine ausführliche Literaturangabe und ein Personenregister finden sich am Ende des Buches.

Uwe Wittstock erzählt die Ereignisse chronologisch und parallel, die jeweiligen Kapitel tragen Orts- und Datumsangabe, da sie oft gleichzeitig stattfinden. So beleuchtet er auch das politische Geschehen und fügt so erklärende Details und Wissen in die Handlung ein. Diese Handlung, das Kernstück dieses Buches, folgt Heinrich und Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Anna Seghers, Walter Benjamin, Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel, Hannah Arendt, den Malern Marc Chagall und Max Ernst. Die eindringlich und lebhaft geschilderten Einzelepisoden ergeben ein facettenreiches, anschauliches Bild dieser Zeit, der Menschen, ihrer Entscheidungen und Schicksale. Dieses Buch ist aus umfangreichen Recherchen entstanden und schildert Ereignisse, die tatsächlich in dieser Form stattgefunden haben.

Fazit

Dieses Sachbuch, eine Dokumentation und eine sehr spannende Geschichte dieses besonderen Jahres 1940 für Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle, hat mich tief beeindruckt. Geschichte, mit bisher kaum bekannten Details und Informationen zeitlos erlebbar gemacht, eine Leseempfehlung aus Überzeugung.

Das Kreuz des Nordens – Hendrik Falkenberg

AutorHendrik Falkenberg
VerlagEdition M
Datum8. Dezember 2015
AusgabeKindle
Seiten498 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB017BCMC2S

„Denk nicht nur an die offensichtlich Verdächtigen. Dann übersiehst du ganz schnell jemanden.“ (Zitat Seite 442)

Inhalt

Die Ermittlungen konzentrieren sich auf den spektakulären Mord durch Kreuzigung, dass auch eine Frauenleiche gefunden wurde, geht da im öffentlichen Interesse unter. In diesem zweiten Fall für den jungen Sportler und Kriminalpolizisten Hannes Niehaus finden sich rasch Verdächtige und Motive in zwei rivalisierenden Glaubensgemeinschaften. Doch irgend etwas passt für Hannes Niehaus nicht ins Gesamtbild dieses komplexen Falles.

Thema und Genre

In diesem zweiten Teil der Ostsee-Krimi-Serie mit dem Ermittler Hannes Niehaus geht es um religiöse Überzeugungen, Glaube und Fanatismus. Obwohl vom Verlag als Ostsee-Krimi eingestuft, gehört diese Serie für mich ins Genre Thriller.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird in zwei parallelen Handlungssträngen geschildert. Wir folgen chronologisch den Ermittlungen, erfahren weitere Details und neue Spuren. Gleichzeitig lesen wir die Gedanken, welche die Taten begründen, natürlich ohne Hinweise, um wessen Gedankengänge und Überlegungen es sich handelt.

Fazit

Spannende Unterhaltung.

Die Zeit heilt keine Wunden – Hendrik Falkenberg

AutorHendrik Falkenberg
VerlagEdition M
Datum21. April 2015
AusgabeKindle e-book
Seiten508 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB00U9SQIT0

„Dann ist es wohl deine Aufgabe herauszufinden, wohin dieses Seil verschwunden ist. Willkommen in deinem ersten Fall.“ (Zitat Seite 44)

Inhalt

Als der Wunsch des jungen Kanusportlers und Polizisten Hannes Niehaus in Erfüllung geht und er zur Kriminalpolizeit wechseln kann, rechnet er nicht damit, sofort in einem äußerst komplexen Fall eingesetzt zu werden. Ein alter Mann findet am Strand eine Leiche, angeblich Tod durch Ertrinken, doch ein paar merkwürdige Details fallen der Rechtsmedizinerin auf. Gleichzeitig verschwindet eine junge Frau spurlos. Kriminalhauptkommissar Fritz Janssen, der neue Vorgesetzte von Hannes Niehaus, ist absolut nicht begeistert, drei Jahre vor der Pensionierung nochmals einen neuen Kollegen ausbilden zu müssen. Er ist ein eigenwilliger Einzelgänger und arbeitet am liebsten allein. Doch im Laufe der Ermittlungen zeigt sich, dass diese Zusammenarbeit auch eine besondere Chance ist, nicht nur für Hannes Niehaus.

Thema und Genre

In diesem Ostsee-Krimi, Band 1 der Serie um den Sportpolizisten Hannes Niehaus, geht es um eine Schuld in der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart nicht vergessen wurde.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird abwechselnd in zwei Handlungssträngen geschildert, welche gleichzeitig in der Gegenwart stattfinden. Die straffe Handlung erstreckt sich über wenige Tage, was das Tempo und damit auch die Spannung erhöht. Die Sprache entspricht dem Genre, nimmt sich aber auch Zeit für Erklärungen, Schilderungen und Details.

Fazit

Ein spannender Auftakt einer Serie, interessante Ermittlerfiguren und eine gut entwickelte Geschichte mit Raum für eigene Überlegungen und überraschende Wendungen.

Die Verwandlung – Graphic Novel nach Franz Kafka

AutorFranz Kafka
Szenarist: Eric Corbeyran
IllustratorHorne
Verlag Knesebeck Verlag
Erscheinungsdatum 24. August 2010
FormatGebundene Ausgabe
Seiten48
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3868732665

„Als Gregor Samsa eines Morgens erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ (Zitat Seite 5)

Thema und Inhalt

Gregor Samsa erhält durch seine Tätigkeit als reisender Tuchhändler seine Familie, das sind seine Eltern und seine Schwester. Nach einem unruhigen Traum erwacht er als riesiges Ungeziefer mit einem dicken Rückenpanzer und dünnen Beinchen, hält dies zunächst immer noch für einen Traum. Doch rasch stellt er fest, dass er sich tatsächlich verwandelt hat, es ist sein Bett und sein Zimmer. Wie soll er dies seiner Familie beibringen, auch sein Chef fragt schon ungeduldig nach ihm. Eine beklemmende, traurige Geschichte, die viele Deutungsmöglichkeiten zulässt.

Gestaltung

Eric Corbeyran bleibt bei seiner Umsetzung von Kafkas bekannter Erzählung als Graphic Novel nahe am Originaltext und fängt so auch die ursprüngliche Stimmung der Geschichte perfekt ein, welche durch Hornes Illustrationen beeindruckend umgesetzt und vertieft wird.

Fazit

Eine beklemmende, aber auch sehr berührende Version von Kafkas bekannter Erzählung von einem Menschen, der sich über Nacht in eine große Schabe verwandelt, eine großartige Ergänzung zu Franz Kafkas Werk.

Die Herrlichkeit des Lebens – Michael Kumpfmüller

AutorMichael Kumpfmüller
VerlagFISCHER Taschenbuch
Datum17. Januar 2013
AusgabeTaschenbuch
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3596193608

„Auch der Doktor hat sein halbes Leben gewartet, zumindest ist das im Nachhinein sein Gefühl, man wartet und glaubt nicht daran, dass noch jemand kommt, und auf einmal ist genau das geschehen.“ (Zitat Seite 29)

Inhalt

Während eines Aufenthaltes in Graal-Müritz an der Ostsee lernt Franz Kafka im Sommer 1923 Dora Diamant kennen. Dora Diamant, fünfundzwanzig Jahre alt, arbeitet für das Berliner Jüdische Volksheim und betreut eine Feriengruppe. Zu diesem Zeitpunkt ist Franz Kafka vierzig Jahre alt und auf Grund seiner Krankheit bereits pensioniert. Doch mit Dora wagt er nochmals einen Neubeginn, gemeinsam beziehen sie eine Wohnung in Berlin-Steglitz. An ihrer Liebe ändern auch finanzielle Probleme, die Ablehnung der gegenseitigen Eltern und Kafkas Krankheit nichts.

Thema und Genre

m Mittelpunkt dieses Romans stehen der Schriftsteller Franz Kafka und Dora Diamant, seine letzte Lebensgefährtin. Themen sind das Leben des Schriftstellers, das Schreiben, Freundschaft, Familie, und vor allem die Liebe. Es geht auch um Deutschland während der Epoche der Weimarer Republik.

Erzählform und Sprache

Der Autor gliedert die Geschichte dieses besonderen Jahres von Franz Kafka und Dora Diamant in drei große Abschnitte und erzählt sie chronologisch. Er baut viele Details und Wissenswertes aus Tagebüchern und Briefen in die Handlung ein. So ergibt sich ein klares Bild Kafkas mit allen Zweifeln und Gefühlsschwankungen, sein teilweises Zaudern, das schon seine früheren Beziehungen geprägt hat, sein problematisches Verhältnis zu seinen Eltern und seinen Geschwistern. Gleichzeitig erfahren wir auch, wie Dora Diamant ihren „Doktor“ sieht, ihre Hoffnungen, Zukunftsträume und Sorgen. „Ein inneres Feuer, stellt sie sich vor, etwas, das sich erneuert, vielleicht nicht nur aus sich selbst, aber zum größten Teil, weil er liebt und wiedergeliebt wird, aus seiner großen Zuneigung zu allem und jedem.“ (Zitat Seite 211) Die Erzählsprache ist leise fließend.

Fazit

Ein einfühlsamer, poetischer Roman über die Kraft der Liebe und die Überraschungen des Lebens.

Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft – Volker Weidermann

AutorVolker Weidermann
Verlagbtb Verlag
Datum10. August 2015
AusgabeTaschenbuch
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3442748914

„Die Welt will schlafen, um in Frieden zu leben. Und die kleine Ostende-Gruppe hasst ihre Machtlosigkeit, hasst sie bis zur Verzweiflung.“ (Zitat Seite 92)

Inhalt

Im Sommer 1914 war Stefan Zweig zum ersten Mal in diesem belgischen Badeort am Meer gewesen, bis der Sommer, an dessen herrliche Tage er sich noch immer erinnert, damals am 28. Juli plötzlich geendet hatte – Österreich hatte Serbien den Krieg erklärt. Nun ist er wieder hier, in diesem Sommer 1936 und mit ihm Schriftsteller, die ihre Heimat Deutschland verlassen haben, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Joseph Roth, Irmgard Keun, Egon Kisch, Arthur Koestler, Ernst Toller, Hermann Kesten, sie alle genießen wie Stefan Zweig die ausgelassene Stimmung am Strand, Sonne und Meer, die Gespräche in den Caféhäusern und Bistros. Doch die Wehmut des Abschiednehmens schwingt in  diesen Tagen mit, und die Sorge vor einer ungewissen Zukunft.

Thema und Genre

Es ist die Geschichte von deutschsprachigen Schriftstellern im Exil, deren Bücher im NS-Deutschland verboten und verbrannt worden waren, von einem letzten Sommer im berühmten belgischen Badeort Ostende, bevor sich ihre Wege trennen.

Erzählform und Sprache

Volker Weidermann erzählt ruhig fließend und einfühlsam von diesen Tagen und den Menschen. Er folgt den einzelnen Personen abwechselnd, sie treffen einander wieder, oder lernen einander hier kennen. Im Mittelpunkt steht die besondere Freundschaft zwischen Stefan Zweig und Josef Roth. Der Zeitrahmen spannt sich vom Sommer 1936 bis ins Jahr 1939 und wird durch Erinnerungen an vergangene Ereignisse ergänzt. Das letzte Kapitel schildert das weitere Schicksal aller Hauptfiguren.

Fazit

Eine umfangreiche Recherche und fundiertes Fachwissen verbinden diese fiktive Geschichte des Sommers 1936 in Ostende mit den Fakten der deutschsprachigen Literatur und Schriftsteller im Exil.

Lass die Sonne scheinen – José M de Vasconcelos

AutorJosé M de Vasconcelos
VerlagUrachhaus
Datum11. Februar 2020
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten304
SpracheDeutsch
ÜbersetzungWiebke Augustin, Carla Koeser
ISBN-13978-3825152062

„Ich hatte einen Freund gefunden, hatte eine Woche frei und konnte es kaum erwarten zu erfahren, wie mein Leben sich verbessern würde.“ (Zitat Seite 24)

Inhalt

José „Sesé“ aus „Mein kleiner Orangenbaum“ ist inzwischen zehn Jahre alt und lebt als Pflegesohn bei einer begüterten Arztfamilie. Daher kann er die höhere Maristen-Klosterschule besuchen, doch er fühlt sich als Außenseiter und die strenge Einteilung seiner Tage in seiner neuen Familie engt ihn ein. „Sie wollen mich perfekt machen, wozu weiß ich nicht.“ (Zitat Seite 33) Die innere Traurigkeit nach seinen prägenden Verlusten der Kinderzeit ist geblieben, doch auch seine lebhafte Phantasie und die Ideen für besondere Streiche. Verständnis findet er bei Bruder Fayolle, bei Maurice und natürlich bei seinem besonderen Freund, der Cururu-Kröte Adão, der sich bemüht, endlich die Sonne in Sesés Herz zu bringen.  

Thema und Genre

In diesem Roman mit autobiografischem Hintergrund geht es um die Probleme von Jugendlichen, die Zweifel und Hoffnungen, ihre innere Einsamkeit und das teilweise Unverständnis der Erwachsenen.

Erzählform und Sprache

Sesé ist das erzählende Ich seiner Geschichte, die er in chronologischen Episoden schildert, ergänzt durch seine Erinnerungen. Durch diese Erzählform erhalten wir auch tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt, seine Gedanken, Vorstellungen und natürlich auch in seine Zweifel und Konflikte. Immer wieder schildert er seine Ideen, wie es zu seinen zahlreichen Streichen in der Schule und auch in der Nachbarschaft kam und beschreibt auch, wie er seine Pläne dann ausführt, sowie die jeweiligen Folgen für ihn selbst. Teilweise beginnen diese Streiche die Geschichte zu dominieren und im Gegensatz zu seinen phantasievollen Geschichten, die er in einer Realität seiner Gedanken durchlebt, finden sie tatsächlich statt. Die Sprache übernimmt einfühlsam und authentisch die Gedankenwelt eines Heranwachsenden.

Fazit

Eine berührende, poetische, manchmal sehr traurige Geschichte über die schwierigen Jahre des Heranwachsens eines einsamen, durch frühe Verluste geprägten Jungen. Eine Zeit, die geprägt ist von Fragen, Sehnsüchten, der ersten Liebe, aber auch von phantasievoll ausgeheckten Streichen.

Hölle und Paradies: Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur – Bettina Baltschev

AutorBettina Baltschev
VerlagBerenberg Verlag
Datum9. Februar 2024
AusgabeTaschenbuch
Seiten200
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3949203848

„Landshoff, der bisher gemeinsam mit Gustav Kiepenheuer den Berliner Gustav Kiepenheuer Verlag geleitet hatte, führt auch nur wenig Gepäck bei sich, weil er nicht weiß, wie lange sein Aufenthalt dauern wird.“ (Zitat Seite 17)

Inhalt

Im April 1933 reist der junge Verleger Fritz Landshoff von Berlin nach Amsterdam. Der Amsterdamer Verleger Emanuel Querido plant die Gründung eines deutschsprachigen Exilverlages und Landshoff sagt zu. Es bleibt ihm nur wenig Zeit, Autoren für ein Herbstprogramm zu finden, doch nach nur einer Woche hat er bereits neun Verträge abgeschlossen, weitere folgen rasch. Der größte menschliche Gewinn des Exils in Amsterdam wird für Landshoff jedoch die Freundschaft mit Klaus Mann.

Thema und Genre

In diesem Buch geht es um die Geschichte des 1933 in Amsterdam entstandenen Querido-Verlages, einer der wichtigsten deutschen Exilverlage, und die Autoren und Autorinnen der deutschen Exilliteratur.

Erzählform und Sprache

Bettina Baltschev folgt im heutigen Amsterdam den Spuren des Verlages und in diesen Rahmen fügt sie die Verlagsgeschichte zwischen 1933 und 1950 ein, die eng mit mit Emanuel Querido und Fritz Landshoff verbunden ist. Vor allem jedoch schildert die Autorin das Leben der bekannten deutschen Exilschriftsteller dieser Zeit. Zu den ersten, 1933 veröffentlichen Büchern gehören auch zwei Romane von Lion Feuchtwanger, 1950 erscheint das letzte Buch des Querido Verlages, „Klaus Mann zum Gedächtnis“, herausgegeben von Erika Mann. Bettina Baltschev geht es bei ihren Recherchen vor allem um das Leben im Exil und die damit verbundenen Unsicherheiten und Gefühle der Autoren und Autorinnen nach dem Verlust der Heimat. So ergibt sich ein beeindruckendes, interessantes Bild jener Jahre in Amsterdam, welches sich durch ihre Streifzüge mit der Gegenwart verbindet. Am Buchende findet sich eine nach Jahren geordnete Liste der im Querido-Verlag veröffentlichten Autoren und Autorinnen und die entsprechenden Titel ihrer Werke. Eine Zusammenstellung ausgewählter Literatur schließt das Buch ab.

Fazit

Ein großartig erzählter Streifzug durch Amsterdam, durch die Geschichte der Verleger und Autoren in den Jahren 1933 bis 1950, lebhafte, packende Schilderungen, welche die Vergangenheit mit der Gegenwart verbinden.

Mein kleiner Orangenbaum – José Mauro de Vasconcelos

AutorJosé Mauro de Vasconcelos
VerlagUrachhaus
Datum1. September 2021
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten199
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMarianne Jolowicz
ISBN-13978-3825176730

„Du heißt nicht umsonst José. Du wirst die Sonne sein, und die Sterne werden um dich leuchten.“ (Zitat Seite 21)

Inhalt

Als José, genannt Sesé, fünf Jahre alt ist, kann er lesen. Er hat es sich selbst heimlich beigebracht. Er ist neugierig auf das Leben, steckt voller Geschichten und hat ständig neue Ideen für Streiche, die er lustig findet. So wird er oft streng bestraft, auch für Dinge, die nicht er getan hat. Als sie in ein kleineres Haus ziehen müssen, weil der Vater arbeitslos ist, steht dort im Garten ein sehr kleiner Orangenbaum. Dieses Bäumchen, Sesé nennt es „Knirps“, wird sein bester Freund. Mit ihm erlebt er seine Phantasieabenteuer und ihm erzählt er alle seine Sorgen. Bis zur Sache mit der Glasscherbe, denn nun hat er wirklich einen Freund, Manuel „Portuga“ Valadares und wenn man sich seinen Vater hätte aussuchen können, dann hätte Sesé sich Portuga gewünscht.

Thema und Genre

In diesem autobiografischen Roman geht es um einen Jungen, der in sehr einfachen Verhältnissen in Brasilien aufwächst. Themen sind Kinderarmut, Kinderwelt und Erwachsenenwelt, Phantasie, die Natur, Zuwendung und Liebe.

Erzählform und Sprache

Der Zeitrahmen umfasst nur ein Jahr und es ist die Hauptfigur Sesé, der die Geschichte als Ich-Erzähler schildert. Er nimmt uns mit in seine eigene Welt, teilt mit uns die phantasievollen Geschichten, die er sich ausdenkt, seine Gedanken und seine eigene Auslegung für Geschehnisse aus der Welt der Erwachsenen, die durch Erklärungen in Form von Gesprächen ergänzt werden. Es sind Details und Alltagsereignisse, die sich so mit seinen Träumen, Wünschen, aber auch Ängsten verbinden. Die poetische Sprache beeindruckt durch ihre sanfte Intensität.

Fazit

Eine sehr zärtliche, gefühlvolle Geschichte, die sich mit der Traurigkeit der Realität verbindet und dennoch positiv nachklingt.

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