„Als Gregor Samsa eines Morgens erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ (Zitat Seite 5)
Thema und Inhalt
Gregor Samsa erhält durch seine Tätigkeit als reisender Tuchhändler seine Familie, das sind seine Eltern und seine Schwester. Nach einem unruhigen Traum erwacht er als riesiges Ungeziefer mit einem dicken Rückenpanzer und dünnen Beinchen, hält dies zunächst immer noch für einen Traum. Doch rasch stellt er fest, dass er sich tatsächlich verwandelt hat, es ist sein Bett und sein Zimmer. Wie soll er dies seiner Familie beibringen, auch sein Chef fragt schon ungeduldig nach ihm. Eine beklemmende, traurige Geschichte, die viele Deutungsmöglichkeiten zulässt.
Gestaltung
Eric Corbeyran bleibt bei seiner Umsetzung von Kafkas bekannter Erzählung als Graphic Novel nahe am Originaltext und fängt so auch die ursprüngliche Stimmung der Geschichte perfekt ein, welche durch Hornes Illustrationen beeindruckend umgesetzt und vertieft wird.
Fazit
Eine beklemmende, aber auch sehr berührende Version von Kafkas bekannter Erzählung von einem Menschen, der sich über Nacht in eine große Schabe verwandelt, eine großartige Ergänzung zu Franz Kafkas Werk.
„Auch der Doktor hat sein halbes Leben gewartet, zumindest ist das im Nachhinein sein Gefühl, man wartet und glaubt nicht daran, dass noch jemand kommt, und auf einmal ist genau das geschehen.“ (Zitat Seite 29)
Inhalt
Während eines Aufenthaltes in Graal-Müritz an der Ostsee lernt Franz Kafka im Sommer 1923 Dora Diamant kennen. Dora Diamant, fünfundzwanzig Jahre alt, arbeitet für das Berliner Jüdische Volksheim und betreut eine Feriengruppe. Zu diesem Zeitpunkt ist Franz Kafka vierzig Jahre alt und auf Grund seiner Krankheit bereits pensioniert. Doch mit Dora wagt er nochmals einen Neubeginn, gemeinsam beziehen sie eine Wohnung in Berlin-Steglitz. An ihrer Liebe ändern auch finanzielle Probleme, die Ablehnung der gegenseitigen Eltern und Kafkas Krankheit nichts.
Thema und Genre
m Mittelpunkt dieses Romans stehen der Schriftsteller Franz Kafka und Dora Diamant, seine letzte Lebensgefährtin. Themen sind das Leben des Schriftstellers, das Schreiben, Freundschaft, Familie, und vor allem die Liebe. Es geht auch um Deutschland während der Epoche der Weimarer Republik.
Erzählform und Sprache
Der Autor gliedert die Geschichte dieses besonderen Jahres von Franz Kafka und Dora Diamant in drei große Abschnitte und erzählt sie chronologisch. Er baut viele Details und Wissenswertes aus Tagebüchern und Briefen in die Handlung ein. So ergibt sich ein klares Bild Kafkas mit allen Zweifeln und Gefühlsschwankungen, sein teilweises Zaudern, das schon seine früheren Beziehungen geprägt hat, sein problematisches Verhältnis zu seinen Eltern und seinen Geschwistern. Gleichzeitig erfahren wir auch, wie Dora Diamant ihren „Doktor“ sieht, ihre Hoffnungen, Zukunftsträume und Sorgen. „Ein inneres Feuer, stellt sie sich vor, etwas, das sich erneuert, vielleicht nicht nur aus sich selbst, aber zum größten Teil, weil er liebt und wiedergeliebt wird, aus seiner großen Zuneigung zu allem und jedem.“ (Zitat Seite 211) Die Erzählsprache ist leise fließend.
Fazit
Ein einfühlsamer, poetischer Roman über die Kraft der Liebe und die Überraschungen des Lebens.
„Die Welt will schlafen, um in Frieden zu leben. Und die kleine Ostende-Gruppe hasst ihre Machtlosigkeit, hasst sie bis zur Verzweiflung.“ (Zitat Seite 92)
Inhalt
Im Sommer 1914 war Stefan Zweig zum ersten Mal in diesem belgischen Badeort am Meer gewesen, bis der Sommer, an dessen herrliche Tage er sich noch immer erinnert, damals am 28. Juli plötzlich geendet hatte – Österreich hatte Serbien den Krieg erklärt. Nun ist er wieder hier, in diesem Sommer 1936 und mit ihm Schriftsteller, die ihre Heimat Deutschland verlassen haben, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Joseph Roth, Irmgard Keun, Egon Kisch, Arthur Koestler, Ernst Toller, Hermann Kesten, sie alle genießen wie Stefan Zweig die ausgelassene Stimmung am Strand, Sonne und Meer, die Gespräche in den Caféhäusern und Bistros. Doch die Wehmut des Abschiednehmens schwingt in diesen Tagen mit, und die Sorge vor einer ungewissen Zukunft.
Thema und Genre
Es ist die Geschichte von deutschsprachigen Schriftstellern im Exil, deren Bücher im NS-Deutschland verboten und verbrannt worden waren, von einem letzten Sommer im berühmten belgischen Badeort Ostende, bevor sich ihre Wege trennen.
Erzählform und Sprache
Volker Weidermann erzählt ruhig fließend und einfühlsam von diesen Tagen und den Menschen. Er folgt den einzelnen Personen abwechselnd, sie treffen einander wieder, oder lernen einander hier kennen. Im Mittelpunkt steht die besondere Freundschaft zwischen Stefan Zweig und Josef Roth. Der Zeitrahmen spannt sich vom Sommer 1936 bis ins Jahr 1939 und wird durch Erinnerungen an vergangene Ereignisse ergänzt. Das letzte Kapitel schildert das weitere Schicksal aller Hauptfiguren.
Fazit
Eine umfangreiche Recherche und fundiertes Fachwissen verbinden diese fiktive Geschichte des Sommers 1936 in Ostende mit den Fakten der deutschsprachigen Literatur und Schriftsteller im Exil.
„Ich hatte einen Freund gefunden, hatte eine Woche frei und konnte es kaum erwarten zu erfahren, wie mein Leben sich verbessern würde.“ (Zitat Seite 24)
Inhalt
José „Sesé“ aus „Mein kleiner Orangenbaum“ ist inzwischen zehn Jahre alt und lebt als Pflegesohn bei einer begüterten Arztfamilie. Daher kann er die höhere Maristen-Klosterschule besuchen, doch er fühlt sich als Außenseiter und die strenge Einteilung seiner Tage in seiner neuen Familie engt ihn ein. „Sie wollen mich perfekt machen, wozu weiß ich nicht.“ (Zitat Seite 33) Die innere Traurigkeit nach seinen prägenden Verlusten der Kinderzeit ist geblieben, doch auch seine lebhafte Phantasie und die Ideen für besondere Streiche. Verständnis findet er bei Bruder Fayolle, bei Maurice und natürlich bei seinem besonderen Freund, der Cururu-Kröte Adão, der sich bemüht, endlich die Sonne in Sesés Herz zu bringen.
Thema und Genre
In diesem Roman mit autobiografischem Hintergrund geht es um die Probleme von Jugendlichen, die Zweifel und Hoffnungen, ihre innere Einsamkeit und das teilweise Unverständnis der Erwachsenen.
Erzählform und Sprache
Sesé ist das erzählende Ich seiner Geschichte, die er in chronologischen Episoden schildert, ergänzt durch seine Erinnerungen. Durch diese Erzählform erhalten wir auch tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt, seine Gedanken, Vorstellungen und natürlich auch in seine Zweifel und Konflikte. Immer wieder schildert er seine Ideen, wie es zu seinen zahlreichen Streichen in der Schule und auch in der Nachbarschaft kam und beschreibt auch, wie er seine Pläne dann ausführt, sowie die jeweiligen Folgen für ihn selbst. Teilweise beginnen diese Streiche die Geschichte zu dominieren und im Gegensatz zu seinen phantasievollen Geschichten, die er in einer Realität seiner Gedanken durchlebt, finden sie tatsächlich statt. Die Sprache übernimmt einfühlsam und authentisch die Gedankenwelt eines Heranwachsenden.
Fazit
Eine berührende, poetische, manchmal sehr traurige Geschichte über die schwierigen Jahre des Heranwachsens eines einsamen, durch frühe Verluste geprägten Jungen. Eine Zeit, die geprägt ist von Fragen, Sehnsüchten, der ersten Liebe, aber auch von phantasievoll ausgeheckten Streichen.
„Landshoff, der bisher gemeinsam mit Gustav Kiepenheuer den Berliner Gustav Kiepenheuer Verlag geleitet hatte, führt auch nur wenig Gepäck bei sich, weil er nicht weiß, wie lange sein Aufenthalt dauern wird.“ (Zitat Seite 17)
Inhalt
Im April 1933 reist der junge Verleger Fritz Landshoff von Berlin nach Amsterdam. Der Amsterdamer Verleger Emanuel Querido plant die Gründung eines deutschsprachigen Exilverlages und Landshoff sagt zu. Es bleibt ihm nur wenig Zeit, Autoren für ein Herbstprogramm zu finden, doch nach nur einer Woche hat er bereits neun Verträge abgeschlossen, weitere folgen rasch. Der größte menschliche Gewinn des Exils in Amsterdam wird für Landshoff jedoch die Freundschaft mit Klaus Mann.
Thema und Genre
In diesem Buch geht es um die Geschichte des 1933 in Amsterdam entstandenen Querido-Verlages, einer der wichtigsten deutschen Exilverlage, und die Autoren und Autorinnen der deutschen Exilliteratur.
Erzählform und Sprache
Bettina Baltschev folgt im heutigen Amsterdam den Spuren des Verlages und in diesen Rahmen fügt sie die Verlagsgeschichte zwischen 1933 und 1950 ein, die eng mit mit Emanuel Querido und Fritz Landshoff verbunden ist. Vor allem jedoch schildert die Autorin das Leben der bekannten deutschen Exilschriftsteller dieser Zeit. Zu den ersten, 1933 veröffentlichen Büchern gehören auch zwei Romane von Lion Feuchtwanger, 1950 erscheint das letzte Buch des Querido Verlages, „Klaus Mann zum Gedächtnis“, herausgegeben von Erika Mann. Bettina Baltschev geht es bei ihren Recherchen vor allem um das Leben im Exil und die damit verbundenen Unsicherheiten und Gefühle der Autoren und Autorinnen nach dem Verlust der Heimat. So ergibt sich ein beeindruckendes, interessantes Bild jener Jahre in Amsterdam, welches sich durch ihre Streifzüge mit der Gegenwart verbindet. Am Buchende findet sich eine nach Jahren geordnete Liste der im Querido-Verlag veröffentlichten Autoren und Autorinnen und die entsprechenden Titel ihrer Werke. Eine Zusammenstellung ausgewählter Literatur schließt das Buch ab.
Fazit
Ein großartig erzählter Streifzug durch Amsterdam, durch die Geschichte der Verleger und Autoren in den Jahren 1933 bis 1950, lebhafte, packende Schilderungen, welche die Vergangenheit mit der Gegenwart verbinden.
„Du heißt nicht umsonst José. Du wirst die Sonne sein, und die Sterne werden um dich leuchten.“ (Zitat Seite 21)
Inhalt
Als José, genannt Sesé, fünf Jahre alt ist, kann er lesen. Er hat es sich selbst heimlich beigebracht. Er ist neugierig auf das Leben, steckt voller Geschichten und hat ständig neue Ideen für Streiche, die er lustig findet. So wird er oft streng bestraft, auch für Dinge, die nicht er getan hat. Als sie in ein kleineres Haus ziehen müssen, weil der Vater arbeitslos ist, steht dort im Garten ein sehr kleiner Orangenbaum. Dieses Bäumchen, Sesé nennt es „Knirps“, wird sein bester Freund. Mit ihm erlebt er seine Phantasieabenteuer und ihm erzählt er alle seine Sorgen. Bis zur Sache mit der Glasscherbe, denn nun hat er wirklich einen Freund, Manuel „Portuga“ Valadares und wenn man sich seinen Vater hätte aussuchen können, dann hätte Sesé sich Portuga gewünscht.
Thema und Genre
In diesem autobiografischen Roman geht es um einen Jungen, der in sehr einfachen Verhältnissen in Brasilien aufwächst. Themen sind Kinderarmut, Kinderwelt und Erwachsenenwelt, Phantasie, die Natur, Zuwendung und Liebe.
Erzählform und Sprache
Der Zeitrahmen umfasst nur ein Jahr und es ist die Hauptfigur Sesé, der die Geschichte als Ich-Erzähler schildert. Er nimmt uns mit in seine eigene Welt, teilt mit uns die phantasievollen Geschichten, die er sich ausdenkt, seine Gedanken und seine eigene Auslegung für Geschehnisse aus der Welt der Erwachsenen, die durch Erklärungen in Form von Gesprächen ergänzt werden. Es sind Details und Alltagsereignisse, die sich so mit seinen Träumen, Wünschen, aber auch Ängsten verbinden. Die poetische Sprache beeindruckt durch ihre sanfte Intensität.
Fazit
Eine sehr zärtliche, gefühlvolle Geschichte, die sich mit der Traurigkeit der Realität verbindet und dennoch positiv nachklingt.
„Denn der Himmel glüht wie Feuer, das Wasser steht majestätisch still, die Erde schweigt und die Luft flüstert uns ein Geheimnis zu. Friedrich lässt hier aus dem Tosen der vier Elemente plötzlich den Zauber der Stille entstehen.“ (Zitat Seite 38)
Thema und Inhalt
Dieses Buch ist keine Biografie, sondern ein breit angelegtes Bild einer Epoche, das uns nicht nur durch die Malerei, sondern gleichzeitig durch zweihundertfünfzig Jahre deutsche Zeitgeschichte führt. Im Mittelpunkt stehen Caspar David Friedrich, Episoden aus seinem Leben und seine Bilder. Doch der Weg führt weiter, zum Beginn des 20. Jahrhunderts, als seine Werke als altmodisch galten und niemanden interessierten, zu seiner Wiederentdeckung und die rasch erwachende Begeisterung und Faszination für seine Werke, die bis heute anhält.
Umsetzung
Im Mittelpunkt der ersten Geschichte „Auf dem Segler“, gleichsam eine Einleitung, steht seine Hochzeitsreise auf die Insel Rügen und die Überfahrt nach Stralsund, ein Ausschnitt des später dazu entstandenen Gemäldes bildet den Buchumschlag.
Es folgen vier große Abschnitte, die den vier Elementen entsprechen: Feuer, Wasser, Erde, Luft, eine Einteilung, die der Liebe zur Natur des Künstlers folgt. Episoden aus dem Leben Caspar David Friedrichs, werden mit der Entstehung von Bildern zum jeweiligen Thema, mit geschichtlichen Ereignissen und dem weiteren Weg der Bilder verbunden. Gleichzeitig erhalten wir einen tiefen Einblick in Caspar David Friedrichs Entwicklung als Künstler, von der Zeichnung zur Farbe, in seine Beweggründe und die Höhen und Tiefen seines Lebens. „Ich muß allein bleiben und wissen, dass ich allein bin, um die Natur vollständig zu schauen und zu fühlen. Ich muß mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinigen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin.“ (Zitat Seite 230, Aussage CDF)
Wir begegnen Weggefährten und späteren Bewunderern seiner Werke. Die vielen unterschiedlichen Blickwinkel, aus denen sich Florian Illies dem Künstler nähert, und die interessante Vielfalt der Themen sind das Resultat einer ausführlichen, genauen Recherche und machen dieses Buch zu einer literarischen Schatzkiste, die man neugierig öffnet und begeistert liest.
Am Buchende finden sich eine Zeittafel, Vorschläge für weiterführende Literatur und der Abbildungsnachweis zu den vier Bildern, die jeweils einen Abschnitt einleiten.
Fazit
Florian Illies erzählt die Geschichte Caspar David Friedrichs, indem er dem Spuren seiner Bilder folgt, von der Entstehung bis heute. Er spürt auch den Weg der nicht mehr vorhandenen Bilder auf, ergründet die Ursachen ihres Verschwindens. So ergibt sich ein breit gefächerter, poetischer und beeindruckender Spaziergang durch die Zeit.
„Die Bolerosängerinnen damals, das waren ganz besondere Frauen. Frauen mit Charakter, wie geschaffen für die Musik, die sie sangen.“ (Zitat Seite 88)
Inhalt
Mehr als dreizehn Jahre sind vergangen, seit Mario Conde die Kripo verlassen hat und nun als Antiquar tätig ist. Gerade in diesen Zeiten der Wirtschaftskrise werden kaum mehr neue Bücher veröffentlicht, Privatbibliotheken werden aus Not jedoch verkauft. El Conde spürt interessante Sammlungen auf, sein Geschäftspartner Yoyi „El Palomo“ bringt diese dann auf den Markt. In einem alten Haus, dessen ehemalige Eleganz noch spürbar ist, entdeckt El Conde eine umfangreiche Bibliothek mit wertvollen Erstausgaben. Die Geschwister Amalia und Dionisio Ferrero, die mit ihrer neunzigjährigen Mutter in dem Haus leben, brauchen das Geld, um nicht zu verhungern. In einem alten Kochbuch findet El Conde einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1960 über die junge, schöne und erfolgreiche Bolerosängerin Violeta del Rio und ihren überraschenden Rücktritt von der Bühne. Das Bild und die Stimme der Bolerosängerin ziehen El Conde beinahe magisch an und er beginnt nachzuforschen, was damals geschehen ist. Eines frühen Morgens jedoch steht plötzlich Manuel Palacios, inzwischen Capitán, vor El Condes Tür. Dionisio Ferrero ist in seinem Haus ermordet worden, El Conde und El Palomo stehen unter Mordverdacht.
Thema und Genre
Gibt es den epischen Kriminalroman schon als Genre, denn besser kan man diesen Roman nicht beschreiben. Es geht um Politik und die Wirtschaftskrise in Kuba, das blühende, lebhafte, schillernde Nachtleben Havannas in den Clubs der vorrevolutionären fünfziger Jahre, um Musik, Schicksale, Freundschaft, Liebe und natürlich um Literatur und alte, wertvolle Bücher.
Charaktere
Die einzelnen Protagonisten in beiden Handlungssträngen bieten eine bunte Vielfalt, sie alle sind realistisch und absolut glaubhaft charakterisiert. Seine Heimatstadt Havanna, in der Bandenkriminalität und Armut allgegenwärtig sind, wird Mario Conde immer fremder, ihm bleiben seine Erinnerungen, die ihn bei seinen Streifzügen durch die alten Viertel begleiten. „In dieser Nacht der Verirrungen sah er sich vor die Tatsache des allgemeinen Scheiterns gestellt, das er selbst verkörperte, er und seine brutale Entwurzelung inmitten einer im Nebel der Erinnerungen versunkenen und einer anderen, sich auflösenden Welt.“ (Zitat Seite 211, 212)
Erzählform und Sprache
Die aktuelle Handlung wird unterbrochen durch eine Reihe von Briefen, die jemand zwischen Oktober und März eines bestimmten Jahres in der Vergangenheit schreibt. Die Jahreszahl fehlt, lässt sich jedoch nachvollziehen, wer diese Briefe schreibt, lässt sich nur vermuten. Erst im Laufe der fortschreitenden Handlung und durch Condes Recherchen, Erinnerungen und Gespräche ergeben sich Hinweise und weitere Teile eines Puzzles der Ereignisse in den fünfziger Jahren. Gleichzeitig malt Leonardo Padura durch seine lebhaften Schilderungen ein eindrückliches und interessantes Bild Havannas in den fünfziger Jahren und in der Zeit der aktuellen Handlung, die ersten Jahre des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Fazit
Eine bildintensive, epische Zeitreise durch das pulsierende Leben in Havanna, seine Kultur, Musik und Literatur und gleichzeitig eine packende Geschichte über Träume, Hoffnungen und menschliche Leidenschaften.
„Die Buchen sterben ja nicht aus, nur die Bücher. Gerade als ich damals, vor ewigen Zeiten mit dem literarischen Schreiben beginnen wollte, erreichte mich die Nachricht, das Gutenbergzeitalter sei vorbei.“ (Zitat Seite 9, 10 – Kollektivtext)
Thema und Inhalt
Die Idee dieser besonderen Zusammenarbeit ergab sich bereits vor vielen Jahren im Literaturlabor, daraus entstanden neben eigenen Veröffentlichungen gemeinsame Projekte wie Bühnenprogramme, Literarische Salons, Literarische Spaziergänge durch Hamburg. Nun liegt dieser erste gemeinsame Erzählband vor. Die Texte ergeben sich aus individuellen Zugängen zum Schreiben und Erzählen, kurze Geschichten, Fragmente in Fragen und überraschenden Antworten, Gedanken und spontane literarische Schilderungen von im Grunde alltäglichen Ereignissen.
Umsetzung
In diesem Jahrbuch Nr. I schreiben sich Lutz Flörke und Vera Rosenbusch einzeln oder im Kollektiv in insgesamt fünfundzwanzig Geschichten durch alle Monate eines Jahres, beginnend im April, endend mit zwei Märzgeschichten. Flörke & Rosenbusch sind genaue Beobachter, die sich Gedanken machen, kritisch, spontan, oft mich überraschenden Ergebnissen und mit einem großen Augenzwinkern. In jedem Satz, jeder Geschichte spürt man die große Lust am Erzählen und am Ausloten der vielfältigen Möglichkeiten, welche sich durch wechselnde Perspektiven und ebenso facettenreiche Ausdrucksformen ergeben.
„Eine Postkarte ohne Bild fällt heraus. Segelt, ganz langsam, durch den Bücherduft, gleitet, schwebt.“ (Zitat Seite 53 – Flörke)
„Ich bin eine Dichterin und brauche eine eigene Welt. Die schreibt mir der gestreifte Füller.“ (Zitat Seite 134 – Rosenbusch)
Fazit
Aus alltäglichen Situationen im Jahreslauf entstehen ungewöhnliche Geschichten mit unvorhersehbaren, überraschenden Resultaten. Eins + Eins = Drei = Lesevergnügen!
„Eigentlich hatte alles genauso angefangen, genau hier, mit dem Blick aufs Meer, unter diesen Kasuarien, inmitten genau dieser ewigen Gerüche, an jenem Tag im Jahre 1960, als er Ernest Hemingway begegnet war.“ (Zitat Seite 10)
Inhalt
Acht Jahre sind vergangen, seit Mario Conde die Kriminalpolizei verlassen hat. Er schreibt oder versucht es zumindest, und handelt mit alten Büchern. „An diesem Morgen jedoch hatte ihn sein ehemaliger Kollege Manuel Palacios angerufen und ihm die Geschichte der Leiche, die auf der Finca Vigía gefunden worden war, auf dem Silbertablett serviert.“ (Zitat Seite 17) Sturmschäden legten ein Skelett frei, ein Mann, ermordet vor vierzig Jahren auf Hemingways damaligem Wohnsitz und mit Kugeln aus legendären Waffen Hemingways. Hier sind El Condes Spürsinn und seine Verschwiegenheit gefragt und er sagt sofort zu, den Fall zu übernehmen. Nach einem Regenguss wird auch noch eine verrostete Blechmarke mit dem bekannten Wappen und drei Buchstaben gefunden, hat Hemingway …? Noch will El Conde das nicht glauben, aber er will unbedingt herausfinden, was damals geschehen ist.
Thema und Genre
In diesem Kriminalroman geht es um Kuba, Lebensfreude trotz Wirtschaftskrise, und Ernest Hemingway, dessen Geschichten und Mythos auf Kuba immer noch präsent sind.
Charaktere
Für El Conde sind die wichtigsten Dinge im Leben Freundschaft, Kaffee, Zigaretten, Rum, Frauen, Musik und die Literatur. Auch an seinen Traum, eines Tages als Schriftsteller in enem Holzhaus am Meer zu leben, hält er fest.
Erzählform und Sprache
Diesmal sind es zwei Geschichten, die in diesem Kriminalroman erzählt werden. Wir folgen Mario Conde chronologisch tagsüber durch seine intensiven Recherchen mit Teniente Manuel Palacios, und durch die intensiven Nächte mit seinen Freunden. Die zweite Geschichte führt uns zurück in die ersten Oktobertage des Jahres 1958, zu Ernest Hemingway und seine Finca La Vigía bei Havanna. So sind wir als Leser mit unserem Wissen El Condes Recherchen manchmal voraus, doch auch hier werden die Ereignisse in einem chronologischen Ablauf geschildert, daher bleibt die Handlung durchgehend spannend und lässt viel Raum für eigene Überlegungen. Auch wenn es sich um einen Roman handelt, ist diese Geschichte mit den bekannten Fakten aus Hemingways Leben eng und gekonnt verwoben, eine perfekte Mischung, in der sich Padura durchaus auch kritisch mit dem berühmten Schriftsteller Hemingway auseinandersetzt.
Fazit
Ein spannender und interessanter literarischer Kriminalroman aus Kuba, in dessen Mittelpunkt der Ex-Polizist Mario Conde und der Schriftsteller Ernst Hemingway stehen.
“Sie hatten angefangen, durch ein märchenhaftes Paris zu wandern, sich leiten zu lassen von den Zeichen der Nacht, Wege einzuschlagen, die aus dem Satz eines Clochards entstanden waren, aus einer beleuchteten Dachkammer in der Tiefe einer schwarzen Straße. Auf den kleinen, intimen Plätzen hielten sie an, küßten sich auf den Bänken oder betrachteten die Kreidestriche von Himmel-und-Hölle, die kindlichen Riten mit dem Kiesel, das Hüpfen auf einem Bein, um in den Himmel zu gelangen.“ (Zitat Seite 36)
Inhalt
In den Fünfzigerjahren lebt der Argentinier Horacio Oliveira einige Zeit in Paris. Tagsüber streift er mit der Maga, seiner Freundin, durch die Stadt an der Seine, durch Museen, Straßen und Cafés. Die Nächte jedoch verbringen sie in einem Künstlerclub, wo sie mit ihren Freunden über Kunst, Literatur, Musik und alle Fragen des Lebens diskutieren. Doch dann verlässt ihn die Maga und verschwindet spurlos. Als Horacios Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird, kehrt er nach Buenos Aires zurück. Wie schon zuvor in Paris, sucht Horacio in Gedanken immer noch nach der Maga, glaubt sie manchmal in seiner Einbildung zu sehen, verliert sich immer mehr in einer Phantasiewelt.
Thema und Genre
In diesem Roman, der in Paris und Buenos Aires spielt, geht es um die Pariser Künstlerszene, Schriftsteller, Philosophie, Politik, Lebensentwürfe, imaginäre Parallelwelten, Beziehungen und Liebe in vielen Facetten.
Charaktere
Die Hauptfigur Horacio Oliveira ist ein Suchender. Ein intellektueller Denker und kreativer Träumer, dessen Leben davon geprägt ist, dass er sich in seinen mäandernden Gedanken über jedes Problem und Thema verfängt, statt zu entscheiden und dann auch zu handeln. So wird es für ihn immer schwieriger, die Realität von seiner Phantasiewelt zu trennen.
Erzählform und Sprache
Rayuela, ein besonderer, vielseitiger Roman, den man in 56 fortlaufenden Kapiteln lesen kann und der dann bei Seite 406 endet. Oder aber man liest das Buch, benannt nach dem Kinder-Hüpfspiel Himmel und Hölle, in der vom Autor vorgegebenen Reihenfolge und mit ergänzenden Kapiteln. In dieser Variante beginnt man mit Kapitel 73, gefolgt von 1 und 2, springt dann auf 116 und zurück auf 3 und so geht es fort über insgesamt 636 Seiten. Diese zusätzlichen Kapitel ergänzen mit vertiefenden Gedanken, Überlegungen, Bewusstseinsströmen, aber auch Ausflügen in die Literatur, immer jedoch im Zusammenhang mit den ursprünglichen Kapiteln und auch immer wieder in die Reihenfolge 1 – 56 zurückkehrend. Die praktische Umsetzung ist einfach, denn am Ende eines Kapitels steht die Nummer des Kapitels, welches als nächstes gelesen werden soll. Die Handlungsfragmente, die wechselnden Erzählperspektiven und die sprachliche Ausdrucksform mit ihren Satzlabyrinthen ergeben ein spannendes, surreales, aber auch anspruchsvolles Verwirrspiel. „Dritte Möglichkeit: aus dem Leser einen Komplizen machen, einen Weggenossen. Und einen Zeit-Genossen, da ja die Lektüre die Zeit des Lesers tilgt und in die des Autors überführt. So könnte der Leser Mitbeteiligter und Mitbetroffener der Erfahrung werden, die der Romanautor durchgemacht hat, im gleichen Augenblick und in der gleichen Weise.“ (Zitat Seite 456-457, 79. Kapitel)
Fazit
Rayuela ist ein literarisches, sehr ungewöhnliches Kapitel-Springen, ein Labyrinth, das sprachlich und inhaltlich eine Herausforderung ist. Keine Lektüre „für zwischendurch“, wenn man sich entscheidet, dem Wegweiser des Autors durch das ganze Buch zu folgen, aber es lohnt sich aus vielen Gründen, sich auf dieses Leseabenteuer einzulassen.
„Denken, denken! Wie war ich nur so lange ohne das Nachdenken ausgekommen? Menschen und Dinge, Bücher und Landschaften, alles bot Stoff zum Nachdenken für mich.“ (Zitat Pos. 1645)
Inhalt
Die Ich-Erzählerin, die Älteste von vier Kindern, verbringt ihre Kindheit in Mailand. Als sie zwölf Jahre alt ist, nimmt ihr Vater eine neue Stellung als Direktor einer Fabrik in einem Dorf in Süditalien an. Damit nimmt ihr Leben eine völlig neue Richtung, denn in diesem Dorf gibt es zwar das Meer inmitten einer lichtdurchfluteten Landschaft, aber keine weiterführenden Schulen. Mit fünfzehn Jahren arbeitet sie schon als Assistentin im Büro ihres Vaters. Sie ist erst sechzehn Jahre alt, als sie einen zehn Jahre älteren, einfachen Mann heiratet, obwohl sie bereits berechtigte Zweifel hat. Als ihr Sohn geboren ist, wird das Kind für sie zum Mittelpunkt ihres Lebens. Dies ändert sich auch nicht, als sie das Dorf verlassen und nach Rom ziehen. Doch in dieser lebhaften Stadt findet sie gleichzeitig eine völlig neue Freiheit, Kultur, Bildung und die intellektuelle Herausforderungen, die sie so lange vermisst hat. Dann wird ihrem Mann die Direktorenstelle in der Fabrik im Dorf angeboten, die bisher ihr Vater innegehabt hatte.
Thema und Genre
In diesem stark autobiografischen Roman, der 1906 erschienen ist, geht es um Gesellschafts- und Sozialstrukturen, die Situation der Frauen besonders in einem von Traditionen geprägten Umfeld und die Anfänge der Frauenbewegung.
Erzählform und Sprache
Die Geschichte schildert chronologisch die ersten fünfundzwanzig Jahre im Leben einer Frau zwischen Städten wie Mailand und Rom und einem Dorf im Süden Italiens. Die Erzählform in der ersten Person schildert neben den Erlebnissen und Ereignissen vor allem die eigenen Bewusstseinsströme, die Gedanken, heftigen Zweifel, Auflehnung, aber auch Hoffnungen der Ich-Erzählerin. Dies wird dadurch verstärkt, dass diese zu schreiben beginnt, aufschreibt, wie sie sich fühlt und gleichzeitig beginnt, ihr Verhalten zu analysieren. Mit einer neuen Aufmerksamkeit beobachtet sie die Welt um sich herum, besonders das Leben der Frauen, das soziale Gefüge der Gesellschaft und die neue Arbeiterbewegung, die nun auch ihr Land erreicht hat. Die Sprache der engagierten italienischen Journalistin, Schriftstellerin und überzeugten Feministin ist lebhaft und wortreich, in den intensiven eigenen Gedankenströmen teilweise etwas überbordend, was sicher der Ausdrucksweise der damaligen Zeit entspricht. Ein ihrem Nachwort verweist Elke Heidenreich auf viele Fakten aus dem Leben der Schriftstellerin Sibilla Aleramo, die sich bis ins Detail in diesem Roman wiederfinden.
Fazit
Ein authentisches Zeitbild, das sich mit den Lebensumständen der Frauen um die Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert in Italien auseinandersetzt. Diese deutlich autobiografische Geschichte beschreibt eindringlich und intensiv die schwierige Suche der Protagonistin nach einem freien, selbstbestimmten Leben. Ein Roman der zum Nachdenken anregt, auch über die Situation in unserer modernen Zeit, in der Frauen weltweit immer noch in patriarchalischen, traditionellen Strukturen leben, fern von Gleichberechtigung und persönlicher Freiheit.
„Man hat uns in die Schule geschickt, in die wir gehen mussten, dann auf die Uni zu dem Studium, das wir absolvieren mussten, und später zu dem Arbeitsplatz, an dem wir arbeiten mussten, alles, ohne uns zu fragen. Und man kommandiert uns weiter rum, ohne uns auch nur ein verdammtes Mal in unserem verdammten Leben zu fragen, ob wir das auch wollen …“ (Zitat Seite 20)
Inhalt
Ein angenehm warmer Herbstabend im Oktober 1989, doch Wirbelsturm Félix rast auf Kuba zu. Einige Tage vor seinem Geburtstag, nach zehn Jahren als Ermittler, ist für den Teniente Mario Conde die Zeit gekommen, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Doch sein neuer Chef, Coronel Alberto Molina, hat einen neuen, politisch brisanten Fall für ihn. El Conde, unterstützt von Sargento „Manolo“ Palacios, muss rasch und sehr diskret ermitteln, nach Möglichkeit unter Einhaltung der Vorschriften. Einige Nächte zuvor war die Leiche eines Kubaners, inzwischen nordamerikanischer Staatsbürger, gefunden worden. Der Ermordete ist Miguel Forcade, ein ehemaliger Vizedirektor im Außenhandelsministerium, der sich 1978 in die USA abgesetzt hatte. Sofort stellt sich El Conde viele Fragen, der Fall interessiert ihn, warum hat man Forcade wieder ins Land gelassen, was unüblich ist. Wollte Forcade tatsächlich nur seinen schwer kranken Vater besuchen, oder hatte er auch noch andere Gründe, nach Kuba zurückzukehren. Forcade scheint eine reine Weste gehabt zu haben, doch der brutale Mord weist auf Rache als Motiv hin.
Thema und Genre
Auch in diesem Kriminalroman, dem vierten und letzten Teil des Havanna Quartetts, geht es um das Leben in Kuba 1989, Kunst und Kultur, Politik, die Macht der Parteifunktionäre, Enteignung, Bereicherung, Korruption, aber auch um Familie, Freundschaft und die Sehnsucht nach Liebe.
Charaktere
El Conde, über sich selbst: „Er erinnerte sich daran, dass dieser Tag sein offiziell vorletzter als Polizist sein konnte und ganz gewiss sein letzter als Mann von fünfunddreißig Jahren war.“ (Zitat Seite 95)
Mayer Rangel über El Conde: „Du bist das Schlimmste, das mir in meiner Laufbahn passiert ist, aber der beste Ermittler, den ich je gehabt habe.“ (Zitat Seite 99)
Erzählform und Sprache
Die Wahl der Erzählform, der Teniente Mario Conde ist die personale Hauptfigur, ermöglicht es Leonardo Padura einerseits, zusätzliche Spannung in die Handlung mit den vielen offenen Fragen, Möglichkeiten und Vermutungen zu bringen, andererseits erleben wir die persönlichen Zweifel von El Conde, die Wünsche und Hoffnungen der Jugend, die das Leben nicht erfüllt hat, Erinnerungen und verlorene Träume. Mit El Conde werfen wir jedoch auch einen Blick auf das echte Havanna, die kleinen Lokale, Gassen, Plätze und die Menschen, die sich auf einen gewaltigen Wirbelsturm vorbereiten. Durch die Ermittlungen, die Gespräche und Recherchen wird die aktuelle Handlung nach und nach zu einem Gesamtbild, das weit in die Vergangenheit zurückführt.
Fazit
Ein spannender, vielschichtiger Abschluss der Tetralogie, ein Eintauchen in ein Meer von Illusionen. Kuba und die alten, auch nach den Umbrüchen immer noch mächtigen Familien, und El Conde und sein Freundeskreis als die kubanische Generation der Mittdreißiger, die ihr Leben hinterfragt und neue Wege sucht. Ein literarischer, politischer Kriminalroman mit eindrücklichen Schilderungen der Gesellschaftsstruktur und der Lebensumstände in Kuba im Jahr 1989.
„Also bitte gar keine Kompromisse, keine Änderungen an den Texten, schon gar nicht bei toten Autoren, die sich nicht wehren können. Wer etwas nicht lesen möchte, darf es gerne lassen oder entsprechend kommentieren.“ (Zitat Pos. 260)
Thema und Inhalt
Eine Streitschrift für die Freiheit der Literatur, so nennt die Autorin dieses Fachbuch. Schon das Cover zeigt aussagekräftig, worum es geht. Es ist ein eindringliches Plädoyer für die Freiheit der Kunst, hier die Freiheit der Literatur, und gegen alle zeitgeistigen Wokeness-Bestrebungen, Ecken und Kanten in aktuellen Texten zu entschärfen, klassische Texte nachträglich umzuschreiben. Derartige Eingriffe, die von den Lesern selbst nicht gewünscht werden, sind Versuche, so Marlies Möller, aus mündigen unmündige Leser zu machen. „In Sachen Kunst darf es keine Abstriche geben. Wer verwässert, entmündigt den Leser – und der ist schlauer, als man denkt.“ (Zitat Pos. 95)
Umsetzung
Melanie Möller ist Professorin für Latinistik an der Freien Universität Berlin. Daher stellt sie in neun Kapiteln jeweils einen griechischen oder römischen Autor der Antike einem klassischen oder modernen Autor oder Autorin gegenüber. Wobei das erste Kapitel hier eine Ausnahme macht, denn hier geht es um die großen Epen Homers einerseits und die Bibel andererseits. Es sind generell spannende und ungewöhnliche Gegenüberstellungen, wie zum Beispiel Catull und Casanova, Euripides und Annie Ernaux. Besonders interessant ist natürlich die jeweilige Begründung und Herleitung der Kombination und das Aufzeigen der literarischen und thematischen Gemeinsamkeiten. Mein persönliches Highlight ist das Kapitel 9: Sappho und Astrid Lindgren.
Mit Textbeispielen stellt Melanie Möller in allen Kapiteln, durchaus ironisch, die theoretisch-rhetorische Frage, ob nicht doch an den Zeitgeist angepasst werden sollte, besonders auch, was das Frauenbild betreffe, um zu begründen, warum genau das falsch wäre. Ihre Argumente und Ausführungen belegt sie durch Textzitate und fachlich fundierte Einblicke in das Leben, die Gesellschaft und die Gedankenwelt jener Zeit, in welcher die besprochenen Werke jeweils entstanden sind. Immer wieder erinnert sie daran, das reale Leben des Schriftstellers von seinem fiktiven Werk und den ebenso fiktiven Figuren zu trennen. So ergibt sich auch ein sehr interessanter Streifzug durch die Welt der Literatur und zum Beispiel auch die Problematik, die entsteht, wenn wir mit dem heutigen Wissensstand und Denkart literarische Frauenfiguren, Ausdrücke, Wortwahl, Sprache aus längst vergangenen Zeitaltern und völlig anderen Kultur- und Gesellschaftskreisen woke interpretieren wollen.
Fazit
Das vorliegende Buch ist kein Sachbuch, sondern definitiv ein Fachbuch. Es ist sicher eine Herausforderung für Leser wie mich, bei denen Latein und die Werke des klassischen Altertums (mit einer Ausnahme, Homers Illias, da mich der Themenkreis Troja nach wie vor fasziniert) mit dem Ende der Gymnasialzeit geendet haben. „Die Studie bemüht sich lediglich um einen weiträumigen Gang durch die Zeiten, um der Geschichte der Gewalt gegen die (in diesem Fall primär literarische) Kunst historische Tiefe und Breite zu verleihen.“ (Zitat Pos. 306). Dies ist der Verfasserin mit dieser lesenswerten Streitschrift gelungen.
„Wir sind nicht verloren. Der Wind kennt meinen Namen und deinen auch. Alle wissen, wo wir sind.“ (Zitat Seite 221)
Inhalt
Im Dezember 1938 versucht Rachel Adler im chilenischen Konsulat in Wien verzweifelt, Visa für sich, ihren Mann Rudolf, und den gemeinsamen Sohn Samuel zu erhalten. Doch die Zeit drängt und so besteigt der sechsjährige Samuel am 10. Dezember gemeinsam mit vielen anderen Kindern, aber ohne seine Eltern, den Zug nach England und ohne zu wissen, ob und wann er sie wiedersehen wird. Anfang Januar 1982 erreicht die kleine Leticia Cordero aus El Salvador in den Armen ihres Vaters, der in einer dunklen Nacht schwimmend den Rio Grande überquert, die Vereinigten Staaten. Nur durch einen Zufall sind die beiden dem Massaker von El Mozote im Dezember 1981 entkommen. Mitte Oktober 2019 wird die siebenjährige Anita Díaz aus El Salvador nach der illegalen Einreise über Mexiko in die Vereinigten Staaten gewaltsam von ihrer Mutter getrennt und in ein Auffanglager für Kinder gebracht. Dort wartet sie sehnsüchtig darauf, dass ihre Mutter sie findet und abholt. Drei Menschen, tief geprägt durch den Verlust von Heimat und Familie, auf der Suche nach Hoffnung und einem sicheren Platz in ihrem Leben.
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Flucht, Vertreibung, Verlust und Eltern, die alles tun, um ihre Kinder zu retten. Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen jedoch die Kinder, denen es gelingt, durch Hoffnung und Phantasie Wege aus ihrer beinahe ausweglosen Situation zu finden und Menschen, denen sie früher oder später begegnen und die ihnen helfen.
Erzählform und Sprache
Isabel Allende schildert die Geschichte von drei Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten geboren wurden und deren Kindheit jeweils viel zu früh und plötzlich durch prägende Ereignisse zu Ende ist. In voneinander unabhängigen Handlungssträngen folgt sie ihren unterschiedlichen Hauptfiguren in einander abwechselnden Kapiteln. Jedes dieser Kapitel trägt als Überschrift den Namen, der im jeweiligen Abschnitt im personalen Mittelpunkt steht, sowie Ort, Monat, Jahr. So bleibt die Geschichte fließend und übersichtlich zu lesen, während die Ereignisse, ebenso wie die Fragen nach möglichen Zusammenhängen für Spannung sorgen. Die Autorin schreibt einfühlsam und nahe der Realität.
Fazit
Eine beeindruckende Geschichte zu zeitlos aktuellen Themen, klug aufgebaute Handlungsstränge, authentische Figuren und Schicksale – ein Leseerlebnis, das nachdenklich stimmt und auch sprachlich überzeugt.
„Mario Conde nahm die geschlossene Akte in die Hand. Ihm schwante, dass sie eine Art Büchse der Pandora sein könnte, und er verspürte keinerlei Lust, die Dämonen der Vergangenheit aus ihr zu befreien.“ (Zitat Seite 22)
Inhalt
Noch sehr angeschlagen von der Silvesterfeier, freut sich Teniente Mario Conde über sein freies Wochenende, als sein Chef anruft und dieses beendet. Denn am Abend des 1. Januar hat die Ehefrau von Rafael Morín Rodríguez ihren Mann als vermisst gemeldet. Dieser Fall ist brisant und Conde muss sofort zu ermitteln beginnen, denn Rodríguez ist der einflussreiche Leiter der Import-Export-Abteilung im Industrieministerium. Da es sich bei Rafael Morín um genau jenen Schulkollegen handelt, der Tamara Valdemira geheiratet hat, die heimliche große Jugendliebe von Mario Conde, begleiten persönliche Erinnerungen den Teniente bei seinen aktuellen Recherchen. Das Leben und Verhalten von Rafael Morín Rodríguez waren immer perfekt, ein untadeliger Mann mit einer weißen Weste, wo sind die Schatten?
Thema und Genre
Der vorliegende Kriminalroman spielt in Kuba. Es ist der erste Band der Serie Havanna Quartett und es geht hier um wesentlich mehr, als das Verschwinden einer Person. Themen sind Politik, Gesellschaft, Jugenderinnerungen, sowie die Lebensträume einer jungen Generation und die Veränderungen im Laufe der Jahre.
Charaktere
Seit zwölf Jahren ist die Hauptfigur, Teniente Mario Conde, bei der Polizei und ebenso lang fragt er sich, warum. Gerade dieser aktuelle Fall führt El Conde weit in seine Vergangenheit zurück und kurz wünscht er sich, wieder sechzehn Jahre alt zu sein, einen anderen Weg für sein Leben auszuprobieren. „Eines Tages vielleicht würde er seine alten Illusionen wieder haben, würde in einem Haus in Cojímar wohnen, wie Hemingway, direkt an der Küste, in einem Holzhaus mit roten Dachziegeln und einem Zimmer zum Schreiben.“ (Zitat Seite 147)
Erzählform und Sprache
Die Handlung wird personal erzählt, die aktuellen Ermittlungen werden ergänzt durch Erinnerungen an Ereignisse im Jahr 1972 und Gedankenströme, sowie Beobachtungen und Schilderungen des Umfeldes und der Situation in Kuba. Zwischendurch wechselt die Erzählform sowohl bei Mario Conde, als auch bei seinem Mitarbeiter Manolo in die Ich-Form, was uns tief in die Gedanken der Figuren eintauchen lässt und die Geschichte auch sprachlich interessant und abwechslungsreich gestaltet.
Fazit
Ein vielschichtiger Kuba-Roman mit interessanten Themen und ebenso facettenreichen Figuren. Eine spannende Geschichte mit atmosphärischen Schilderungen Kubas, auch sprachlich überzeugend.
„Jeder Augenblick, den wir durchleben, verdankt dem vorangegangenen seinen Sinn. Gegenwart und Zukunft würden wesenlos, wenn die Spur des Vergangenen aus unserem Bewußtsein gelöscht wäre.“ (Zitat Seite 25)
Thema, Genre und Inhalt
Ein Lebensbericht, das Tagebuch eines intensiv gelebten Künstlerlebens ist in seiner Gesamtheit noch wesentlich mehr. Diese Autobiografie ist ein eindrückliches, differenzierendes und in seiner Vielseitigkeit umfassendes Bild der Zeit.
Ein kurzer Prolog schildert kurz die Familie Mann und ihr Umfeld bis zu jenem 18. November 1906, an dem Klaus Heinrich Thomas Mann geboren wurde. Ab hier schreibt Klaus Mann chronologisch, beginnend mit der Kindheit, daran anschließend die Zeit des ersten Weltkrieges und die Jahre danach. Wir erleben den Wunsch des jungen Klaus Mann, Schriftsteller zu werden, seine Liebe zur Literatur und zum Theater, seinen ersten Aufenthalt in Paris und die Atmosphäre dieser Stadt, die ihn sofort und für immer anzieht. Klaus Mann ist ein Suchender, der schon früh die gesellschaftspolitischen Entwicklungen, besonders in Deutschland, sehr kritisch und besorgt beobachtet. Diese Sichtweise teilt er mit seiner Schwester Erika und so ist klar, dass sein Lebensweg ins Exil führt. Die nachfolgenden Kapitel sind intensive Zeitdokumente der Situation der Emigranten, besonders der Künstler, die einander in den jeweiligen Städten weiterhin in Künstlerkreisen treffen. Klaus Mann führt der Weg während dieser ersten Jahre der Verbannung aus Deutschland nach Amsterdam, Paris, Nizza, Zürich, dazu kurze Reisen nach Wien und Moskau. Wie auch seine Schwester Erika hält er Vorträge gegen Krieg und Faschismus, zunächst in Europa, dann in Amerika. Das zwölfte und letzte Kapitel „Der Wendepunkt“ umfasst die Jahre 1943 bis 1945 und schildert die Ereignisse dieser Jahre ausschließlich in Briefen von und an Klaus Mann, der die letzten Kriegsjahre als Mitglied der amerikanischen Armee in Italien erlebt.
Neben den Ereignissen und persönlichen Erlebnissen schildert Klaus Mann seine eigenen Gedanken und Eindrücke, seine Hoffnungen, seine Zweifel. „Die Veränderungen, die nach dem Wendepunkt kommen, mögen zunächst nicht sehr drastisch sein, werden es aber im Lauf der Zeit, immer drastischer, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr: im Guten oder im Bösen. Ich prophezeie, daß wir um 1965 eine Welt haben werden, die sehr viel schlechter sein wird als die heutige – oder entschieden besser.“ (Zitat Seite 695)
Fazit
Diese beeindruckende Autobiografie, auch sprachlich großartig, ist ein intensiver, zeitlos aktueller Blick auf die Geschichte und Menschen dieser Zeit und gleichzeitig ein interessantes Bild der Kunst- und Kulturszene.
„Er würde vorsichtig so weit nachforschen, wie es ging. Vielleicht noch etwas weiter – Cotter kannte sich und er wollte immer wissen, was hinter dem Berg war.“ (Zitat Seite 27)
Inhalt
Cotter ist ein Freigeist, er liebt Camping, guten Kaffee und Nordafrika. Auf den Campingplätzen der spanischen Costa de la Luz findet er die Teilnehmer für seine geführten Touren mit Schwerpunkt Marokko. Es sind stürmische Märztage und Cotter weiß, dass nach solchen Nächten am Strand manchmal Schmuggelgut zu finden ist. Doch an diesem Märzmorgen am Strand von Tarifa findet Cotter keine Zigaretten, sondern Menschen, tot, ertrunken. Besonders ein Junge fällt ihm auf, da er sich von den anderen unterscheidet, vermutlich ein Saharaberber. Cotter interessiert das Schicksal hinter dieser Flucht, heimlich nimmt er die Tasche des Toten an sich und folgt dessen Spuren zurück nach Nordafrika.
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um die Hintergründe der Migration aus Afrika nach Europa, das Geschäft mit den Flüchtlingen und die Schicksale der betroffenen Menschen. Themen sind das Leben in Nordafrika mit Schwerpunkt Marokko, Gesellschaft und Tourismus. Die Geschichte ist fiktiv, die Problematik, welche die Menschen in die Boote treibt, ist jedoch beklemmende Realität.
Charaktere
Es sind sehr unterschiedliche Menschen, auf die der Althippie Cotter während dieser besonderen Reise auf den Spuren eines jungen Marokkaners trifft, einige kennt er von früheren Touren, anderen begegnet er unterwegs und einige von ihnen begleiten ihn auf seiner Suche. Parallel dazu tauchen neue Charaktere auf, wir folgen ihrem Schicksal und ihren Entscheidungen. Eines haben alle Charaktere gemeinsam, sie sind eindrücklich und glaubhaft geschildert, ihr Verhalten nachvollziehbar.
Erzählform und Sprache
Der Autor erzählt die Ereignisse in mehreren Handlungssträngen, die aktuell und gleichzeitig stattfinden, oder in einer nahen Vergangenheit stattgefunden haben. Im Mittelpunkt der Handlung stehen immer die jeweiligen Protagonisten, manche vorerst mit ihrer eigenen, unabhängigen Geschichte. Wie der Autor einige diese einzelnen Handlungsstränge der einander zunächst fremden Einzelfiguren als themenverstärkende Erklärungen einsetzt, und sich im späteren Verlauf der Ereignisse annähern lässt, ist gekonnt, lebendig und packend. Hier schreibt ein Theaterregisseur, der jede Szene, jede Entwicklung bis ins Detail überlegt hat. Die Sprache zeigt viele Facetten zwischen salopp, einfühlsam, emotional, eindringlich, und beeindruckt durch lebhafte Schilderungen des Lebens in Nordafrika, der Menschen, der Natur, aber auch der Gedanken und Hintergründe. Hier schreibt ein Autor, der sich auskennt, genau beobachtet, und die Problematik sachlich und fundiert von unterschiedlichen Seiten beleuchtet.
Fazit
Eine spannende Geschichte, dazu viele Informationen und wissenswerte Fakten, großartige Schilderungen der Menschen, der Städte und Landschaften Marokkos. Darin eingebunden sind brisante aktuelle Themen und eine kritische Auseinandersetzung mit Politik und Gesellschaft. Dieses Buch hilft zu verstehen, ohne belehren zu wollen, es überzeugt als Gesamtpaket von der ersten Seite an.
„In diesem magischen Jahr entdeckt Hélène ein neues Land, bevölkert von Schriftstellern und Worten. Jedes Buch ist eine Schatzkiste.“ (Zitat Pos. 173)
Inhalt
Marguerite Renaud, eine erfolgreiche Dozentin für Literaturwissenschaften in Paris, ist mit dem erfolgreichen Krimi-Schriftsteller Raymond Berger verheiratet. Als Raymond vorschlägt, für einige Zeit in die Bretagne zu ziehen, in der Hoffnung, in der wilden Einsamkeit seine Schreibblockade überwinden zu können, sagt sie zu. Sie verschweigt Raymond, dass auch sie einen Grund hat, ausgerechnet in die Finistère zu ziehen. Marguerite ist auf der Suche nach ihrer Mutter, die sie nach der Geburt zur Adoption freigegeben hat und aus dieser Gegend stammte. Marguerite nimmt eine Vertretungsstelle als Französischlehrerin am Gymnasium in Bois d‘en Haut an. Dort trifft sie auf die sechzehn Jahre alte Hélène und sie erkennt rasch die Begabung des Mädchens. Während Hélène sich begeistert der Literatur zuwendet, entsinnt sich ihr Freund Yannik plötzlich seiner bretonischen Wurzeln. Die Ereignisse dieses Sommers werden genau beobachtet von der druidischen Kräuterfrau Mamie Alexine, Hélènes Großmutter, und deren bester Freundin Émile Tanguy, Inhaberin des Dorfladens.
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Gesellschaftsstrukturen, Familie, Frauenleben, Literatur, Nationalismus und alte Traditionen in der Bretagne.
Erzählform und Sprache
Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Einstieg in der Gegenwart, führt dann zwanzig Jahre zurück zu einem bestimmten Tag im Jahr 1994 und beginnt von dort an, in einem umgekehrten, rückwärtsgerichteten Zeitablauf, die Ereignisse aufzurollen. Parallel dazu führt ein zweiter Erzählstrang weitere fünfzig Jahre zurück und bietet dadurch auch Hinweise auf die bretonische Geschichte. Erinnerungen und Gedanken vertiefen die Erlebnisse und Charaktere der einzelnen Figuren. Es sind unterschiedliche Figuren, deren Verhalten nicht immer nachvollziehbar ist, da sich die Geschichte aus den Konflikten und den Handlungen der einzelnen Figuren ergibt. Die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsroman und ist leicht zu lesen.
Fazit
Dieser Frauen- und Generationenroman konnte meine Erwartungen nicht ganz erfüllen. Die Geschichte wirkt auf mich zu bewusst konstruiert und die Figuren zu klischeehaft. Die abwechslungsreiche Erzählform macht diesen Roman dennoch zu einer angenehm zu lesende Unterhaltungslektüre, die sicher andere Leserinnen begeistern wird.
„Als sie das Internat betrat, hatten sich die Betreuerinnen in einer Reihe aufgestellt und die Kinder angelächelt, in deren Gesichtern die Tränen Spuren hinterlassen hatten. Vor allen stand die Heimleiterin Rita Olsson, die sie Hausmutter nennen sollten. Sie lächelte nicht.“ (Zitat Pos. 49)
Inhalt
Vor zwei Wochen war auch die siebenjährige Else-Maj in dem Bus gesessen, der die Kinder aus den Sami-Dörfern einsammelte und in die Nomadenschule brachte, ein Internat in Láttevárri, wo sie die schwedische Sprache und Kultur lernen sollen. Wer von der gefürchteten Hausmutter Rita Olssen dabei erwischt wird, samisch zu sprechen, wird streng bestraft. Hilfe und Unterstützung finden sie bei der jungen Erzieherin Anna, doch diese verlässt eines Tages plötzlich das Internat. Die Jahre in der Nomadenschule, fern von ihren Heimatdörfern und ihren Familien, traumatisieren und prägen die Kinder wie Else-Maj, Jon-Ante, Nilsa, Marge und Anne-Risten für ihr weiteres Leben. Auch wenn sie nicht über diese schlimme Zeit reden, die Erinnerungen lassen sie auch nicht los, als sie längst erwachsen und selbst Eltern sind.
Thema und Genre
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Sami auch in Schweden diskriminiert und unterdrückt, man zwang die Eltern, ihre Kinder auf sogenannte Nomadenschulen zu schicken, wo der Unterricht ausschließlich in schwedischer Sprache stattfand. Es war verboten, samisch zu sprechen und die Zustände in diesen Schulen haben die betroffenen Menschen über Generationen traumatisiert. Obwohl es sich hier um einen Roman handelt, sind viele reale Erinnerungen von Schülerinnen und Schülern der Nomadenschulen in die Handlung eingeflossen.
Erzählform und Sprache
Die Autorin folgt ihren Hauptfiguren in einzelnen Abschnitten und mit einigen Zeitsprüngen über mehr als dreißig Jahre, beginnend 1950. Durch den jeweiligen Namen und auch das Jahr in den Kapitelüberschriften ist die Handlung jedoch sehr klar strukturiert und nachvollziehbar. Gerade diese Art des Erzählens macht die Geschichte packend, lebhaft und vielschichtig auf Grund der Entwicklung der einzelnen Charaktere als Folge der Kindheitserlebnisse. In Verbindung mit der präzise schildernden, empathischen Erzählsprache ergibt sich ein eindrucksvolles, berührendes Gesamtbild.
Fazit
Eine fiktive Geschichte mit realem geschichtlichen Hintergrund, ein beeindruckender Roman über die Sami, ihre Kultur, ihr freies Leben in der Natur und die Schicksale ihrer Kinder, die mit etwa sieben Jahren aus diesem Leben gerissen und in strenge Internate gebracht wurden, wo man versucht hat, sie mit Zwang umzuerziehen. Eine Lektüre, die nachhallt und die man noch lange in den Gedanken behält.
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