„Marseille 1940: Die große Flucht der Literatur“ – Uwe Wittstock

AutorUwe Wittstock
Verlag C. H. Beck
Erscheinungsdatum 28. Februar 2024
FormatGebundene Ausgabe
Seiten351
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3406814907

„Nun sind sie zwar privilegierte Besitzer amerikanischer Einreisevisa, doch im Grunde ändert das wenig an ihrer prekären Lage, denn die Franzosen erteilen keine Ausreisevisa.“ (Zitat Seite 248)

Thema und Inhalt

Viele Menschen, die seit 1933 aus Deutschland und vor Hitler geflohen sind, fühlen sich in Frankreich sicher. Dies ändert sich dramatisch, als die Deutschen im Juni 1940 Paris erreichen und am 22. Juni 1940 mit Frankreich einen Waffenstillstand schließen, denn nun sind sie wieder im Visier der Gestapo, auf deren Fahndungslisten ihre Namen weit oben zu finden sind: Schriftsteller, Künstler und linke Intellektuelle. Am 25. Juni 1940 wird in New York das Emergency Rescue Commitee gegründet, um die bedrohten Künstler zu retten, die sich teilweise bereits in Internierungslagern befinden. Eine geeignete Person soll in Marseille heimlich ein Büro des ERC aufbauen. Doch dies alles dauert dem Journalisten Varian Fry, einem der Gründer des ERC, zu lang und er übernimmt die Aufgabe in Marseille persönlich, für drei Wochen, denkt er, doch es werden schließlich fünfzehn Monate. Von ihm und seinen Mitstreitern, von abenteuerlichen Fluchtwegen, Künstlerschicksalen zwischen Hoffnung und Resignation, Erfolg und Scheitern, erzählt dieses Buch.

Umsetzung

Kurze Vorgeschichten im Juli 1935 leiten das Hauptthema, die Zeit zwischen Mai 1940 und Oktober 1941, ein. Ein Kapitel, welches die anschließenden und späteren Ereignisse im Leben der Hauptpersonen schildert, ein kurzes Nachwort, eine ausführliche Literaturangabe und ein Personenregister finden sich am Ende des Buches.

Uwe Wittstock erzählt die Ereignisse chronologisch und parallel, die jeweiligen Kapitel tragen Orts- und Datumsangabe, da sie oft gleichzeitig stattfinden. So beleuchtet er auch das politische Geschehen und fügt so erklärende Details und Wissen in die Handlung ein. Diese Handlung, das Kernstück dieses Buches, folgt Heinrich und Golo Mann, Lion Feuchtwanger, Anna Seghers, Walter Benjamin, Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel, Hannah Arendt, den Malern Marc Chagall und Max Ernst. Die eindringlich und lebhaft geschilderten Einzelepisoden ergeben ein facettenreiches, anschauliches Bild dieser Zeit, der Menschen, ihrer Entscheidungen und Schicksale. Dieses Buch ist aus umfangreichen Recherchen entstanden und schildert Ereignisse, die tatsächlich in dieser Form stattgefunden haben.

Fazit

Dieses Sachbuch, eine Dokumentation und eine sehr spannende Geschichte dieses besonderen Jahres 1940 für Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle, hat mich tief beeindruckt. Geschichte, mit bisher kaum bekannten Details und Informationen zeitlos erlebbar gemacht, eine Leseempfehlung aus Überzeugung.

Das Kreuz des Nordens – Hendrik Falkenberg

AutorHendrik Falkenberg
VerlagEdition M
Datum8. Dezember 2015
AusgabeKindle
Seiten498 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB017BCMC2S

„Denk nicht nur an die offensichtlich Verdächtigen. Dann übersiehst du ganz schnell jemanden.“ (Zitat Seite 442)

Inhalt

Die Ermittlungen konzentrieren sich auf den spektakulären Mord durch Kreuzigung, dass auch eine Frauenleiche gefunden wurde, geht da im öffentlichen Interesse unter. In diesem zweiten Fall für den jungen Sportler und Kriminalpolizisten Hannes Niehaus finden sich rasch Verdächtige und Motive in zwei rivalisierenden Glaubensgemeinschaften. Doch irgend etwas passt für Hannes Niehaus nicht ins Gesamtbild dieses komplexen Falles.

Thema und Genre

In diesem zweiten Teil der Ostsee-Krimi-Serie mit dem Ermittler Hannes Niehaus geht es um religiöse Überzeugungen, Glaube und Fanatismus. Obwohl vom Verlag als Ostsee-Krimi eingestuft, gehört diese Serie für mich ins Genre Thriller.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird in zwei parallelen Handlungssträngen geschildert. Wir folgen chronologisch den Ermittlungen, erfahren weitere Details und neue Spuren. Gleichzeitig lesen wir die Gedanken, welche die Taten begründen, natürlich ohne Hinweise, um wessen Gedankengänge und Überlegungen es sich handelt.

Fazit

Spannende Unterhaltung.

Die Zeit heilt keine Wunden – Hendrik Falkenberg

AutorHendrik Falkenberg
VerlagEdition M
Datum21. April 2015
AusgabeKindle e-book
Seiten508 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB00U9SQIT0

„Dann ist es wohl deine Aufgabe herauszufinden, wohin dieses Seil verschwunden ist. Willkommen in deinem ersten Fall.“ (Zitat Seite 44)

Inhalt

Als der Wunsch des jungen Kanusportlers und Polizisten Hannes Niehaus in Erfüllung geht und er zur Kriminalpolizeit wechseln kann, rechnet er nicht damit, sofort in einem äußerst komplexen Fall eingesetzt zu werden. Ein alter Mann findet am Strand eine Leiche, angeblich Tod durch Ertrinken, doch ein paar merkwürdige Details fallen der Rechtsmedizinerin auf. Gleichzeitig verschwindet eine junge Frau spurlos. Kriminalhauptkommissar Fritz Janssen, der neue Vorgesetzte von Hannes Niehaus, ist absolut nicht begeistert, drei Jahre vor der Pensionierung nochmals einen neuen Kollegen ausbilden zu müssen. Er ist ein eigenwilliger Einzelgänger und arbeitet am liebsten allein. Doch im Laufe der Ermittlungen zeigt sich, dass diese Zusammenarbeit auch eine besondere Chance ist, nicht nur für Hannes Niehaus.

Thema und Genre

In diesem Ostsee-Krimi, Band 1 der Serie um den Sportpolizisten Hannes Niehaus, geht es um eine Schuld in der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart nicht vergessen wurde.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte wird abwechselnd in zwei Handlungssträngen geschildert, welche gleichzeitig in der Gegenwart stattfinden. Die straffe Handlung erstreckt sich über wenige Tage, was das Tempo und damit auch die Spannung erhöht. Die Sprache entspricht dem Genre, nimmt sich aber auch Zeit für Erklärungen, Schilderungen und Details.

Fazit

Ein spannender Auftakt einer Serie, interessante Ermittlerfiguren und eine gut entwickelte Geschichte mit Raum für eigene Überlegungen und überraschende Wendungen.

Die Verwandlung – Graphic Novel nach Franz Kafka

AutorFranz Kafka
Szenarist: Eric Corbeyran
IllustratorHorne
Verlag Knesebeck Verlag
Erscheinungsdatum 24. August 2010
FormatGebundene Ausgabe
Seiten48
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3868732665

„Als Gregor Samsa eines Morgens erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ (Zitat Seite 5)

Thema und Inhalt

Gregor Samsa erhält durch seine Tätigkeit als reisender Tuchhändler seine Familie, das sind seine Eltern und seine Schwester. Nach einem unruhigen Traum erwacht er als riesiges Ungeziefer mit einem dicken Rückenpanzer und dünnen Beinchen, hält dies zunächst immer noch für einen Traum. Doch rasch stellt er fest, dass er sich tatsächlich verwandelt hat, es ist sein Bett und sein Zimmer. Wie soll er dies seiner Familie beibringen, auch sein Chef fragt schon ungeduldig nach ihm. Eine beklemmende, traurige Geschichte, die viele Deutungsmöglichkeiten zulässt.

Gestaltung

Eric Corbeyran bleibt bei seiner Umsetzung von Kafkas bekannter Erzählung als Graphic Novel nahe am Originaltext und fängt so auch die ursprüngliche Stimmung der Geschichte perfekt ein, welche durch Hornes Illustrationen beeindruckend umgesetzt und vertieft wird.

Fazit

Eine beklemmende, aber auch sehr berührende Version von Kafkas bekannter Erzählung von einem Menschen, der sich über Nacht in eine große Schabe verwandelt, eine großartige Ergänzung zu Franz Kafkas Werk.

Die Herrlichkeit des Lebens – Michael Kumpfmüller

AutorMichael Kumpfmüller
VerlagFISCHER Taschenbuch
Datum17. Januar 2013
AusgabeTaschenbuch
Seiten240
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3596193608

„Auch der Doktor hat sein halbes Leben gewartet, zumindest ist das im Nachhinein sein Gefühl, man wartet und glaubt nicht daran, dass noch jemand kommt, und auf einmal ist genau das geschehen.“ (Zitat Seite 29)

Inhalt

Während eines Aufenthaltes in Graal-Müritz an der Ostsee lernt Franz Kafka im Sommer 1923 Dora Diamant kennen. Dora Diamant, fünfundzwanzig Jahre alt, arbeitet für das Berliner Jüdische Volksheim und betreut eine Feriengruppe. Zu diesem Zeitpunkt ist Franz Kafka vierzig Jahre alt und auf Grund seiner Krankheit bereits pensioniert. Doch mit Dora wagt er nochmals einen Neubeginn, gemeinsam beziehen sie eine Wohnung in Berlin-Steglitz. An ihrer Liebe ändern auch finanzielle Probleme, die Ablehnung der gegenseitigen Eltern und Kafkas Krankheit nichts.

Thema und Genre

m Mittelpunkt dieses Romans stehen der Schriftsteller Franz Kafka und Dora Diamant, seine letzte Lebensgefährtin. Themen sind das Leben des Schriftstellers, das Schreiben, Freundschaft, Familie, und vor allem die Liebe. Es geht auch um Deutschland während der Epoche der Weimarer Republik.

Erzählform und Sprache

Der Autor gliedert die Geschichte dieses besonderen Jahres von Franz Kafka und Dora Diamant in drei große Abschnitte und erzählt sie chronologisch. Er baut viele Details und Wissenswertes aus Tagebüchern und Briefen in die Handlung ein. So ergibt sich ein klares Bild Kafkas mit allen Zweifeln und Gefühlsschwankungen, sein teilweises Zaudern, das schon seine früheren Beziehungen geprägt hat, sein problematisches Verhältnis zu seinen Eltern und seinen Geschwistern. Gleichzeitig erfahren wir auch, wie Dora Diamant ihren „Doktor“ sieht, ihre Hoffnungen, Zukunftsträume und Sorgen. „Ein inneres Feuer, stellt sie sich vor, etwas, das sich erneuert, vielleicht nicht nur aus sich selbst, aber zum größten Teil, weil er liebt und wiedergeliebt wird, aus seiner großen Zuneigung zu allem und jedem.“ (Zitat Seite 211) Die Erzählsprache ist leise fließend.

Fazit

Ein einfühlsamer, poetischer Roman über die Kraft der Liebe und die Überraschungen des Lebens.

Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft – Volker Weidermann

AutorVolker Weidermann
Verlagbtb Verlag
Datum10. August 2015
AusgabeTaschenbuch
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3442748914

„Die Welt will schlafen, um in Frieden zu leben. Und die kleine Ostende-Gruppe hasst ihre Machtlosigkeit, hasst sie bis zur Verzweiflung.“ (Zitat Seite 92)

Inhalt

Im Sommer 1914 war Stefan Zweig zum ersten Mal in diesem belgischen Badeort am Meer gewesen, bis der Sommer, an dessen herrliche Tage er sich noch immer erinnert, damals am 28. Juli plötzlich geendet hatte – Österreich hatte Serbien den Krieg erklärt. Nun ist er wieder hier, in diesem Sommer 1936 und mit ihm Schriftsteller, die ihre Heimat Deutschland verlassen haben, auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Joseph Roth, Irmgard Keun, Egon Kisch, Arthur Koestler, Ernst Toller, Hermann Kesten, sie alle genießen wie Stefan Zweig die ausgelassene Stimmung am Strand, Sonne und Meer, die Gespräche in den Caféhäusern und Bistros. Doch die Wehmut des Abschiednehmens schwingt in  diesen Tagen mit, und die Sorge vor einer ungewissen Zukunft.

Thema und Genre

Es ist die Geschichte von deutschsprachigen Schriftstellern im Exil, deren Bücher im NS-Deutschland verboten und verbrannt worden waren, von einem letzten Sommer im berühmten belgischen Badeort Ostende, bevor sich ihre Wege trennen.

Erzählform und Sprache

Volker Weidermann erzählt ruhig fließend und einfühlsam von diesen Tagen und den Menschen. Er folgt den einzelnen Personen abwechselnd, sie treffen einander wieder, oder lernen einander hier kennen. Im Mittelpunkt steht die besondere Freundschaft zwischen Stefan Zweig und Josef Roth. Der Zeitrahmen spannt sich vom Sommer 1936 bis ins Jahr 1939 und wird durch Erinnerungen an vergangene Ereignisse ergänzt. Das letzte Kapitel schildert das weitere Schicksal aller Hauptfiguren.

Fazit

Eine umfangreiche Recherche und fundiertes Fachwissen verbinden diese fiktive Geschichte des Sommers 1936 in Ostende mit den Fakten der deutschsprachigen Literatur und Schriftsteller im Exil.

Lass die Sonne scheinen – José M de Vasconcelos

AutorJosé M de Vasconcelos
VerlagUrachhaus
Datum11. Februar 2020
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten304
SpracheDeutsch
ÜbersetzungWiebke Augustin, Carla Koeser
ISBN-13978-3825152062

„Ich hatte einen Freund gefunden, hatte eine Woche frei und konnte es kaum erwarten zu erfahren, wie mein Leben sich verbessern würde.“ (Zitat Seite 24)

Inhalt

José „Sesé“ aus „Mein kleiner Orangenbaum“ ist inzwischen zehn Jahre alt und lebt als Pflegesohn bei einer begüterten Arztfamilie. Daher kann er die höhere Maristen-Klosterschule besuchen, doch er fühlt sich als Außenseiter und die strenge Einteilung seiner Tage in seiner neuen Familie engt ihn ein. „Sie wollen mich perfekt machen, wozu weiß ich nicht.“ (Zitat Seite 33) Die innere Traurigkeit nach seinen prägenden Verlusten der Kinderzeit ist geblieben, doch auch seine lebhafte Phantasie und die Ideen für besondere Streiche. Verständnis findet er bei Bruder Fayolle, bei Maurice und natürlich bei seinem besonderen Freund, der Cururu-Kröte Adão, der sich bemüht, endlich die Sonne in Sesés Herz zu bringen.  

Thema und Genre

In diesem Roman mit autobiografischem Hintergrund geht es um die Probleme von Jugendlichen, die Zweifel und Hoffnungen, ihre innere Einsamkeit und das teilweise Unverständnis der Erwachsenen.

Erzählform und Sprache

Sesé ist das erzählende Ich seiner Geschichte, die er in chronologischen Episoden schildert, ergänzt durch seine Erinnerungen. Durch diese Erzählform erhalten wir auch tiefe Einblicke in seine Gefühlswelt, seine Gedanken, Vorstellungen und natürlich auch in seine Zweifel und Konflikte. Immer wieder schildert er seine Ideen, wie es zu seinen zahlreichen Streichen in der Schule und auch in der Nachbarschaft kam und beschreibt auch, wie er seine Pläne dann ausführt, sowie die jeweiligen Folgen für ihn selbst. Teilweise beginnen diese Streiche die Geschichte zu dominieren und im Gegensatz zu seinen phantasievollen Geschichten, die er in einer Realität seiner Gedanken durchlebt, finden sie tatsächlich statt. Die Sprache übernimmt einfühlsam und authentisch die Gedankenwelt eines Heranwachsenden.

Fazit

Eine berührende, poetische, manchmal sehr traurige Geschichte über die schwierigen Jahre des Heranwachsens eines einsamen, durch frühe Verluste geprägten Jungen. Eine Zeit, die geprägt ist von Fragen, Sehnsüchten, der ersten Liebe, aber auch von phantasievoll ausgeheckten Streichen.

Hölle und Paradies: Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur – Bettina Baltschev

AutorBettina Baltschev
VerlagBerenberg Verlag
Datum9. Februar 2024
AusgabeTaschenbuch
Seiten200
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3949203848

„Landshoff, der bisher gemeinsam mit Gustav Kiepenheuer den Berliner Gustav Kiepenheuer Verlag geleitet hatte, führt auch nur wenig Gepäck bei sich, weil er nicht weiß, wie lange sein Aufenthalt dauern wird.“ (Zitat Seite 17)

Inhalt

Im April 1933 reist der junge Verleger Fritz Landshoff von Berlin nach Amsterdam. Der Amsterdamer Verleger Emanuel Querido plant die Gründung eines deutschsprachigen Exilverlages und Landshoff sagt zu. Es bleibt ihm nur wenig Zeit, Autoren für ein Herbstprogramm zu finden, doch nach nur einer Woche hat er bereits neun Verträge abgeschlossen, weitere folgen rasch. Der größte menschliche Gewinn des Exils in Amsterdam wird für Landshoff jedoch die Freundschaft mit Klaus Mann.

Thema und Genre

In diesem Buch geht es um die Geschichte des 1933 in Amsterdam entstandenen Querido-Verlages, einer der wichtigsten deutschen Exilverlage, und die Autoren und Autorinnen der deutschen Exilliteratur.

Erzählform und Sprache

Bettina Baltschev folgt im heutigen Amsterdam den Spuren des Verlages und in diesen Rahmen fügt sie die Verlagsgeschichte zwischen 1933 und 1950 ein, die eng mit mit Emanuel Querido und Fritz Landshoff verbunden ist. Vor allem jedoch schildert die Autorin das Leben der bekannten deutschen Exilschriftsteller dieser Zeit. Zu den ersten, 1933 veröffentlichen Büchern gehören auch zwei Romane von Lion Feuchtwanger, 1950 erscheint das letzte Buch des Querido Verlages, „Klaus Mann zum Gedächtnis“, herausgegeben von Erika Mann. Bettina Baltschev geht es bei ihren Recherchen vor allem um das Leben im Exil und die damit verbundenen Unsicherheiten und Gefühle der Autoren und Autorinnen nach dem Verlust der Heimat. So ergibt sich ein beeindruckendes, interessantes Bild jener Jahre in Amsterdam, welches sich durch ihre Streifzüge mit der Gegenwart verbindet. Am Buchende findet sich eine nach Jahren geordnete Liste der im Querido-Verlag veröffentlichten Autoren und Autorinnen und die entsprechenden Titel ihrer Werke. Eine Zusammenstellung ausgewählter Literatur schließt das Buch ab.

Fazit

Ein großartig erzählter Streifzug durch Amsterdam, durch die Geschichte der Verleger und Autoren in den Jahren 1933 bis 1950, lebhafte, packende Schilderungen, welche die Vergangenheit mit der Gegenwart verbinden.

Mein kleiner Orangenbaum – José Mauro de Vasconcelos

AutorJosé Mauro de Vasconcelos
VerlagUrachhaus
Datum1. September 2021
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten199
SpracheDeutsch
ÜbersetzungMarianne Jolowicz
ISBN-13978-3825176730

„Du heißt nicht umsonst José. Du wirst die Sonne sein, und die Sterne werden um dich leuchten.“ (Zitat Seite 21)

Inhalt

Als José, genannt Sesé, fünf Jahre alt ist, kann er lesen. Er hat es sich selbst heimlich beigebracht. Er ist neugierig auf das Leben, steckt voller Geschichten und hat ständig neue Ideen für Streiche, die er lustig findet. So wird er oft streng bestraft, auch für Dinge, die nicht er getan hat. Als sie in ein kleineres Haus ziehen müssen, weil der Vater arbeitslos ist, steht dort im Garten ein sehr kleiner Orangenbaum. Dieses Bäumchen, Sesé nennt es „Knirps“, wird sein bester Freund. Mit ihm erlebt er seine Phantasieabenteuer und ihm erzählt er alle seine Sorgen. Bis zur Sache mit der Glasscherbe, denn nun hat er wirklich einen Freund, Manuel „Portuga“ Valadares und wenn man sich seinen Vater hätte aussuchen können, dann hätte Sesé sich Portuga gewünscht.

Thema und Genre

In diesem autobiografischen Roman geht es um einen Jungen, der in sehr einfachen Verhältnissen in Brasilien aufwächst. Themen sind Kinderarmut, Kinderwelt und Erwachsenenwelt, Phantasie, die Natur, Zuwendung und Liebe.

Erzählform und Sprache

Der Zeitrahmen umfasst nur ein Jahr und es ist die Hauptfigur Sesé, der die Geschichte als Ich-Erzähler schildert. Er nimmt uns mit in seine eigene Welt, teilt mit uns die phantasievollen Geschichten, die er sich ausdenkt, seine Gedanken und seine eigene Auslegung für Geschehnisse aus der Welt der Erwachsenen, die durch Erklärungen in Form von Gesprächen ergänzt werden. Es sind Details und Alltagsereignisse, die sich so mit seinen Träumen, Wünschen, aber auch Ängsten verbinden. Die poetische Sprache beeindruckt durch ihre sanfte Intensität.

Fazit

Eine sehr zärtliche, gefühlvolle Geschichte, die sich mit der Traurigkeit der Realität verbindet und dennoch positiv nachklingt.

„Zauber der Stille: Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten – Florian Illies

AutorFlorian Illies
Verlag S. FISCHER
Erscheinungsdatum 25. Oktober 2023
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3103972528

„Denn der Himmel glüht wie Feuer, das Wasser steht majestätisch still, die Erde schweigt und die Luft flüstert uns ein Geheimnis zu. Friedrich lässt hier aus dem Tosen der vier Elemente plötzlich den Zauber der Stille entstehen.“ (Zitat Seite 38)

Thema und Inhalt

Dieses Buch ist keine Biografie, sondern ein breit angelegtes Bild einer Epoche, das uns nicht nur durch die Malerei, sondern gleichzeitig durch zweihundertfünfzig Jahre deutsche Zeitgeschichte führt. Im Mittelpunkt stehen Caspar David Friedrich, Episoden aus seinem Leben und seine Bilder. Doch der Weg führt weiter, zum Beginn des 20. Jahrhunderts, als seine Werke als altmodisch galten und niemanden interessierten, zu seiner Wiederentdeckung und die rasch erwachende Begeisterung und Faszination für seine Werke, die bis heute anhält.

Umsetzung

Im Mittelpunkt der ersten Geschichte „Auf dem Segler“, gleichsam eine Einleitung, steht seine Hochzeitsreise auf die Insel Rügen und die Überfahrt nach Stralsund, ein Ausschnitt des später dazu entstandenen Gemäldes bildet den Buchumschlag.

Es folgen vier große Abschnitte, die den vier Elementen entsprechen: Feuer, Wasser, Erde, Luft, eine Einteilung, die der Liebe zur Natur des Künstlers folgt. Episoden aus dem Leben Caspar David Friedrichs, werden mit der Entstehung von Bildern zum jeweiligen Thema, mit geschichtlichen Ereignissen und dem weiteren Weg der Bilder verbunden. Gleichzeitig erhalten wir einen tiefen Einblick in Caspar David Friedrichs Entwicklung als Künstler, von der Zeichnung zur Farbe, in seine Beweggründe und die Höhen und Tiefen seines Lebens. „Ich muß allein bleiben und wissen, dass ich allein bin, um die Natur vollständig zu schauen und zu fühlen. Ich muß mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinigen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin.“ (Zitat Seite 230, Aussage CDF)

Wir begegnen Weggefährten und späteren Bewunderern seiner Werke. Die vielen unterschiedlichen Blickwinkel, aus denen sich Florian Illies dem Künstler nähert, und die interessante Vielfalt der Themen sind das Resultat einer ausführlichen, genauen Recherche und machen dieses Buch zu einer literarischen Schatzkiste, die man neugierig öffnet und begeistert liest.

Am Buchende finden sich eine Zeittafel, Vorschläge für weiterführende Literatur und der Abbildungsnachweis zu den vier Bildern, die jeweils einen Abschnitt einleiten.

Fazit

Florian Illies erzählt die Geschichte Caspar David Friedrichs, indem er dem Spuren seiner Bilder folgt, von der Entstehung bis heute. Er spürt auch den Weg der nicht mehr vorhandenen Bilder auf, ergründet die Ursachen ihres Verschwindens. So ergibt sich ein breit gefächerter, poetischer und beeindruckender Spaziergang durch die Zeit.

Der Nebel von gestern – Leonardo Padura

AutorLeonardo Padura
VerlagUnionsverlag
Datum1. Februar 2010
AusgabeTaschenbuch
Seiten384
SpracheDeutsch
ÜbersetzungHans-Joachim Hartstein
ISBN-13978-3293204843

„Die Bolerosängerinnen damals, das waren ganz besondere Frauen. Frauen mit Charakter, wie geschaffen für die Musik, die sie sangen.“ (Zitat Seite 88)

Inhalt

Mehr als dreizehn Jahre sind vergangen, seit Mario Conde die Kripo verlassen hat und nun als Antiquar tätig ist. Gerade in diesen Zeiten der Wirtschaftskrise werden kaum mehr neue Bücher veröffentlicht, Privatbibliotheken werden aus Not jedoch verkauft. El Conde spürt interessante Sammlungen auf, sein Geschäftspartner Yoyi „El Palomo“ bringt diese dann auf den Markt. In einem alten Haus, dessen ehemalige Eleganz noch spürbar ist, entdeckt El Conde eine umfangreiche Bibliothek mit wertvollen Erstausgaben. Die Geschwister Amalia und Dionisio Ferrero, die mit ihrer neunzigjährigen Mutter in dem Haus leben, brauchen das Geld, um nicht zu verhungern. In einem alten Kochbuch findet El Conde einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1960 über die junge, schöne und erfolgreiche Bolerosängerin Violeta del Rio und ihren überraschenden Rücktritt von der Bühne. Das Bild und die Stimme der Bolerosängerin ziehen El Conde beinahe magisch an und er beginnt nachzuforschen, was damals geschehen ist. Eines frühen Morgens jedoch steht plötzlich Manuel Palacios, inzwischen Capitán, vor El Condes Tür. Dionisio Ferrero ist in seinem Haus ermordet worden, El Conde und El Palomo stehen unter Mordverdacht.

Thema und Genre

Gibt es den epischen Kriminalroman schon als Genre, denn besser kan man diesen Roman nicht beschreiben. Es geht um Politik und die Wirtschaftskrise in Kuba, das blühende, lebhafte, schillernde Nachtleben Havannas in den Clubs der vorrevolutionären fünfziger Jahre, um Musik, Schicksale, Freundschaft, Liebe und natürlich um Literatur und alte, wertvolle Bücher.

Charaktere

Die einzelnen Protagonisten in beiden Handlungssträngen bieten eine bunte Vielfalt, sie alle sind realistisch und absolut glaubhaft charakterisiert. Seine Heimatstadt Havanna, in der Bandenkriminalität und Armut allgegenwärtig sind, wird Mario Conde immer fremder, ihm bleiben seine Erinnerungen, die ihn bei seinen Streifzügen durch die alten Viertel begleiten. „In dieser Nacht der Verirrungen sah er sich vor die Tatsache des allgemeinen Scheiterns gestellt, das er selbst verkörperte, er und seine brutale Entwurzelung inmitten einer im Nebel der Erinnerungen versunkenen und einer anderen, sich auflösenden Welt.“ (Zitat Seite 211, 212)

Erzählform und Sprache

Die aktuelle Handlung wird unterbrochen durch eine Reihe von Briefen, die jemand zwischen Oktober und März eines bestimmten Jahres in der Vergangenheit schreibt. Die Jahreszahl fehlt, lässt sich jedoch nachvollziehen, wer diese Briefe schreibt, lässt sich nur vermuten. Erst im Laufe der fortschreitenden Handlung und durch Condes Recherchen, Erinnerungen und Gespräche ergeben sich Hinweise und weitere Teile eines Puzzles der Ereignisse in den fünfziger Jahren. Gleichzeitig malt Leonardo Padura durch seine lebhaften Schilderungen ein eindrückliches und interessantes Bild Havannas in den fünfziger Jahren und in der Zeit der aktuellen Handlung, die ersten Jahre des einundzwanzigsten Jahrhunderts.  

Fazit

Eine bildintensive, epische Zeitreise durch das pulsierende Leben in Havanna, seine Kultur, Musik und Literatur und gleichzeitig eine packende Geschichte über Träume, Hoffnungen und menschliche Leidenschaften. 

Eins + eins = drei – Lutz Flörke & Vera Rosenbusch

AutorLutz Flörke
AutorinVera Rosenbusch
Verlag BoD
Erscheinungsdatum 27. Februar 2024
FormatTaschenbuch
Seiten152
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3758330704

„Die Buchen sterben ja nicht aus, nur die Bücher. Gerade als ich damals, vor ewigen Zeiten mit dem literarischen Schreiben beginnen wollte, erreichte mich die Nachricht, das Gutenbergzeitalter sei vorbei.“ (Zitat Seite 9, 10 – Kollektivtext)

Thema und Inhalt

Die Idee dieser besonderen Zusammenarbeit ergab sich bereits vor vielen Jahren im Literaturlabor, daraus entstanden neben eigenen Veröffentlichungen gemeinsame Projekte wie Bühnenprogramme, Literarische Salons, Literarische Spaziergänge durch Hamburg. Nun liegt dieser erste gemeinsame Erzählband vor. Die Texte ergeben sich aus individuellen Zugängen zum Schreiben und Erzählen, kurze Geschichten, Fragmente in Fragen und überraschenden Antworten, Gedanken und spontane literarische Schilderungen von im Grunde alltäglichen Ereignissen.

Umsetzung

In diesem Jahrbuch Nr. I schreiben sich Lutz Flörke und Vera Rosenbusch einzeln oder im Kollektiv in insgesamt fünfundzwanzig Geschichten durch alle Monate eines Jahres, beginnend im April, endend mit zwei Märzgeschichten. Flörke & Rosenbusch sind genaue Beobachter, die sich Gedanken machen, kritisch, spontan, oft mich überraschenden Ergebnissen und mit einem großen Augenzwinkern. In jedem Satz, jeder Geschichte spürt man die große Lust am Erzählen und am Ausloten der vielfältigen Möglichkeiten, welche sich durch wechselnde Perspektiven und ebenso facettenreiche Ausdrucksformen ergeben.

„Eine Postkarte ohne Bild fällt heraus. Segelt, ganz langsam, durch den Bücherduft, gleitet, schwebt.“ (Zitat Seite 53 – Flörke)

„Ich bin eine Dichterin und brauche eine eigene Welt. Die schreibt mir der gestreifte Füller.“ (Zitat Seite 134 – Rosenbusch)

Fazit

Aus alltäglichen Situationen im Jahreslauf entstehen ungewöhnliche Geschichten mit unvorhersehbaren, überraschenden Resultaten. Eins + Eins = Drei = Lesevergnügen!

Adiós Hemingway – Leonardo Padura

AutorLeonardo Padura
VerlagUnionsverlag
Datum22. April 2013
Ausgabemetro Taschenbuch
Seiten192
SpracheDeutsch
ÜbersetzungHans-Joachim Hartstein
ISBN-13 978-3293206144

„Eigentlich hatte alles genauso angefangen, genau hier, mit dem Blick aufs Meer, unter diesen Kasuarien, inmitten genau dieser ewigen Gerüche, an jenem Tag im Jahre 1960, als er Ernest Hemingway begegnet war.“ (Zitat Seite 10)

Inhalt

Acht Jahre sind vergangen, seit Mario Conde die Kriminalpolizei verlassen hat. Er schreibt oder versucht es zumindest, und handelt mit alten Büchern. „An diesem Morgen jedoch hatte ihn sein ehemaliger Kollege Manuel Palacios angerufen und ihm die Geschichte der Leiche, die auf der Finca Vigía gefunden worden war, auf dem Silbertablett serviert.“ (Zitat Seite 17) Sturmschäden legten ein Skelett frei, ein Mann, ermordet vor vierzig Jahren auf Hemingways damaligem Wohnsitz und mit Kugeln aus legendären Waffen Hemingways. Hier sind El Condes Spürsinn und seine Verschwiegenheit gefragt und er sagt sofort zu, den Fall zu übernehmen. Nach einem Regenguss wird auch noch eine verrostete Blechmarke mit dem bekannten Wappen und drei Buchstaben gefunden, hat Hemingway …? Noch will El Conde das nicht glauben, aber er will unbedingt herausfinden, was damals geschehen ist.   

Thema und Genre

In diesem Kriminalroman geht es um Kuba, Lebensfreude trotz Wirtschaftskrise, und Ernest Hemingway, dessen Geschichten und Mythos auf Kuba immer noch präsent sind.

Charaktere

Für El Conde sind die wichtigsten Dinge im Leben Freundschaft, Kaffee, Zigaretten, Rum, Frauen, Musik und die Literatur. Auch an seinen Traum, eines Tages als Schriftsteller in enem Holzhaus am Meer zu leben, hält er fest.

Erzählform und Sprache

Diesmal sind es zwei Geschichten, die in diesem Kriminalroman erzählt werden. Wir folgen Mario Conde chronologisch tagsüber durch seine intensiven Recherchen mit Teniente Manuel Palacios, und durch die intensiven Nächte mit seinen Freunden. Die zweite Geschichte führt uns zurück in die ersten Oktobertage des Jahres 1958, zu Ernest Hemingway und seine Finca La Vigía bei Havanna. So sind wir als Leser mit unserem Wissen El Condes Recherchen manchmal voraus, doch auch hier werden die Ereignisse in einem chronologischen Ablauf geschildert, daher bleibt die Handlung durchgehend spannend und lässt viel Raum für eigene Überlegungen. Auch wenn es sich um einen Roman handelt, ist diese Geschichte mit den bekannten Fakten aus Hemingways Leben eng und gekonnt verwoben, eine perfekte Mischung, in der sich Padura durchaus auch kritisch mit dem berühmten Schriftsteller Hemingway auseinandersetzt.

Fazit

Ein spannender und interessanter literarischer Kriminalroman aus Kuba, in dessen Mittelpunkt der Ex-Polizist Mario Conde und der Schriftsteller Ernst Hemingway stehen.

Rayuela. Himmel und Hölle – Julio Cortázar

AutorJulio Cortázar
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum16. August 2010
AusgabeTaschenbuch
Seiten656
SpracheDeutsch
ÜbersetzerFritz Rudolf Fries
NachwortChristian Hansen
ISBN-13978-3518460573

“Sie hatten angefangen, durch ein märchenhaftes Paris zu wandern, sich leiten zu lassen von den Zeichen der Nacht, Wege einzuschlagen, die aus dem Satz eines Clochards entstanden waren, aus einer beleuchteten Dachkammer in der Tiefe einer schwarzen Straße. Auf den kleinen, intimen Plätzen hielten sie an, küßten sich auf den Bänken oder betrachteten die Kreidestriche von Himmel-und-Hölle, die kindlichen Riten mit dem Kiesel, das Hüpfen auf einem Bein, um in den Himmel zu gelangen.“ (Zitat Seite 36)

Inhalt

In den Fünfzigerjahren lebt der Argentinier Horacio Oliveira einige Zeit in Paris. Tagsüber streift er mit der Maga, seiner Freundin, durch die Stadt an der Seine, durch Museen, Straßen und Cafés. Die Nächte jedoch verbringen sie in einem Künstlerclub, wo sie mit ihren Freunden über Kunst, Literatur, Musik und alle Fragen des Lebens diskutieren. Doch dann verlässt ihn die Maga und verschwindet spurlos. Als Horacios Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird, kehrt er nach Buenos Aires zurück. Wie schon zuvor in Paris, sucht Horacio in Gedanken immer noch nach der Maga, glaubt sie manchmal in seiner Einbildung zu sehen, verliert sich immer mehr in einer Phantasiewelt.  

Thema und Genre

In diesem Roman, der in Paris und Buenos Aires spielt, geht es um die Pariser Künstlerszene, Schriftsteller, Philosophie, Politik, Lebensentwürfe, imaginäre Parallelwelten, Beziehungen und Liebe in vielen Facetten.

Charaktere

Die Hauptfigur Horacio Oliveira ist ein Suchender. Ein intellektueller Denker und kreativer Träumer, dessen Leben davon geprägt ist, dass er sich in seinen mäandernden Gedanken über jedes Problem und Thema verfängt, statt zu entscheiden und dann auch zu handeln. So wird es für ihn immer schwieriger, die Realität von seiner Phantasiewelt zu trennen.

Erzählform und Sprache

Rayuela, ein besonderer, vielseitiger Roman, den man in 56 fortlaufenden Kapiteln lesen kann und der dann bei Seite 406 endet. Oder aber man liest das Buch, benannt nach dem Kinder-Hüpfspiel Himmel und Hölle, in der vom Autor vorgegebenen Reihenfolge und mit ergänzenden Kapiteln. In dieser Variante beginnt man mit Kapitel 73, gefolgt von 1 und 2, springt dann auf 116 und zurück auf 3 und so geht es fort über insgesamt 636 Seiten. Diese zusätzlichen Kapitel ergänzen mit vertiefenden Gedanken, Überlegungen, Bewusstseinsströmen, aber auch Ausflügen in die Literatur, immer jedoch im Zusammenhang mit den ursprünglichen Kapiteln und auch immer wieder in die Reihenfolge 1 – 56 zurückkehrend. Die praktische Umsetzung ist einfach, denn am Ende eines Kapitels steht die Nummer des Kapitels, welches als nächstes gelesen werden soll. Die Handlungsfragmente, die wechselnden Erzählperspektiven und die sprachliche Ausdrucksform mit ihren Satzlabyrinthen ergeben ein spannendes, surreales, aber auch anspruchsvolles Verwirrspiel. „Dritte Möglichkeit: aus dem Leser einen Komplizen machen, einen Weggenossen. Und einen Zeit-Genossen, da ja die Lektüre die Zeit des Lesers tilgt und in die des Autors überführt. So könnte der Leser Mitbeteiligter und Mitbetroffener der Erfahrung werden, die der Romanautor durchgemacht hat, im gleichen Augenblick und in der gleichen Weise.“ (Zitat Seite 456-457, 79. Kapitel)

Fazit

Rayuela ist ein literarisches, sehr ungewöhnliches Kapitel-Springen, ein Labyrinth, das sprachlich und inhaltlich eine Herausforderung ist. Keine Lektüre „für zwischendurch“, wenn man sich entscheidet, dem Wegweiser des Autors durch das ganze Buch zu folgen, aber es lohnt sich aus vielen Gründen, sich auf dieses Leseabenteuer einzulassen.

Eine Frau – Sibilla Aleramo

AutorSibilla Aleramo
VerlagEisele Verlag
Datum25. April 2024
AusgabeGebundenes Buch
Seiten288
SpracheDeutsch
NachwortElke Heidenreich
ÜbersetzungIngrid Ickler
ISBN-13978-3961611850

„Denken, denken! Wie war ich nur so lange ohne das Nachdenken ausgekommen? Menschen und Dinge, Bücher und Landschaften, alles bot Stoff zum Nachdenken für mich.“ (Zitat Pos. 1645)

Inhalt

Die Ich-Erzählerin, die Älteste von vier Kindern, verbringt ihre Kindheit in Mailand. Als sie zwölf Jahre alt ist, nimmt ihr Vater eine neue Stellung als Direktor einer Fabrik in einem Dorf in Süditalien an. Damit nimmt ihr Leben eine völlig neue Richtung, denn in diesem Dorf gibt es zwar das Meer inmitten einer lichtdurchfluteten Landschaft, aber keine weiterführenden Schulen. Mit fünfzehn Jahren arbeitet sie schon als Assistentin im Büro ihres Vaters. Sie ist erst sechzehn Jahre alt, als sie einen zehn Jahre älteren, einfachen Mann heiratet, obwohl sie bereits berechtigte Zweifel hat. Als ihr Sohn geboren ist, wird das Kind für sie zum Mittelpunkt ihres Lebens. Dies ändert sich auch nicht, als sie das Dorf verlassen und nach Rom ziehen. Doch in dieser lebhaften Stadt findet sie gleichzeitig eine völlig neue Freiheit, Kultur, Bildung und die intellektuelle Herausforderungen, die sie so lange vermisst hat. Dann wird ihrem Mann die Direktorenstelle in der Fabrik im Dorf angeboten, die bisher ihr Vater innegehabt hatte.

Thema und Genre

In diesem stark autobiografischen Roman, der 1906 erschienen ist, geht es um Gesellschafts- und Sozialstrukturen, die Situation der Frauen besonders in einem von Traditionen geprägten Umfeld und die Anfänge der Frauenbewegung.

Erzählform und Sprache

Die Geschichte schildert chronologisch die ersten fünfundzwanzig Jahre im Leben einer Frau zwischen Städten wie Mailand und Rom und einem Dorf im Süden Italiens. Die Erzählform in der ersten Person schildert neben den Erlebnissen und Ereignissen vor allem die eigenen Bewusstseinsströme, die Gedanken, heftigen Zweifel, Auflehnung, aber auch Hoffnungen der Ich-Erzählerin. Dies wird dadurch verstärkt, dass diese zu schreiben beginnt, aufschreibt, wie sie sich fühlt und gleichzeitig beginnt, ihr Verhalten zu analysieren. Mit einer neuen Aufmerksamkeit beobachtet sie die Welt um sich herum, besonders das Leben der Frauen, das soziale Gefüge der Gesellschaft und die neue Arbeiterbewegung, die nun auch ihr Land erreicht hat. Die Sprache der engagierten italienischen Journalistin, Schriftstellerin und überzeugten Feministin ist lebhaft und wortreich, in den intensiven eigenen Gedankenströmen teilweise etwas überbordend, was sicher der Ausdrucksweise der damaligen Zeit entspricht. Ein ihrem Nachwort verweist Elke Heidenreich auf viele Fakten aus dem Leben der Schriftstellerin Sibilla Aleramo, die sich bis ins Detail in diesem Roman wiederfinden.

Fazit

Ein authentisches Zeitbild, das sich mit den Lebensumständen der Frauen um die Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert in Italien auseinandersetzt. Diese deutlich autobiografische Geschichte beschreibt eindringlich und intensiv die schwierige Suche der Protagonistin nach einem freien, selbstbestimmten Leben. Ein Roman der zum Nachdenken anregt, auch über die Situation in unserer modernen Zeit, in der Frauen weltweit immer noch in patriarchalischen, traditionellen Strukturen leben, fern von Gleichberechtigung und persönlicher Freiheit.

„Das Meer der Illusionen – Leonardo Padura

UntertitelDas Havanna-Quartett: Herbst
AutorLeonardo Padura
VerlagUnionsverlag
Datum16. September 2006
Ausgabe(metro) Taschenbuch
Seiten288
SpracheDeutsch
ÜbersetzerHans-Joachim Hartstein
ISBN-13978-3293203747

„Man hat uns in die Schule geschickt, in die wir gehen mussten, dann auf die Uni zu dem Studium, das wir absolvieren mussten, und später zu dem Arbeitsplatz, an dem wir arbeiten mussten, alles, ohne uns zu fragen. Und man kommandiert uns weiter rum, ohne uns auch nur ein verdammtes Mal in unserem verdammten Leben zu fragen, ob wir das auch wollen …“ (Zitat Seite 20)

Inhalt

Ein angenehm warmer Herbstabend im Oktober 1989, doch Wirbelsturm Félix rast auf Kuba zu. Einige Tage vor seinem Geburtstag, nach zehn Jahren als Ermittler, ist für den Teniente Mario Conde die Zeit gekommen, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Doch sein neuer Chef, Coronel Alberto Molina, hat einen neuen, politisch brisanten Fall für ihn. El Conde, unterstützt von Sargento „Manolo“ Palacios,  muss rasch und sehr diskret ermitteln, nach Möglichkeit unter Einhaltung der Vorschriften. Einige Nächte zuvor war die Leiche eines Kubaners, inzwischen nordamerikanischer Staatsbürger, gefunden worden. Der Ermordete ist Miguel Forcade, ein ehemaliger Vizedirektor im Außenhandelsministerium, der sich 1978 in die USA abgesetzt hatte. Sofort stellt sich El Conde viele Fragen, der Fall interessiert ihn, warum hat man Forcade wieder ins Land gelassen, was unüblich ist. Wollte Forcade tatsächlich nur seinen schwer kranken Vater besuchen, oder hatte er auch noch andere Gründe, nach Kuba zurückzukehren. Forcade scheint eine reine Weste gehabt zu haben, doch der brutale Mord weist auf Rache als Motiv hin.

Thema und Genre

Auch in diesem Kriminalroman, dem vierten und letzten Teil des Havanna Quartetts, geht es um das Leben in Kuba 1989, Kunst und Kultur, Politik, die Macht der Parteifunktionäre, Enteignung, Bereicherung, Korruption, aber auch um Familie, Freundschaft und die Sehnsucht nach Liebe.

Charaktere

El Conde, über sich selbst: „Er erinnerte sich daran, dass dieser Tag sein offiziell vorletzter als Polizist sein konnte und ganz gewiss sein letzter als Mann von fünfunddreißig Jahren war.“ (Zitat Seite 95)

Mayer Rangel über El Conde: „Du bist das Schlimmste, das mir in meiner Laufbahn passiert ist, aber der beste Ermittler, den ich je gehabt habe.“ (Zitat Seite 99)

Erzählform und Sprache

Die Wahl der Erzählform, der Teniente Mario Conde ist die personale Hauptfigur, ermöglicht es Leonardo Padura einerseits, zusätzliche Spannung in die Handlung mit den vielen offenen Fragen, Möglichkeiten und Vermutungen zu bringen, andererseits erleben wir die persönlichen Zweifel  von El Conde, die Wünsche und Hoffnungen der Jugend, die das Leben nicht erfüllt hat, Erinnerungen und verlorene Träume. Mit El Conde werfen wir jedoch auch einen Blick auf das echte Havanna, die kleinen Lokale, Gassen, Plätze und die Menschen, die sich auf einen gewaltigen Wirbelsturm vorbereiten. Durch die Ermittlungen, die Gespräche und Recherchen wird die aktuelle Handlung nach und nach zu einem Gesamtbild, das weit in die Vergangenheit zurückführt.

Fazit

Ein spannender, vielschichtiger Abschluss der Tetralogie, ein Eintauchen in ein Meer von Illusionen. Kuba und die alten, auch nach den Umbrüchen immer noch mächtigen Familien, und El Conde und sein Freundeskreis als die kubanische Generation der Mittdreißiger, die ihr Leben hinterfragt und neue Wege sucht. Ein literarischer, politischer Kriminalroman mit eindrücklichen Schilderungen der Gesellschaftsstruktur und der Lebensumstände in Kuba im Jahr 1989.  

„Der entmündigte Leser“ Für die Freiheit der Literatur – Melanie Möller

AutorMelanie Möller
Verlag Galiani-Berlin
Erscheinungsdatum 11. April 2024
FormatKindle-Ausgabe
Seiten240 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3869713021

„Also bitte gar keine Kompromisse, keine Änderungen an den Texten, schon gar nicht bei toten Autoren, die sich nicht wehren können. Wer etwas nicht lesen möchte, darf es gerne lassen oder entsprechend kommentieren.“ (Zitat Pos. 260)

Thema und Inhalt

Eine Streitschrift für die Freiheit der Literatur, so nennt die Autorin dieses Fachbuch. Schon das Cover zeigt aussagekräftig, worum es geht. Es ist ein eindringliches Plädoyer für die Freiheit der Kunst, hier die Freiheit der Literatur, und gegen alle zeitgeistigen Wokeness-Bestrebungen, Ecken und Kanten in aktuellen Texten zu entschärfen, klassische Texte nachträglich umzuschreiben. Derartige Eingriffe, die von den Lesern selbst nicht gewünscht werden, sind Versuche, so Marlies Möller, aus mündigen unmündige Leser zu machen. „In Sachen Kunst darf es keine Abstriche geben. Wer verwässert, entmündigt den Leser – und der ist schlauer, als man denkt.“ (Zitat Pos. 95)

Umsetzung

Melanie Möller ist Professorin für Latinistik an der Freien Universität Berlin. Daher stellt sie in neun Kapiteln jeweils einen griechischen oder römischen Autor der Antike einem klassischen oder modernen Autor oder Autorin gegenüber. Wobei das erste Kapitel hier eine Ausnahme macht, denn hier geht es um die großen Epen Homers einerseits und die Bibel andererseits. Es sind generell spannende und ungewöhnliche Gegenüberstellungen, wie zum Beispiel Catull und Casanova, Euripides und Annie Ernaux. Besonders interessant ist natürlich die jeweilige Begründung und Herleitung der Kombination und das Aufzeigen der literarischen und thematischen Gemeinsamkeiten. Mein persönliches Highlight ist das Kapitel 9: Sappho und Astrid Lindgren.

Mit Textbeispielen stellt Melanie Möller in allen Kapiteln, durchaus ironisch, die theoretisch-rhetorische Frage, ob nicht doch an den Zeitgeist angepasst werden sollte, besonders auch, was das Frauenbild betreffe, um zu begründen, warum genau das falsch wäre. Ihre Argumente und Ausführungen belegt sie durch Textzitate und fachlich fundierte Einblicke in das Leben, die Gesellschaft und die Gedankenwelt jener Zeit, in welcher die besprochenen Werke jeweils entstanden sind. Immer wieder erinnert sie daran, das reale Leben des Schriftstellers von seinem fiktiven Werk und den ebenso fiktiven Figuren zu trennen. So ergibt sich auch ein sehr interessanter Streifzug durch die Welt der Literatur und zum Beispiel auch die Problematik, die entsteht, wenn wir mit dem heutigen Wissensstand und Denkart literarische Frauenfiguren, Ausdrücke, Wortwahl, Sprache aus längst vergangenen Zeitaltern und völlig anderen Kultur- und Gesellschaftskreisen woke interpretieren wollen.

Fazit

Das vorliegende Buch ist kein Sachbuch, sondern definitiv ein Fachbuch. Es ist sicher eine Herausforderung für Leser wie mich, bei denen Latein und die Werke des klassischen Altertums (mit einer Ausnahme, Homers Illias, da mich der Themenkreis Troja nach wie vor fasziniert) mit dem Ende der Gymnasialzeit geendet haben. „Die Studie bemüht sich lediglich um einen weiträumigen Gang durch die Zeiten, um der Geschichte der Gewalt gegen die (in diesem Fall primär literarische) Kunst historische Tiefe und Breite zu verleihen.“ (Zitat Pos. 306). Dies ist der Verfasserin mit dieser lesenswerten Streitschrift gelungen.

Der Wind kennt meinen Namen – Isabel Allende

AutorIsabel Allende
VerlagSuhrkamp Verlag
Datum15. April 2024
AusgabeGebundene Ausgabe
Seiten335
SpracheDeutsch
ÜbersetzungSvenja Becker
ISBN-13 978-3518432006

„Wir sind nicht verloren. Der Wind kennt meinen Namen und deinen auch. Alle wissen, wo wir sind.“ (Zitat Seite 221)

Inhalt

Im Dezember 1938 versucht Rachel Adler im chilenischen Konsulat in Wien verzweifelt, Visa für sich, ihren Mann Rudolf, und den gemeinsamen Sohn Samuel zu erhalten. Doch die Zeit drängt und so besteigt der sechsjährige Samuel am 10. Dezember gemeinsam mit vielen anderen Kindern, aber ohne seine Eltern, den Zug nach England und ohne zu wissen, ob und wann er sie wiedersehen wird. Anfang Januar 1982 erreicht die kleine Leticia Cordero aus El Salvador in den Armen ihres Vaters, der in einer dunklen Nacht schwimmend den Rio Grande überquert, die Vereinigten Staaten. Nur durch einen Zufall sind die beiden dem Massaker von El Mozote im Dezember 1981 entkommen. Mitte Oktober 2019 wird die siebenjährige Anita Díaz aus El Salvador nach der illegalen Einreise über Mexiko in die Vereinigten Staaten gewaltsam von ihrer Mutter getrennt und in ein Auffanglager für Kinder gebracht. Dort wartet sie sehnsüchtig darauf, dass ihre Mutter sie findet und abholt. Drei Menschen, tief geprägt durch den Verlust von Heimat und Familie, auf der Suche nach Hoffnung und einem sicheren Platz in ihrem Leben.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Flucht, Vertreibung, Verlust und Eltern, die alles tun, um ihre Kinder zu retten. Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen jedoch die Kinder, denen es gelingt, durch Hoffnung und Phantasie Wege aus ihrer beinahe ausweglosen Situation zu finden und Menschen, denen sie früher oder später begegnen und die ihnen helfen.

Erzählform und Sprache

Isabel Allende schildert die Geschichte von drei Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten geboren wurden und deren Kindheit jeweils viel zu früh und plötzlich durch prägende Ereignisse zu Ende ist. In voneinander unabhängigen Handlungssträngen folgt sie ihren unterschiedlichen Hauptfiguren in einander abwechselnden Kapiteln. Jedes dieser Kapitel trägt als Überschrift den Namen, der im jeweiligen Abschnitt im personalen Mittelpunkt steht, sowie Ort, Monat, Jahr. So bleibt die Geschichte fließend und übersichtlich zu lesen, während die Ereignisse, ebenso wie die Fragen nach möglichen Zusammenhängen für Spannung sorgen. Die Autorin schreibt einfühlsam und nahe der Realität.

Fazit

Eine beeindruckende Geschichte zu zeitlos aktuellen Themen, klug aufgebaute Handlungsstränge, authentische Figuren und Schicksale – ein Leseerlebnis, das nachdenklich stimmt und auch sprachlich überzeugt.

Ein perfektes Leben – Leonardo Padura

AutorLeonardo Padura
VerlagUnionsverlag
Datum27. Juni 2005
AusgabeTaschenbuch
Seiten272
SpracheDeutsch
ÜbersetzungHans-Joachim Hartstein
ISBN-13978-3293203440

„Mario Conde nahm die geschlossene Akte in die Hand. Ihm schwante, dass sie eine Art Büchse der Pandora sein könnte, und er verspürte keinerlei Lust, die Dämonen der Vergangenheit aus ihr zu befreien.“ (Zitat Seite 22)

Inhalt

Noch sehr angeschlagen von der Silvesterfeier, freut sich Teniente Mario Conde über sein freies Wochenende, als sein Chef anruft und dieses beendet. Denn am Abend des 1. Januar hat die Ehefrau von Rafael Morín Rodríguez ihren Mann als vermisst gemeldet. Dieser Fall ist brisant und Conde muss sofort zu ermitteln beginnen, denn Rodríguez ist der einflussreiche Leiter der Import-Export-Abteilung im Industrieministerium. Da es sich bei Rafael Morín um genau jenen Schulkollegen handelt, der Tamara Valdemira geheiratet hat, die heimliche große Jugendliebe von Mario Conde, begleiten persönliche Erinnerungen den Teniente bei seinen aktuellen Recherchen. Das Leben und Verhalten von Rafael Morín Rodríguez waren immer perfekt, ein untadeliger Mann mit einer weißen Weste, wo sind die Schatten?

Thema und Genre

Der vorliegende Kriminalroman spielt in Kuba. Es ist der erste Band der Serie Havanna Quartett und es geht hier um wesentlich mehr, als das Verschwinden einer Person. Themen sind Politik, Gesellschaft, Jugenderinnerungen, sowie die Lebensträume einer jungen Generation und die Veränderungen im Laufe der Jahre.

Charaktere

Seit zwölf Jahren ist die Hauptfigur, Teniente Mario Conde, bei der Polizei und ebenso lang fragt er sich, warum. Gerade dieser aktuelle Fall führt El Conde weit in seine Vergangenheit zurück und kurz wünscht er sich, wieder sechzehn Jahre alt zu sein, einen anderen Weg für sein Leben auszuprobieren. „Eines Tages vielleicht würde er seine alten Illusionen wieder haben, würde in einem Haus in Cojímar wohnen, wie Hemingway, direkt an der Küste, in einem Holzhaus mit roten Dachziegeln und einem Zimmer zum Schreiben.“ (Zitat Seite 147)

Erzählform und Sprache

Die Handlung wird personal erzählt, die aktuellen Ermittlungen werden ergänzt durch Erinnerungen an Ereignisse im Jahr 1972 und Gedankenströme, sowie Beobachtungen und Schilderungen des Umfeldes und der Situation in Kuba. Zwischendurch wechselt die Erzählform sowohl bei Mario Conde, als auch bei seinem Mitarbeiter Manolo in die Ich-Form, was uns tief in die Gedanken der Figuren eintauchen lässt und die Geschichte auch sprachlich interessant und abwechslungsreich gestaltet.

Fazit

Ein vielschichtiger Kuba-Roman mit interessanten Themen und ebenso facettenreichen Figuren. Eine spannende Geschichte mit atmosphärischen Schilderungen Kubas, auch sprachlich überzeugend.

Der Wendepunkt: Ein Lebensbericht – Klaus Mann

AutorKlaus Mann
Verlag Rowohlt Taschenbuch
Erscheinungsdatum Neuausgabe 16. April 2019
FormatTaschenbuch
Seiten896
NachwortFredric Kroll
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3499276491

„Jeder Augenblick, den wir durchleben, verdankt dem vorangegangenen seinen Sinn. Gegenwart und Zukunft würden wesenlos, wenn die Spur des Vergangenen aus unserem Bewußtsein gelöscht wäre.“ (Zitat Seite 25)

Thema, Genre und Inhalt

Ein Lebensbericht, das Tagebuch eines intensiv gelebten Künstlerlebens ist in seiner Gesamtheit noch wesentlich mehr. Diese Autobiografie ist ein eindrückliches, differenzierendes und in seiner Vielseitigkeit umfassendes Bild der Zeit.

Ein kurzer Prolog schildert kurz die Familie Mann und ihr Umfeld bis zu jenem 18. November 1906, an dem Klaus Heinrich Thomas Mann geboren wurde. Ab hier schreibt Klaus Mann chronologisch, beginnend mit der Kindheit, daran anschließend die Zeit des ersten Weltkrieges und die Jahre danach. Wir erleben den Wunsch des jungen Klaus Mann, Schriftsteller zu werden, seine Liebe zur Literatur und zum Theater, seinen ersten Aufenthalt in Paris und die Atmosphäre dieser Stadt, die ihn sofort und für immer anzieht. Klaus Mann ist ein Suchender, der schon früh die gesellschaftspolitischen Entwicklungen, besonders in Deutschland, sehr kritisch und besorgt beobachtet. Diese Sichtweise teilt er mit seiner Schwester Erika und so ist klar, dass sein Lebensweg ins Exil führt. Die nachfolgenden Kapitel sind intensive Zeitdokumente der Situation der Emigranten, besonders der Künstler, die einander in den jeweiligen Städten weiterhin in Künstlerkreisen treffen. Klaus Mann führt der Weg während dieser ersten Jahre der Verbannung aus Deutschland nach Amsterdam, Paris, Nizza, Zürich, dazu kurze Reisen nach Wien und Moskau. Wie auch seine Schwester Erika hält er Vorträge gegen Krieg und Faschismus, zunächst in Europa, dann in Amerika. Das zwölfte und letzte Kapitel „Der Wendepunkt“ umfasst die Jahre 1943 bis 1945 und schildert die Ereignisse dieser Jahre ausschließlich in Briefen von und an Klaus Mann, der die letzten Kriegsjahre als Mitglied der amerikanischen Armee in Italien erlebt.

Neben den Ereignissen und persönlichen Erlebnissen schildert Klaus Mann seine eigenen Gedanken und Eindrücke, seine Hoffnungen, seine Zweifel. „Die Veränderungen, die nach dem Wendepunkt kommen, mögen zunächst nicht  sehr drastisch sein, werden es aber im Lauf der Zeit, immer drastischer, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr: im Guten oder im Bösen. Ich prophezeie, daß wir um 1965 eine Welt haben werden, die sehr viel schlechter sein wird als die heutige – oder entschieden besser.“ (Zitat Seite 695)

Fazit

Diese beeindruckende Autobiografie, auch sprachlich großartig, ist ein intensiver, zeitlos aktueller Blick auf die Geschichte und Menschen dieser Zeit und gleichzeitig ein interessantes Bild der Kunst- und Kulturszene.

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