Alles – Moritz Hildt

AutorMoritz Hildt
Verlag duotincta GbR
Erscheinungsdatum 15. Juli 2020
FormatTaschenbuch
Seiten268
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3946086567

„Ich nehme an, es ist auch meine Geschichte. Und doch verstehe ich meine Rolle darin am wenigsten. Vielleicht geht einem das immer so, wenn man aufs eigene Leben blickt.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Seit vier Jahren lebt Lukas Seeger schon auf dieser Halbinsel in der Ostsee. Seiner Frau Helen gehört das Café Strandflucht und sie betreiben es gemeinsam. Vor vielen Jahren fuhren Lukas und Helen im selben Bus in die Stadt zur Schule, dann trennen sich ihre Wege. Siebzehn Jahre später begegnen sie sich in genau diesem Bus Nummer 364 wieder. Helen hatte in den USA gelebt, ist nun zurückgekehrt und Witwe. Ein halbes Jahr später sind sie verheiratet und genießen ihr ruhiges Inselleben im Ablauf der Jahreszeiten. Bis eines Abends im Oktober ein Mann im Café sitzt und ihr ganzes Leben aus den Fugen gerät.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Beziehungen, Entscheidungen und ihre Folgen und die Suche nach der Wahrheit. Ein Thema ist die philosophische Frage, wie gut man einen Menschen kennen kann, den man zu kennen glaubt und ob die intensive Suche nach Antworten immer der einzig mögliche Weg ist.

Charaktere

Lukas Seeger ist glücklich und zufrieden mit der täglichen Routine seines Lebens an der Ostsee, bis ihn die Ereignisse und seine hartnäckige Suche nach der Wahrheit auf eine abenteuerliche Reise führen. Früher hatte sein Vater manchmal zu ihm gesagt: „Lukas. Das, was du tust, hat oft mehr Folgen, als du für möglich hältst.“ (Zitat Seite 199). Er hatte nie verstanden, was sein Vater ihm damit sagen wollte, doch in den Sümpfen des Bayou Teche erinnert er sich plötzlich an diesen Satz.  

Handlung und Schreibstil

Lukas schildert die Geschichte und seine Abenteuer chronologisch als Ich-Erzähler. Er erzählt sie rückblickend und wundert sich noch immer über seine Rolle in dieser Geschichte. Die einzelnen Mosaikteilchen dieser Suche nach Antworten, in der ein Detail zum nächsten führt, aber auch zu Überraschungen und immer neuen Fragen, machen die Handlung spannend und neugierig folgen wir Lukas auf seinem Weg. Die lebendigen, intensiven Beschreibungen der Natur, Landschaften und Örtlichkeiten spiegeln die langen USA-Aufenthalte des Autors wider. So kann man nur schreiben, wenn man tatsächlich dort gewesen ist.

Fazit

Ein interessanter Roman, eine spannende, abenteuerliche Spurensuche durch die Sümpfe des Bayou Teche und den Canyonlands-Nationalpark in Utah, mit poetischen Naturschilderungen und der nachdenklichen Frage, wie gut wir einen Menschen kennen, den wir genau zu kennen glauben.

Ein Raum aus Blättern – Kate Grenville

AutorKate Grenville
Verlag Nagel & Kimche
Erscheinungsdatum 26. Juli 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ÜbersetzungAnne Emmert
ISBN-13978-3312012343

„Mein Leben konnte mir noch die eine oder andere Wegbiegung bescheren. Solche Biegungen mochten zum Besseren oder Schlechteren führen, ermöglichten aber doch zumindest eine gewisse Freiheit oder zumindest Geschmeidigkeit.“ (Zitat Seite 216)

Inhalt

1788 heiratet die einundzwanzigjährige Halbwaise Elizabeth Veale den etwa gleichaltrigen Ensign John Macarthur. Ihr Ehemann ist eingebildet und arrogant, obwohl er nur seinen Sold als Einkommen hat, vor allem aber ist er ehrgeizig und skrupellos. Er meldet sich zum New South Wales Corps und 1790 treffen sie in Sydney ein. Es ist ein völlig neues Leben in einem unbekannten Land, in dem es bisher nur diese 1788 errichtete Strafkolonie gibt. Doch Elizabeth lernt rasch, sich anzupassen, um ihre eigenen Ideen und Wünsche zu verwirklichen.

Thema und Genre

Dieser Roman ist eine fiktive Geschichte, eine neue Deutung der bekannten Fakten und Biografien von Elizabeth Macarthur. Geheime Aufzeichnungen schildern ungeschönt die wahren Lebensumstände der Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, in diesem Fall besonders der ersten Siedlerfrauen in Australien. Ein Thema ist die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von verbrieften historischen Fakten.

Charaktere

Schon als Kind ist Elizabeth neugierig, will alle Grenzen ausprobieren und darüber hinausgehen. In Sydney lernt sie rasch, sich der Gesellschaft nach außen hin anzupassen. Sie ist liebenswürdig, charmant, bleibt gleichzeitig unscheinbar, beinahe unsichtbar. Bald durchschaut sie die Denk- und Handlungsweise ihres Ehemannes und nützt dies, um ihre eigenen Ideen durchzusetzen, indem sie ihm diese als seine präsentiert.

Handlung und Schreibstil

Elizabeth ist bereits seit zwölf Jahren Witwe, als ihr nun erwachsener Sohn James sie bittet, einen Bericht über die Geschichte der Macarthurs von Elizabeth Farm zu verfassen. Sie beschließt spontan, parallel dazu einen zweiten Bericht zu schreiben, in diesem jedoch offen und ehrlich die Wahrheit zu schildern. Es ist dieser zweite Bericht, der etwa einhundertfünfzig Jahre später von der Autorin zufällig auf Elizabeth Farm entdeckt wird und der nun in diesem Roman veröffentlicht ist. Daher sind die einzelnen Kapitel entsprechend kurz, wie es tatsächlichen persönlichen Notizen und Aufzeichnungen entspricht. Elizabeth beginnt mit Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, schildert die einzelnen Ereignisse chronologisch. Gleichzeitig lässt sich uns an ihren persönlichen Gedanken und Handlungen in der jeweiligen Situation teilhaben. Wir erfahren auch, welche Bedeutung dieser „Raum aus Blättern“ für sie und ihre persönliche Entwicklung hat. Die Sprache ist nur in Bezug auf das Wissen und spezielle Bezeichnungen der damaligen Zeit angepasst, Elizabeth schreibt lebhaft, poetisch und mit einem feinen Humor.

Fazit

Ein angenehm und unterhaltsam zu lesender Roman mit realem geschichtlichem Hintergrund. Die Idee, die bereits vorliegenden Biografien der Elizabeth Macarthur, deren wichtige Rolle bei der Gründung der Wollindustrie Australiens bekannt und anerkannt ist, durch ihre eigenen, bisher geheimen Aufzeichnungen zu ergänzen, überzeugt und ist interessant umgesetzt.

Julius oder die Schönheit des Spiels – Tom Saller

AutorTom Saller
Verlag List Hardcover
Erscheinungsdatum 2. August 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3471360422

„Mit unendlicher Ruhe verfolgte ich seine Flugkurve, nahm Maß, und noch bevor ich den Schläger nach vorn gebracht hatte, wusste ich – war gewisse – es wäre mir unmöglich, einen Fehler zu machen. Ich traf den Ball im perfekten Moment.“ (Zitat Seite 44)

Inhalt

Eines Tages wird der junge Julius von einem ungewöhnlichen Lärm geweckt, sein Großvater legt einen privaten Tennisplatz auf dem weitläufigen Areal der heimischen Burg im Rheinland an. Rasch begeistert sich die Familie für diesen Sport, doch für Julius bedeutet Tennis weit mehr. Als er für sein Jura-Studium nach Berlin zieht, genießt er das Nachtleben, tagsüber trainiert er hart, spielt erste Turniere und macht Tennis endgültig zum Mittelpunkt seines Lebens.

Am 1. Juli 1984 verfolgt ein alter Mann das Einzelturnier der Herren in Wimbledon. Ein junger Deutscher gewinnt und der alte Mann erinnert sich an seinen damaligen Rivalen Julius von Berg und ihr legendäres Match in Wimbledon 1937, als er selbst für die USA gegen Julius, der für Deutschland spielte, auf dem Platz stand. Sie waren einander ebenbürtig, doch Julius liegt im letzten, entscheidenden Durchgang in Führung.

Thema und Genre

Dieser Roman ist fiktiv, der zeitgeschichtliche Hintergrund ist jedoch real und einige der darin vorkommenden Personen sind mit ihren echten Namen genannt. Im Mittelpunkt steht der Tennissport. Auch für den fiktiven Julius von Berg gibt es ein reales Vorbild, den deutschen Tennisspieler Gottfried von Cramm, damals Platz 2 der Weltrangliste. Ein eleganter Sportler, überzeugt von der Haltung Fair play, Sportsmanship, der sich nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmen ließ.

Charaktere

Julius von Berg liebt das Leben, auch das Berliner Nachtleben, doch sein Lebensmittelpunkt ist der Tennissport. Natürlich will er gewinnen, doch wichtiger als der Sieg ist für ihn die Schönheit des Spiels, sowie Respekt vor dem Gegner, Haltung, Anstand und Fairness. Er muss erkennen, dass sich Sport und Politik nicht trennen lassen. „Sag das nicht, Julius. Sobald du doch für ein Turnier meldest, bist du in den Augen der Öffentlichkeit nicht nur Sportler, sondern auch Deutscher und damit automatisch Vertreter deines Heimatlandes. Ob du willst oder nicht.“ (Zitat Seite 177)

Handlung und Schreibstil

Die angenehm und flüssig zu lesende Geschichte wird in drei Erzählsträngen erzählt, die einander abwechseln. Den ausführlichen Hauptteil, sein Leben bis zu den Ereignissen in Wimbledon 1937 schildert Julius als Ich-Erzähler, chronologisch, beginnend mit Episoden aus seiner Kindheit. Im zweiten Erzählstrang lässt uns Julius 1938 an seinen Gedanken teilhaben und die Erzählsprache wechselt ins Präsens. Der dritte Handlungsstrang findet 1984 statt und hier steht der damalige Finalgegner, nun ein alter Mann, personal im Mittelpunkt. Zusammengefügt ergeben diese drei Teile ein umfassendes Bild, schließen sich zu einer ganzen Geschichte mit allen Hintergründen und Details, die manche offene Fragen beantworten.

Fazit

Ein eindrucksvoller Roman, eine fiktive Geschichte mit einem realen zeitgeschichtlichen Hintergrund, deren Schilderungen der lebhaften Stadt Berlin in den Zwanzigerjahren, verbunden mit vielschichtigen Themen, dieses Buch nicht nur für Tennisbegeisterte zu einer interessanten, unterhaltsamen Lektüre machen.

Was uns kostbar ist – Kaouther Adimi

AutorKaouther Adimi
Verlag Lenos Verlag
Erscheinungsdatum 31. Mai 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ÜbersetzungHilde Fieguth
ISBN-13978-3857874857

„Es wird eine Bibliothek sein, eine Buchhandlung, ein Verlag, aber in erster Linie ein Ort für die Freunde, die die Literatur und das Mittelmeer lieben.“ (Zitat Seite 40)

Inhalt

Seit den 1990er Jahren ist es keine Buchhandlung mehr, sondern eine Außenstelle der Nationalbibliothek Algier, dennoch war sie zwanzig Jahre lang der Lebensmittelpunkt von Abdallah, ein alter Mann unbestimmten Alters. Nun ist die Buchhandlung endgültig geschlossen und verkauft. Abdallah beobachtet täglich den jungen Mann, er heißt Ryad und ist ein Student, der einen Praktikumsnachweis benötigt. Vierzehn Tage hat Ryad Zeit, die Buchhandlung vollständig zu räumen, die Bücher zu entsorgen und die Wände zu streichen, denn in Zukunft werden hier Beignets verkauft. Als Student der Fachrichtung Ingenieurswesen hat Ryad keine Ahnung, was für ein besonderer Ort der Literatur dies hier ist, auf dessen Stufen einst auch Albert Camus gesessen ist und er weiß nicht, wer Edmond Charlot war, der Mann auf dem großen Portrait, der ihm zusieht.

Thema und Genre

Im Mittelpunkt dieses Romans stehen die Literatur und die legendäre Buchhandlung Les Vraies Richesses in Algier, ihre Geschichte von der Gründung 1936 bis heute. Eng damit verbunden ist das Leben des Verlegers Edmond Charlots. Gleichzeitig ist dieser Roman auch ein Streifzug durch die wechselvolle Geschichte Algeriens, mit Unterdrückung und Bürgerkrieg auf dem Weg in die Unabhängigkeit.

Charaktere

Edmond Charlot war ein Verleger und Literaturförderer, der sowohl in Algier, als auch in Paris im Verlagswesen tätig war. Er förderte bekannte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts vom Beginn ihrer Laufbahn an, lebte für die Literatur und das friedliche kulturelle Miteinander und ließ sich auch durch politischen Druck nicht beeinflussen.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird, was interessant und in modernen Romanen eher ungewöhnlich ist, teilweise auktorial erzählt. Einerseits erfahren wir die aktuelle Geschichte mit Ryad und Abdallah, andererseits die Geschichte der Buchhandlung und des Verlages. Geschildert wird das ereignisreiche Leben von Edmond Charlot mit seinen Geschäftspartnern, Freunden und aufstrebenden Schriftstellern vor dem realen geschichtlichen Hintergrund, Algerien im Spannungsfeld der politischen Umbrüche im Mittelmeerraum zwischen 1930 und 1961. Parallel dazu lesen wir das fiktive Tagebuch, die persönlichen Aufzeichnungen von Edmond Charlot, beginnend 1935 und endend 1961.

Fazit

Eine einfühlsam und packend erzählte Geschichte eines legendären Verlegers und seiner besonderen Buchhandlung, wo Schriftsteller und Leser aus allen Mittelmeerländern willkommen waren, egal, welche Sprache sie sprachen und welcher Religion sie angehörten. „Das heisst eine Buchhandlung, die Neues und Altes verkauft, die Werke ausleiht und die nicht einfach ein Laden wäre, sondern ein Ort der Begegnung und Lektüre.“ (Zitat Seite 31)       

Mein Helgoland (Meine Insel) – Isabel Bogdan

AutorIsabel Bogdan
Verlag Mare Verlag
Erscheinungsdatum 27. Juli 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten112
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3866486546

„Ich werde wiederkommen müssen. Immer wieder. Und schreiben werde ich auch wieder.“ (Zitat Pos. 1239)

Thema

Dieses Buch von Isabel Bogdan ist eine interessante, sehr persönliche Mischung aus unterhaltsamen Schilderungen ihrer Tage auf Helgoland, der besonderen Eigenheiten dieser Insel und des Schreibprozesses, der Arbeit an ihrem Roman. Zitate aus dem Gesprächen zwischen Boy und seinem Urgroßvater, dem besten Geschichtenerzähler der Welt, aus dem zeitlosen Buch „Mein Urgroßvater und ich“ von James Krüss, ergänzen den Text.

Inhalt

Wenn die Schriftstellerin und Übersetzerin Isabel Bogdan an ihrem eigenen Buch schreibt, zieht sie sich auf die Nordseeinsel Helgoland zurück, denn nirgendwo sonst kann sie so kreativ über das Schreiben und die Unterschiede zwischen dem Übersetzen eines bereits bestehenden Romans und dem Schreiben eines eigenen Buches nachdenken. In ihren Gedanken diskutiert sie ihre Überlegungen, wie man eine Geschichte am besten erzählt, mit dem berühmten Helgoländer Schriftsteller James Krüss. Gleichzeitig wandert sie auf ihr seit Jahren vertrauten Wegen über die Insel und entdeckt trotzdem immer wieder Neues, lernt neue Menschen kennen. Wir erfahren viel über die Probleme des Insellebens, die vielfältige Vogelwelt und Natur dieser Insel, was es mit der einzigen Ampel Helgolands auf sich hatte und wissen nun auch, was „Sturmwichteln“ ist. Bei dieser Schilderung hatte ich sofort Bilder vor Augen und musste laut lachen, denn die Autorin erzählt lebendig und humorvoll.

Natürlich besucht sie bei jedem Aufenthalt auch die der Hauptinsel vorgelagerte kleine Insel Düne mit den Seehunden und Kegelrobben. Doch es gibt noch viel mehr zu erkunden, für den nächsten, den übernächsten Besuch, für irgendwann. „Man ist nämlich doch nicht so schnell fertig mit dieser Insel, wie man meint, wenn man zum ersten Mal sieht, wie klein sie ist.“ (Zitat Pos. 1226)

Fazit

Eine wunderbare, unterhaltsame Mischung aus Inselfeeling auf der manchmal rauen Nordseeinsel Helgoland und persönlichen Einblicken in den kreativen Schreibprozess der Schriftstellerin. Ein Buch für Lesebegeisterte, Reiselustige, Naturbegeisterte, Inselfans, Neugierige und Träumer.

Wir für uns – Barbara Kunrath

AutorBarbara Kunrath
Verlag FISCHER Krüger
Erscheinungsdatum 28. Juli 2021
FormatBroschiert
Seiten400
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3810500540

„Das Dorf begegnet mir wie gewohnt. Nicht unfreundlich, aber auch nicht so, als würde ich dazugehören. Ich fühle mich geduldet, nicht zu Hause.“ (Zitat Pos. 108)

Inhalt

Seit neun Jahren führt Josie eine Dienstags-Beziehung mit dem acht Jahre älteren, verheirateten Bengt. Nun ist Josie schwanger, einundvierzig Jahre alt, doch obwohl Bengt nicht will, dass sie dieses Kind bekommt, zögert sie. Als sie auf der Straße einen Ring findet, lernt sie Kathi kennen, deren Mann Werner nach beinahe fünfzig gemeinsamen Ehejahren gerade verstorben ist. Vorsichtig beginnen die beiden so unterschiedlichen Frauen, miteinander zu reden und Josie trifft mehrere Entscheidungen, für ihr eigenes Leben, doch sie bringt auch Kathi auf neue Ideen, wobei diese erst lernen muss, sich von manchen alten, lebenslangen Vorstellungen zu lösen.

Thema und Genre

Dieser Familien- und Generationenroman handelt von unterschiedlichen Beziehungen und Familienstrukturen. Ein wichtiges Thema sind Konflikte zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, das beharrliche Schweigen statt zu reden. Doch es geht auch um neue Möglichkeiten und Entscheidungen, um den Mut zum Neubeginn.

Charaktere

Josie ist Sozialpädagogin, doch ausgerechnet für ihr eigenes Leben fehlen ihr die Ideen. „Würde, wäre, hätte. Mein Leben mit dem Konjunktiv“ (Zitat Pos. 632) stellt sie in Bezug auf sich selbst fest. Zudem belastet ein Ereignis in der Vergangenheit, über das nicht gesprochen werden darf, das Verhältnis zu ihrer Mutter.

Kathis Ehe war mit den Jahren längst schweigsam geworden, sie lebte für ihr Lebensmittelgeschäft und hatte damals wenig Zeit für ihren Sohn Max. Den aktuellen Veränderungen im Leben von Max steht Kathi sprach- und fassungslos gegenüber.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird abwechselnd von Josie als Ich-Erzählerin und Kathi geschildert, wobei die Autorin hier in die personale Erzählperspektive wechselt. Dies belebt die Handlung. Der Schwerpunkt des Geschehens liegt bei den unterschiedlichen Frauenfiguren, ihrem Leben, den Möglichkeiten und ihren Entscheidungen, die meistens darin bestehen, sich nicht zu entscheiden, lieber zu verharren und zu schweigen. Die Handlung spielt in der unmittelbaren Gegenwart, wird jedoch durch Erinnerungen in Form von Gedanken und Gesprächen ergänzt, sodass sich ein nachvollziehbares Gesamtbild auch der Vergangenheit ergibt. Die Sprache entspricht dem Genre, sie beobachtet und beschreibt das Verhalten der einzelnen Figuren und ist flüssig zu lesen.   

Fazit

Ein Roman, in dessen Mittelpunkt Frauenleben unserer Zeit, problematische Beziehungen und Familienkonflikte stehen.

Engel im Schatten des Flakturms – Michael Kanofsky

AutorMichael Kanofsky
Verlag duotincta GbR
Erscheinungsdatum 2. Mai 2019
FormatBroschiert
Seiten266
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3946086444

„Der Abschied von Wien und der Plan, das in Wien begonnene Werk nun in Dr. Stidmanns Berliner Wohnung fortzusetzen und, wenn möglich, zu finalisieren, beides gehört untrennbar zusammen.“ (Zitat Seite 29)

Inhalt

Der Ich-Erzähler ist Schriftsteller. Er sitzt an seinem Stammplatz, einem Zweiertisch in einer Nische am Fenster, im Café Prückel in Wien. Das Prückel hat er auch immer mit seinem verstorbenen Freund, dem Berliner Literaturwissenschaftler Franz Stidmann, besucht, wenn dieser in Wien war. Elf Jahre lang waren sie befreundet, nun ist sein Freund tot und der Ich-Erzähler hat dessen Wohnung mit dem großen Schreibtisch und einer umfassenden Bibliothek in Berlin geerbt. In einigen Stunden wird er im Nachtzug nach Berlin sitzen, um dort weiter an seinem Roman zu schreiben. In Stidmanns Aufzeichnungen findet er Einladungen von Kultureinrichtungen in der Schweiz und in Brasilien und er beschließt beide Orte im Andenken an seinen verstorbenen Freund zu besuchen.

Thema und Genre

In dieser Geschichte geht es um das Schreiben und die Entstehung eines Romans. Damit verbunden sind Literatur, Schriftsteller, ihre Werke und ihre Romanfiguren.

Charaktere

Wir kennen den Namen des Ich-Erzählers nicht, aber wir wissen, wie er aussieht, dass er Schriftsteller ist, in Wien lebt und sich immer noch gerne an sein Studiensemester in Cambridge erinnert. Produktivität ist für ihn ein wichtiges Thema, der Schreibprozess, aber damit verbunden auch seine Selbstzweifel. Über seinen Freund Stidmann erzählt er, dass dieser im Aussehen und Verhalten dem Schriftsteller Uwe Johnson gleicht.

Handlung und Schreibstil

Der Ich-Erzähler berichtet über die aktuellen Ereignisse, er beginnt mit seinem Abschied von Wien im Café Prückel und seiner Reise nach Berlin. Die Handlung wird unterbrochen durch Erinnerungen an Cambridge, an seinen Freund Stidmann, Rückblenden, Stidmanns Aufzeichnungen und Berichte über die eigenen Fortschritte beim Schreiben. Bis zur letzten Seite warten Überraschungen, interessante Begegnungen und wirklich unvorhersehbare Wendungen auf uns Lesende.

Der Autor ist ein packender, phantasievoller und auch sprachlich immer wieder überraschender Erzähler. Seine Art, die Reise von Berlin nach Bern zu schildern, ist genial und malt sofort Bilder und das reale Gefühl langer Autofahrten in unsere Gedanken. Meine Wiener Seele hatte er schon vorher überzeugt, so wie er kann nur jemand diese vielschichtige Stadt schildern, der sie wirklich kennt und liebt, nicht nur die Hochglanzseiten, sondern das echte Leben. Auf den Seiten 41 und 42 beschreibt er in einem einzigen Satz das Nachtleben in der Wiener Innenstadt, dreizehn Zeilen, die genügen, um alle Szenen, Begegnungen und Eindrücke zu erfassen. Ähnlich lebendig, anschaulich und treffend sind auch seine Schilderungen des Lebens in Berlin.

Fazit

Dieser außergewöhnliche, mit Vergnügen zu lesende Roman ist die Geschichte des Entstehens einer Geschichte. Abenteuerliche Reisen mit der Bahn nach Berlin, mit dem Auto in die Schweiz, mit der Fähre über die Ostsee und mit dem Flugzeug über den Atlantik ans andere Ende der Welt, Gedankenwelten, Traumwelten, magisch-phantastische Welten, literarische Erlebnisse, Schriftsteller, ihre Werke, ihre Figuren: dies alles vereint sich im Notizbuch des Schriftstellers zum Roman.

Nur hier sind wir einzigartig – Christine Avel

AutorChristine Avel
Verlag Mare Verlag
Erscheinungsdatum 27. Juli 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten160
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3866486485

„Die Welt ist hier und nur hier, bebt lebendig und warm unter unseren Händen, unseren Füßen. Wir werden sie niemals verlassen.“ (Zitat Pos. 23)

Inhalt

Neun Monate des Jahres sind sie Denis, seine Schwester Isabelle und Giacomo und leben in Belgien und Italien, doch in den drei Sommermonaten werden sie zu Niso, Evi und Zac. Jedes Jahr treffen sie einander mit anderen Kindern auf einer griechischen Insel. Auch Stella und Mikalis aus dem nahegelegenen Dorf gehören dazu. Während die Eltern als Archäologen auf dem Ausgrabungsgelände arbeiten und forschen, sind es für die Kinder Sommer in völliger Freiheit in der Natur, sonnige Tage am Meer, Entdeckungen und Abenteuer. Nie, denken sie, würde sich an ihrer Zusammengehörigkeit etwas ändern. Doch aus Kindern werden Jugendliche und Erwachsene. Was bleibt, sind Erinnerungen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um unbeschwerte Ferientage am Rande einer Ausgrabungsstelle auf einer griechischen Insel. Es ist eine Coming-of-Age Geschichte, welche die unbeschwerten Feriensommer der Kinder und Jugendlichen mit ihren Zukunftsträumen der Realität des nunmehrigen Erwachsenenlebens gegenüberstellt.

Charaktere

Besonders für Niso, Evi und Zac fühlen sich diese Sommer wie ein völlig anderes Leben an, wie das einzig richtige Leben, die Monate dazwischen mit Schule und Alltag sind in dem Augenblick vergessen, in dem sie auf der Insel ankommen. Auch die Eltern sind ungezwungener, obwohl der Ehrgeiz ihre Arbeit als Archäologen antreibt und die Suche nach dem besonderen Fundstück.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt in der frühen Kindheit der Hauptfiguren. Erzählt werden die Ereignisse, die täglichen Erlebnisse und Entdeckungen in Form von Erinnerungen. Es sind eher Einzelepisoden, nicht immer chronologisch, aber zu jeweils einem besonderen Ereignis oder Tagesablauf, unterbrochen durch Schilderungen des aktuellen Lebens, denn aus den damaligen Kindern sind längst Erwachsene geworden. Die Ich-Erzählerstimme berichtet gleichzeitig von sich als dritter Person, im Laufe der Handlung ergeben sich Hinweise, wer die täglichen Erlebnisse damals aufgeschrieben hat. Auch wenn immer nur von einer griechischen Insel die Rede ist, ist auf Grund des Namens des nahegelegenen Dorfes und der Beschreibung der Form der Insel rasch klar, dass es sich um Kreta handelt. Was auch auf Grund der Ausgrabungen stimmig ist. Die Sprache ist poetisch und fängt den Zauber sonniger Kindheitstage am Meer ein, die Geschichte selbst verliert durch die Art des Erzählens von aneinandergereihten Episoden etwas von ihrer fließenden Leichtigkeit.

Fazit

Eine Geschichte über glückliche, völlig unbeschwerte Kindheitstage auf einer griechischen Insel, nachdenkliche Erinnerungen an Freundschaft, Sommer und Meer.

Dora Maar und die zwei Gesichter der Liebe – Picasso ist ihr Leben, die Kunst ihre Leidenschaft – Bettina Storks

AutorBettina Storks
Verlag Aufbau Taschenbuch
Erscheinungsdatum 21. Juni 2021
FormatTaschenbuch
Seiten451
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3746637976

Zit

Inhalt

Als Dora Maar 1936 Pablo Picasso in Paris kennenlernt, ist sie zwar erst neunundzwanzig Jahre alt, aber bereits eine bekannte, erfolgreiche Fotografin mit einem eigenen Atelier. Sie ist  Teil der Pariser Kunstszene und, noch wichtiger, Mitglied der Pariser Surrealisten, befreundet mit Man Ray, André Breton und Paul Éluard. Die Beziehung zwischen der exzentrischen Dora und dem wesentlich älteren, egozentrischen Pablo ist leidenschaftlich und intensiv. Bald ist die eigenständige Künstlerin Dora Maas nur mehr die Muse von Picasso, in seinen Schatten gedrängt. In ihrer Liebe bemerkt sie das zunächst kaum. Doch Picassos Genie verlangt immer wieder nach neuen Herausforderungen und neuen Musen. 1943 lernt Picasso die erst einundzwanzig Jahre alte Françoise Gilot kennen.

Thema und Genre

Dieser Roman, in dessen Mittelpunkt die leidenschaftliche, problematische Beziehung zwischen der Künstlerin Dora Maas und Pablo Picasso steht, spielt in der Künstlerszene der Weltstadt Paris, ein wichtiges Thema ist das Leben während der Besatzungszeit und die Entstehung des berühmten Gemäldes „Guernica“. Vor allem aber geht es um die eigenständige, vielseitige Künstlerin Dora Maar, die von den internationalen Kunstkritikern viele Jahre lang nur als eine der Frauen im Leben und auf den Bildern von Picasso gesehen worden war.

Charaktere

Auch wenn manche Szenen und Ereignisse fiktiv sind, die Personen sind real und bis in die kleinsten Details sehr umfassend und einfühlsam recherchiert.

Handlung und Schreibstil

Der Roman umfasst die Jahre Jahre 1928 bis 1956 in Paris und in der Provence, beginnt mit einem Prolog 1925 und endet mit einem Epilog im Jahr 2019. Erinnerungen ergänzen die aktuelle Handlung, die chronologisch erzählt wird. Die Geschichte besticht durch die vielen lebhaften Details der Beschreibungen von Paris in diesen wichtigen Jahren, der schillernden Kulturszene in der Zwischenkriegszeit, der französischen Hauptstadt in den Händen der Nationalsozialisten, dem Aufbruch nach Kriegsende und den Schilderungen der besonderen Natur und Menschen der Provence. Auch die realen Biografien von Pablo Picasso und Dora Maas fließen in die fiktive Romanhandlung ein, wodurch sich ein lebendiges, interessantes Gesamtbild ergibt. Der Verlag formuliert in der Beschreibung des Inhaltes „Eine herzzerreißende Liebe …“, was mich beinahe daran gehindert hätte, dieses Buch zu lesen. Doch anders als vermutet ist die Erzählsprache angenehm und unterhaltsam zu lesen und die Geschichte wird nie trivial oder kitschig.

Fazit

Bei diesem Roman handelt es sich um Band 18 der Serie „Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe“ und diese interessante, lesenswerte, sehr genau recherchierte Geschichte der Künstlerin Dora Maar besticht durch Realitätsnähe und Lebendigkeit.

Nebelmeer #7 – Lutz Flörke

AutorLutz Flörke
Verlag duotincta GbR
Erscheinungsdatum 4. Juli 2021
FormatBroschiert
Seiten268
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3946086680

„Weshalb soll ich Bücher lesen, über die ich mit meinen Freunden nicht reden kann?, fragt mich die Blumenhändlerin. Suchen Sie sich andere Freunde!, sage ich zu ihr.“ (Zitat Seite 217)

Inhalt

HP hat studiert, doch anders als sein Freund Maximilian hält er an dem Beschluss ihrer Jugend fest, sich nicht dem Erfolgszwang zu unterwerfen. Heute ist HP Museumswärter in der Hamburger Kunsthalle, während Maximilian ein erfolgreicher Unternehmer ist. Nun ist Maximilian verschwunden und HP soll ihn suchen. Er findet heraus, dass sein Freund an einem Bildungsroman schreibt. Durch einen Zufall entdeckt HP das Skript, beginnt zu lesen und stutzt. Diese Geschichten kennt er genau, denn es sind seine eigenen Erlebnisse. Maximilian hat nur die Namen geändert und will sie offensichtlich als seine Biografie veröffentlichen. HP will seine Lebensgeschichte zurück und er folgt weiter Maximilians Spuren, die ihn zurück in seine Jugend und Erinnerungen führen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Jugenderinnerungen, die Frage nach dem Platz im eigenen Leben, Philosophie, aber auch um Literatur, Erzähltheorien, Bücher, Beziehungen und natürlich ist auch die Liebe ein Thema. Nicht ohne Grund gab Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ diesem Roman den Namen.

Charaktere

HP will endlich die Hauptperson in seinem eigenen Leben sein, seine eigene Geschichte schreiben. Unterstützung findet er bei der unbekümmerten Marnie, die er am Beginn seiner Reise kennenlernt.

Handlung und Schreibstil

„Ich fliehe vor einer Karriere in die Kunsthalle. Ich fliehe aus der Kunsthalle in ein Roadmovie, vom Roadmovie zurück in die Kunsthalle, von dort in die Ottenser Hauptstraße, aus der ins Theater.“ (Zitat Seite 223)

HP ist Hauptperson und gleichzeitig Ich-Erzähler in diesem Roman, der in der Gegenwart spielt. HP besucht die Orte seiner Kindheit und Jugend, seine Reise wird chronologisch geschildert, ergänzt durch Rückblenden und Erinnerungen. Zitate und Textauszüge über das Schreiben, Erzählformen, Textanalyse, gesellschaftskritische und philosophische Überlegungen ziehen facettenreich immer wieder durch die Gedanken von HP. Ein Roman wie eine Wundertüte, jede Geschichte birgt in sich eine weitere Geschichte, die Ebenen verschieben sich, werden neu zusammengefügt. HP liebt Anfänge und probiert sie alle aus. Der Autor spielt vergnügt mit der Sprache, mit Möglichkeiten, Varianten und unterschiedlichen Erzählformen. Wir Lesende folgen ihm gespannt, staunend und manchmal verwirrt, dann wieder mit lautem Lachen.

Fazit

Dieser Roman ist eine Mischung aus Roadmovie und wilder Achterbahnfahrt, skurril, witzig und voll von überraschenden Wendungen, interessant und vielseitig. Hier zeigt es sich wieder, dass es sich lohnt, sich in den Programmen der kleinen, unabhängigen Verlage umzusehen und aus dieser bunten Vielfalt den persönlichen Lesestoff zu erweitern.

Im Park der prächtigen Schwestern – Camila Sosa Villada

AutorCamila Sosa Villada
Verlag Suhrkamp Verlag
Erscheinungsdatum 18. Januar 2021
FormatBroschiert
Seiten220
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinSvenja Becker
ISBN-13978-3518471180

„Meine Freundinnen, die trans Frauen, die meine Familie bildeten, konnten nicht nachvollziehen, wie ich die Zurschaustellung aushielt, das Tageslicht, den heterosexuellen Blick auf mich, wie ich in der Lage war, Kurse zu besuchen und Prüfungen abzulegen bei Dozenten, die von meinem nächtlichen Dasein nichts ahnten.“ (Zitat Seite 126)

Inhalt

Zu Hause ist er Cristian, der Sohn. Mit fünfzehn Jahren näht er sich selbst Frauenkleidung, schleicht sich aus dem Haus, ist nun Camila, die tanzen geht. Früh zieht sie nach Córdoba, am Tag Student, in der Nacht schützt sie die Anonymität der Stadt, sie kann sein, wer sie wirklich ist, die trans Frau Camila. Im Park Sarmiento lernt sie eines Nachts eine bunte, fröhliche Gruppe von jungen trans Frauen kennen und die alterslose Tía Encarna, die sie alle in ihrem Haus aufnimmt und sich um sie kümmert. Sie alle sind Geschöpfe der Nacht, führen ein geheimes, gefährliches Leben, sie lachen, sie weinen, sie streiten, sie feiern und sie halten zusammen. In einer argentinischen Gesellschaft, die sie verachtet und verfolgt, träumen sie den Traum von einem freien, selbstbestimmten Leben als trans Frau.

Thema und Genre

Dieser moderne Roman beschreibt autobiografisch zwischen Fakten, Fiktion, Realität und märchenhaften Mythen das Leben der trans Frauen in Südamerika mit den Gewalterlebnissen, Drogen, Armut, Sehnsucht und Liebe und ihrer intensiven Lebensfreude, denn sie alle feiern das Leben.

Charaktere

Die Kindheitserinnerungen an den gewalttätigen Vater machen es Camila unmöglich, als Mann zu leben. Sehr einfühlsam beschreibt die Autorin die prächtigen Schwestern mit ihren Eigenheiten, ihren Lebensläufen und dem gemeinsamen intensiven Wunsch, als trans Frau akzeptiert zu werden.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung ist nicht immer chronologisch, es sind einzelne Episoden, Erlebnisse, Fragmente, besondere Situationen, fröhliche, ausgelassene Feiern, die Camila als Ich-Erzählerin schildert, und auch bittere Momente des totalen Zusammenbruchs. Wir erfahren Details aus den Lebensgeschichten der einzelnen trans Frauen, der Freier und exzessiv gelebten Nächte. Den Kern bildet die Geschichte der, wie sie selbst sagt, einhundertachtundsiebzig Jahre alten Tía Encarna und des Babys, das in einer kalten Winternacht im Park ausgesetzt worden war, um zu sterben. Sie nimmt den Jungen mit in ihr Haus, wo er aufwächst. Die Sprache umfasst das gesamte Spektrum zwischen der harten Realität der Prostitution, den mit einfühlsamer Wärme beschriebenen einzelnen Figuren und märchenhafter Poesie.

Fazit

Ein moderner, realistischer Roman, ein Bericht über die Lebensumstände der trans Frauen in Argentinien und zugleich eine eindrückliche Geschichte über Menschen, die das Leben trotz allem ausgelassen feiern und die einfach nur frei leben wollen, wie es ihnen gefällt. „Wir, die Vergessenen, wir sind schon ohne Namen. Als wären wir nie da gewesen“. (Zitat Romanende, Seite 220). Dieser Roman gibt den trans Frauen Namen.

Codex 632 Wer war Christoph Kolumbus wirklich? – J.R. Dos Santos

AutorJ.R. Dos Santos
Verlag luzar publishing
Erscheinungsdatum 22. November 2019
FormatTaschenbuch
Seiten368
SpracheDeutsch
ÜbersetzungViktoria Reich
ISBN-13978-3946621065

„Wenn jemand Tomás Noronha an diesem Morgen gesagt hätte, er würde die nächsten Wochen damit verbringen, durch die Welt zu reisen, um eine fünfhundert Jahre alte Verschwörung zwischen den beiden einstigen Weltmächten Spanien und Portugal aufzuklären und in die esoterische Welt der Kabbala und der Tempelritter einzutauchen, hätte er vermutlich gelacht.  Und doch stand ihm genau das bevor.“ (Zitat Seite 12)

Inhalt

Dieser 6. Dezember 1999 in Lissabon begann für den Historiker und Dozenten Tomás Noronha mit einer Vorlesung, gefolgt von Institutsbesprechungen. Am späten Abend eines sehr langen Tages erhält er einen Anruf von Nelson Moliarti, Stiftung für gesamtamerikanische Geschichte in New York, in deren Auftrag der bekannte Professor Toscano die historischen Hintergründe der Entdeckung Brasiliens untersucht. Der Professor teilt der Stiftung mit, brisante Fakten entdeckt zu haben, die bekannte historische Ereignisse verändern werden, doch bis zur Veröffentlichung will er seine Forschungsergebnisse geheim halten. Am 30. November 1999 ist Professor Toscano in seinem Hotelzimmer in Rio überraschend verstorben. Die Stiftung bittet den bereits international bekannten Codespezialisten Tomás Noronha um Hilfe, er soll herausfinden, woran genau der Professor gearbeitet und was er entdeckt hat. Dieser nimmt den hochdotierten Auftrag an und bald ist er einem Geheimnis auf der Spur, das tatsächlich die bisher bekannten historischen Fakten um eine wichtige Entdeckung verändern kann, denn im Mittelpunkt der Forschungen des verstorbenen Professors standen nicht Cabral und Brasilien, sondern Christoph Kolumbus.

Thema und Genre

Dieser in deutscher Sprache als vierter Band erschienene Roman ist im Original das erste Buch der Serie um den portugiesischen Kryptanalysten und Historiker Tomás Noronha. Es geht um die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus.

Charaktere

Tomás Noronha, fünfunddreißig Jahre alt, ist ein international bekannter Codepsezialist und Historiker, spricht eine Reihe von alten Sprachen. Professor Toscano pflegte seine Daten und Notizen mit komplizierten Wortkreationen zu verschlüsseln. Obwohl ihn gerade auch seine private Situation fordert, recherchiert Tomás intensiv, denn die Stiftung drängt, braucht Resultate. Die Veröffentlichung soll bereits zur geplanten Jubiläumsfeier fünfhundert Jahre Entdeckung Brasiliens am 22. April 2000 stattfinden.

Handlung und Schreibstil

Bereits in diesem ersten Buch der Tomás Noronha Reihe überzeugt die interessante, packende und wissenschaftlich umfassend recherchierte Mischung aus Fiktion und Fakten. Die chronologisch erzählte Handlung führt den Hauptprotagonisten von Lissabon nach Rio de Janeiro, New York, Jerusalem und zuletzt nach London. Gekonnt baut der Autor die historischen Dokumente, authentischen Quellen, Manuskripte und alten Bücher in die Handlung ein, lässt uns durch seine Hauptfigur Detail um Detail die einzelnen Puzzleteile entdecken und nachvollziehen. Auch den titelgebenden Codex 632 gibt es tatsächlich. Dennoch ist die Handlung selbst fiktiv, ein Roman.

Fazit

Diese hochinteressante Kombination aus Information, Wissenschaft und spannender Geschichte, aus authentischen Fakten und Fiktion, macht jedes Buch der Serie zu einem besonderen Leseerlebnis.

Das Lächeln der Libellen – Patricia Koelle

AutorPatricia Koelle
Verlag FISCHER Taschenbuch
Erscheinungsdatum 28. Oktober 2020
FormatTaschenbuch
Seiten528
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3596705283
SerieDie Inselgärten-Reihe, Band 2

„Es ist überhaupt nicht gut, immerzu glücklich sein zu wollen. Es gibt auch eine Zeit zum Trauern. Eine Zeit, sich zurechtzufinden.“ (Zitat Seite 52)

Inhalt

Nach zwanzig glücklichen Ehejahren stirbt Junas Mann Adrian plötzlich bei einem Unfall. Seither lebt Juna zurückgezogen im Haus ihres verstorbenen Großvaters im Spreewald, umgeben von Natur, Libellen und einem wunderbaren Garten, den sie selbst angelegt hat. Doch da ist noch das Versprechen, das sie ihrem Schwiegervater Wilhelm kurz vor dessen Tod gegeben hat. Vor vielen Jahren, als Adrians Eltern ihr Hotel auf Hiddensee über Nacht verlassen mussten, hatte Wilhelm einen Anhänger gefunden, wunderbar gearbeitet, eine Libelle aus Gold. Luna musste ihm versprechen, auf Hiddensee nach der Herkunft dieses Schmuckstücks zu forschen. Als sie zufällig die junge Journalistin Linnea kennenlernt, die sich ebenfalls gerade völlig neu orientiert, fahren sie gemeinsam auf die Insel Hiddensee, erkunden die Insel, die auf Juna schon bei ihrem ersten Besuch vor vielen Jahren eine ganz besondere Anziehungskraft ausgeübt hatte, und beginnen mit ihren Nachforschungen. Bald entdecken sie, dass diese besondere Insel eine Menge Überraschungen für sie bereithält.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Trauer, Erinnerungen, Ideen und Träume, und den Mut zum Neubeginn. Das Kernthema ist das Leben im Einklang mit der Natur, der bewusste Umgang mit der Umwelt und der Schutz derselben, gerade in der heutigen Zeit. Natürlich spielt auch die Liebe eine Rolle.

Charaktere

Juna hat schon als Kind wenig geredet, dafür war sie immer neugierig, eine gute Beobachterin der Natur und handwerklich kreativ. Sie zieht sich völlig in die Erinnerungen und die Trauer um ihren Mann zurück, bevor sie auch durch das Versprechen, das sie Wilhelm gegeben hatte, langsam in die Gegenwart zurückkehrt. Linnea ist engagiert, hat viele Ideen, doch sie ist manchmal eine zu detailorientierte Planerin, weil ihr das die Sicherheit gibt, die sie braucht. Als Journalistin will sie etwas bewegen, die Menschen mit ihren Beiträgen erreichen.

Handlung und Schreibstil

Die aktuelle Geschichte spielt zwischen 2015 und 2017, Handlungsorte sind der Spreewald und die Insel Hiddensee. Die einzelnen Kapitel stellen abwechselnd Juna oder Linnea in den Mittelpunkt. Ergänzt wird die Handlung durch Rückblenden. Die Sprache erzählt und schildert lebendig die Schönheiten und Vielfalt der Natur in den versteckten Wasserläufen im Spreewald und auf der Insel Hiddensee, eine Insel mit ganz besonderem Flair. Den Spreewald kenne ich nicht, aber Stralsund und die Insel Hiddensee. Daher begeistert mich die genaue Recherche, denn die versteckten Wege und Plätze, die in diesem Roman beschrieben werden, kennt nur, wer diese persönlich erwandert und für sich entdeckt hat.

Dieser zweite Band der „Inselgärten-Serie“ ist eine in sich geschlossene Geschichte, die man auch unabhängig von den anderen Teilen lesen kann.

Fazit

Es gibt Gegenwartsliteratur mit brisanten Themen unserer Zeit, deren Konflikte, Problematik und Figuren uns manchmal mit mehr offenen Fragen zurücklassen, als vor der Lektüre. Dann gibt es Bücher, bei denen wir uns von der ersten Seite an darauf verlassen können, dass die Figuren trotz ihrer Probleme und Krisen eine Lösung finden werden. Welche? Da lassen wir uns überraschen. Diese Bücher schließen wir mit einem Lächeln und es sind Wohlfühlgeschichten wie diese hier.

Eine Geschichte, die uns verbindet – Guillaume Musso

AutorGuilleaume Musso
Verlag Pendo Verlag
Erscheinungsdatum 31. Mai 2021
FormatBroschiert
Seiten320
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinEliane Hagedorn
ÜbersetzerinBettina Runge
ISBN-13978-3866124844

„Ich war eine Romanfigur. Hinter seiner Schreibmaschine oder wohl eher hinter dem Bildschirm seines Computers spielte jemand mit meinem Leben.“ (Zitat Seite 91)

Inhalt

Am 12. April 2010 spielt die erfolgreiche Romanautorin Flora Conway, Kafka-Preisträgerin, mit ihrer dreijährigen Tochter Carrie in ihrem eleganten Appartement in Brooklyn Verstecken, es ist das Lieblingsspiel ihrer Tochter. Bei „zwanzig“ öffnet Flora die Augen und beginnt zu suchen. Ihre Tochter ist verschwunden und auch Monate später gibt es keine Spur von ihr. Floras Verlegerin und Freundin Fantine de Vilatte drängt sie, wieder mit dem Schreiben zu beginnen um den Verlust zu verarbeiten, doch Flora kann und will nicht schreiben, sie will nur eines, ihre Tochter wiedersehen. Je tiefer sie in die Erinnerungen an Carrie eintaucht, desto intensiver wird das Gefühl, dass sie selbst die Hauptfigur in einer längst geschriebenen Geschichte ist. Irgendwo hinter einem Computer-Bildschirm sitzt jemand, Schriftsteller wie sie selbst, und es gibt sie, diese „dritte Seite des Spiegels“.

Thema und Genre

Dieser Roman handelt vom Schreiben. Es geht um die Parallelwelten, die Autor*innen beim Entwickeln der Figuren und während des Entstehens eines Romans betreten, immer auf dem schmalen Grat zwischen der fiktiven Welt der Geschichte und der Realität des eigenen Alltags.

Charaktere

Beide Hauptfiguren sind Schriftsteller, Flora Conway in New York und Romain Ozorski in Paris, sie wissen, wie man erfolgreiche Romane schreibt, sie kennen das Leben eines Autors mit seinen Figuren. Flora wird durch den Verlust von Carrie völlig aus der Bahn geworfen, Romain droht die Trennung von seinem Kind, denn seine Exfrau will mit dem gemeinsamen Sohn Théo in die USA ziehen. 

Handlung und Schreibstil

Der Hauptteil der Handlung findet zwischen den Jahren 2010 und 2022 in New York und Paris statt, wird chronologisch erzählt, wobei Flora und Romain einander als Ich-Erzähler abwechseln. Besonders interessant ist dies zu lesen, wenn es sich um dasselbe Ereignis handelt, das aus unterschiedlichen Sichtweisen geschildert wird. Die gesamte Handlung ist ein ungewöhnliches, spannendes Konstrukt mit überraschenden Wendungen, die von nochmals überraschenderen Wendungen abgelöst werden. So ergibt sich ein vielschichtiges Netz aus teilweise verknüpften, teilweise ineinander gestapelten Ereignissen, Szenen und Episoden, die zu seiner gemeinsamen Geschichte werden.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat zum Hauptthema dieses Romans.

Fazit

Ein interessanter, vielschichtiger Roman über das Entstehen einer Geschichte und das Leben von Schriftsteller*innen zwischen der realen Welt und ihrem Alter Ego, der fiktiven Welt ihrer Figuren.

Nur der Tod ist unsterblich – Reinhard Gnettner, Ein mörderischer Literatur-Krimi

AutorReinhard Gnettner
Verlag Carl Ueberreuter Verlag
Erscheinungsdatum 30. März 2021
FormatBroschiert
Seiten180
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3800090068

„Diese Herren waren das Beste, was ihr hatte passieren können. Originell, sympathisch, unterhaltsam und sie hatten, wie es ihr schon beim Einstellungsgespräch aufgefallen war, ihr natürliches Ablaufdatum ganz ungeniert überschritten. (Zitat Seite 25)

Inhalt

Nach einem Symposium sitzen sie noch zusammen im Kaffeehaus: Heimito von Doderer, Erich Fried, Leo Perutz, Friedrich Torberg und Stefan Zweig. Doch das Café Central, wie sie es kannten, gibt es längst nicht mehr, nun füllen das berühmte Kaffeehaus in Wien die Hektik und der Lärm der Touristenströme. So beschließen sie an diesem 10. Oktober, ihre Idee endgültig in die Tat umzusetzen. Sie gründen eine Wohngemeinschaft und das gemeinsame Wohnzimmer wird ihr privates Kaffeehaus. Rasch ist eine geeignete Wohnung im 9. Wiener Gemeindebezirk, zu dem sie alle eine besondere Beziehung haben, gefunden, und Ella aus Krakau als Haushälterin und Pflegerin eingestellt. Nun wollen sie endlich wieder schreiben, bevor sie endgültig in Vergessenheit geraten, doch erst, als sie ein gemeinsames Buch planen, kehrt auch die Freude am Schreiben zurück. Da wird Heimito von Doderer tot aufgefunden und bald folgt der nächste Unfall – oder war es Mord? Schon spricht ganz Wien von einem gefährlichen Literatenkiller.

Thema und Genre

Dieser literarische Kriminalroman mit Regionalbezug spielt in Wien. Im Mittelpunkt steht die Selbsthilfegruppe der vergessenen Literaten, fünf berühmte Schriftsteller, die eine WG gründen.

Charaktere

Die einzelnen Persönlichkeiten werden beim Lesen sofort lebendig, jeder auf seine Art authentisch und sofort erkennbar. Dies zeigt, wie intensiv sich der Autor mit den einzelnen Werken und Biografien beschäftigt hat. Gekonnt mischt er Fakten und überlieferte Zitate mit seinen eigenen Gedanken und Ideen.

Handlung und Schreibstil

Die aktuellen Ereignisse finden zwischen Oktober und April statt und spielen in unserer Zeit. Großartig zu lesen der Alltag und die Gespräche der alten Literaten, ihre Erinnerungen, die kleinen Streitereien. Dazu das Urwiener Ehepaar, in dessen Haus sie die Wohnung gemietet haben und der Kommissar, der in diesen letzten Wochen bis zur Pensionierung eigentlich seine Ruhe haben wollte. Wunderbar beschrieben sind das Servitenviertel, die Porzellangasse und die berühmte Strudlhofstiege. Der Fall ist eigenartig und geheimnisvoll und in Verbindung mit Humor und dem Charme Wiens ergibt dies eine Geschichte, die man mit einem vergnügten Schmunzeln liest. Ein Quellenverzeichnis und Kurzbiografien mit ausgewählten Werken der fünf Schriftsteller am Ende des Buches sind eine interessante Ergänzung.

Fazit

Eine geniale Idee und die Frage „Was wäre, wenn diese fünf großartigen Literaten noch lebten, wenn sie dank ihrer Werke unsterblich wären? Wie würde es weitergehen?“ (Zitat Seite 5) führen zu einer ebenso genialen Geschichte. Dieser Wiener Literaturkrimi ist ein literarisches, sehr unterhaltsames Lesevergnügen, ein Buch nicht nur für das eigene Bücherregal, sondern auch das perfekte Geschenk für Literaturfreunde.  

Leuchtfeuer im Kupfer der Dämmerung: Gedichte und Erzähltes aus vier Jahrzehnten – Jim Palmenstein

AutorJim Palmenstein
Verlag Klingenberg
Erscheinungsdatum 2. August 2018
FormatGebundene Ausgabe
Seiten448
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3200055025

„und die Dunkelheit beugt sich/über das wispernde blaue Wasser/die Leuchttürme funkeln grell ins Kupfer der Dämmerung/der Wasser im Westen“ (aus „Der Leuchtturmwärter“, Seite 423)

Thema und Inhalt

Dieses Buch ist eine Sammlung von Gedichten und Erzählungen des Autors Jim Palmenstein, die im Laufe von vierzig Jahren, zwischen 1978 und 2018, entstanden sind. Schon die Herstellung, Material und Gestaltung, ich spreche von traditioneller Buchbindekunst des Klingenberg Verlages, ziehen Augen und Hände an und machen immer wieder Freude. Dieses besondere Kleinod umfasst zwischen Cover und Buchrücken eine bunte Vielfalt von  Geschichten, die uns der Autor in Gedichtform, als Prosa und allen sprachlichen Möglichkeiten dazwischen, erzählt und mit eigenen Schwarz-Weiß-Fotografien ergänzt. Wir finden alle Themen des Lebens, Gefühle, Erinnerungen, Sehnsucht, philosophische Gedanken, magische Momente ebenso wie Alltagserlebnisse.

Gestaltung

Die meisten der zwölf Kapitel beginnen jeweils mit einem aktuellen Prosatext, während die poetischen Texte, Gedichte in epischer Länge, in unterschiedlichen Formen einer besonderen Erzählsprache geschrieben sind. Frei von Reimzwängen und starren Versformen widersetzen sie sich dem Versuch einer sprachlichen Zuordnung, frei wie die Gedanken bringen sie diese zu Papier und damit auch zu uns. Groß- und Kleinschreibung setzt der Autor nach eigenem Empfinden ein, Lesende, die das stört, ermuntert er mit einem Augenzwinkern, „einen Pencil zu nehmen und ein bißchen zu korrigieren“ (Seite 97).

Im Kapitel IX, „Traumreisen“, finden wir die auch als eigenes Buch erschienene Erzählung „Der fliegende Teppich“, die fantastische Geschichte einer Reise, eine Mischung aus Fantasie und Magie, ein eindrücklich überzeichnetes Bild unserer Gesellschaft.

Genial zu lesen sind einige Erzähltexte, welche Momentaufnahmen aus dem Alltag seines zweiten Erzähl-Ichs Graufeder schildern und zu einer gedanklichen Zwiesprache führen, die der schreibende Autor, ebenfalls Graufeder, mit seiner Graufeder-Figur hält.

Fazit

„Es war die Nacht mit ihren vielen tausend Bildern, die mir immer unsichtbar   im Erwachen   täglich entschwindet   und mich mit mir selbst allein   zurückläßt.“ (aus „Die Nacht“, Seite 142) Ein auch handwerklich mit Liebe und Überzeugung zum Produkt Buch gestaltetes Lesebuch, ein magisches Füllhorn der Phantasie, dessen poetische, philosophische, nachdenkliche, skurrile, alltägliche Texte, Gedichte und Erzählungen dazu einladen, es immer wieder mit großem Vergnügen zur Hand zu nehmen.

Ostseeschmerz – Elias Haller, Finkel und Silber 4

AutorElias Haller
Verlag Edition M
Erscheinungsdatum 15. Juni 2021
FormatTaschenbuch
Seiten398
SpracheDeutsch
ISBN-13978-2496707717

„Damals hatten sie hier zu viert mit bloßen Händen gebuddelt. Im Sommer 1982.“ (Zitat Pos. 970)

Inhalt

Anlässlich einer Lesung der Autorin und Kriminalhauptkommissarin Greta Silber erzählt ihr Simone Dammbeck, die einige Esoterik-Ratgeber geschrieben hat, sie arbeite nun ebenfalls an einem Kriminalroman. Der Titel lautet „Der Knochenfund“ und es geht um ein 1982 auf der Insel Hiddensee geschehenes Verbrechen, dem jedoch nie nachgegangen wurde. Greta findet die Esoterikerin etwas eigenartig und aufdringlich, verspricht jedoch, sich das Exposé anzusehen. Als am nächsten Tag Simone Dammbeck tot in ihrer Sauna gefunden wird, fragen sich Greta Silber und ihr Kollege Hardy Finkel sofort, ob es sich tatsächlich um einen tragischen Unfall handelt. Oder gibt es einen Zusammenhang zu dieser Geschichte vom angeblichen Einbruch im Jahr 1982 auf Hiddensee und dem verschwundenen Jugendlichen? Was ist damals wirklich passiert? Als es in rascher Folge weitere Tote gibt, sind Finkel und Silber gezwungen, rasch nicht nur metaphorisch tief in der Vergangenheit zu graben.

Thema und Genre

Dieser Thriller mit Regionalbezug spielt an der Ostsee, auf Usedom, Rügen und Hiddensee. Es geht um Verbrechen in der Vergangenheit, Schuld und Rache.

Charaktere

Dies ist der vierte Fall des sympathischen Ermittlerteams Hardy Finkel und Greta Silber, wobei Greta plötzlich auch persönlich betroffen ist.

Handlung und Schreibstil

Nach einem Prolog im Jahr 1982 spielt die straffe Handlung in der Jetztzeit. Ergänzt wird sie durch Rückblenden, die Spuren bis in die Gegenwart aufzeigen. Doch die Rückschlüsse sind nicht immer richtig und es gibt einige überraschende Wendungen, die für zusätzliche Spannung sorgen. An den detaillierten Beschreibungen der verschiedenen Örtlichkeiten und Schauplätze erkennt man mit Freude, wie genau der Autor hier auf den Inseln recherchiert hat. Der Schreibstil entspricht dem Genre, die Ereignisse sind realistisch und logisch nachvollziehbar, Humor erhöht das Lesevergnügen.

Fazit

Ein interessant aufgebauter Ostsee-Thriller, der auf den Inseln Usedom, Rügen und Hiddensee spielt und nicht nur für Spannung, sondern auch für Urlaubsfeeling sorgt.

Möwentod – Elias Haller, Finkel und Silber 2

AutorElias Haller
Verlag Edition M
Erscheinungsdatum 26. Mai 2020
FormatTaschenbuch
Seiten413
SpracheDeutsch
ISBN-13978-2496704785

„Ich weiß nur, dass wir an einer Sache dran sind, die unsere bisherigen Vorstellungen übersteigt.“ (Zitat Seite 172)

Inhalt

Paulina Münzner, eine ehemalige Spitzenjournalistin, arbeitet jetzt als Privatdetektivin und entdeckt eher durch einige Zufälle und Recherchen eine brisante Geschichte. Doch nun liegt sie tot in einem billigen Motelzimmer in Stralsund, erwürgt. Wenige Monate sind erst nach dem intensiven letzten Fall der beiden Ermittler vergangen, gegen Hardy Finkel läuft ein mögliches Disziplinarverfahren. Doch als Greta Silber an diesem neuen Tatort niedergeschlagen wird, ist Hardy nicht aufzuhalten. Sie tauchen in einen unglaublichen Fall ein der immer weitere Kreise zieht und jemand will sie stoppen, um jeden Preis.

Thema und Genre

Auch dieser zweite Band der Ostsee-Thriller-Serie spielt an der deutschen Ostsee-Küste. Es geht um die Hoffnung auf einen Neubeginn und die damit verbundenen Themen und Hintergründe sind brisant und aktuell.

Charaktere

Das denkt Hardy über Greta: „Mit ihren Ermittlerfähigkeiten hätte sie vor Jahren beim BKA eine steile Karriere hinlegen können. Andererseits war sie dafür viel zu bodenständig und mit der Region verwurzelt.“ (Zitat Seite 171) Im Gegensatz zu ihr ist Hardy nach zwanzig Jahren erst wieder in seine alte Heimat zurückgekehrt, doch diesmal will er bleiben.

Handlung und Schreibstil

Eine Serie von Mordfällen und die damit zusammenhängenden Ereignisse lassen Hardy und Greta teilweise zweifeln, wem sie überhaupt noch trauen können. Unterschiedliche Fälle mit einigen Überraschungen führen schließlich zu unglaublich grausamen Verbrechen, doch die daran Beteiligten wollen mit allen Mitteln verhindern, dass diese aufgedeckt werden, denn es geht um sehr lukrative Geschäfte. Wer ihnen zu nahe kommt, riskiert das eigene Leben.

Fazit

Auch dieser zweite Fall für Hardy Finkel und Greta Silber ist vielschichtig, packend und  intensiv. Zusammen mit den stimmigen Schilderungen der großartigen Ostseeküste mit den Hansestädten und bekannten Inseln garantiert dieser Thriller interessante, sehr spannende Lesestunden.

Küstenstill – Elias Haller (Finkel und Silber 1)

AutorElias Haller
Verlag Edition M
Erscheinungsdatum 9. Juli 2019
FormatTaschenbuch
Seiten380
SpracheDeutsch
ISBN-13978-2919801817

„James Bond war nie Profiler – und ich auch nicht. Im Übrigen heißt es Fallanalytiker.“ (Zitat Seite 63)

Inhalt

Hardy Finkel kehrt nach zwanzig erfolgreichen Jahren beim BKA Wiesbaden in seine alte Heimat an der Ostsee zurück. Sein erster Arbeitstag als Kriminalhauptkommissar beim KPI Anklam beginnt mit einem Mordfall. Die grausam präsentierte Leiche der Kindergärtnerin Julia Asmann ist die erste einer Serie und plötzlich steht Hardy Finkel persönlich im Mittelpunkt der eigenartigen Ereignisse, denn über Puzzleteile erhält er geheimnisvolle Botschaften. Was hat dies alles zu bedeuten und welches brutale Spiel inszeniert die Tatperson für die Ermittler?

Thema und Genre

In diesem Ostsee-Thriller geht es um eine Mordserie, die Vergangenheit, Rache, Erinnerungen und Kindheitserfahrungen. Orte der Handlung sind bekannte Hansestätte wie Anklam, Greifswald, Rostock, sowie die Insel Usedom.

Charaktere

Hardy Finkel ist mit einundzwanzig Jahren nach Wiesbaden gezogen, nun kehrt er mit seiner Lebensgefährtin zurück. Zunächst hält ihn die Kollegenschaft in Anklam für einen Besserwisser und begegnet ihm mit Zurückhaltung. Auch die eigensinnige Kommissarin Greta Silber, die privat Kriminalromane schreibt und der er als Ermittlungspartner zugeteilt wird, ist nicht immer einer Meinung mit dem neuen Kollegen. Doch beide sind engagierte, hartnäckige Ermittler, das verbindet sie.

Handlung und Schreibstil

Die rasante, aktuelle Handlung wird durch Rückblenden ergänzt. Die Geschichte führt weit in die Vergangenheit zurück, ist klar nachvollziehbar und schlüssig. Unvorhersehbare Wendungen erhöhen die Spannung. Nicht nur Finkel und Silber, sondern auch wir rätseln beim Lesen, was es mit den Puzzleteilen auf sich hat, die nach und nach auftauchen. Der Schreibstil ist spannend angenehm zu lesen und entspricht dem Genre. Lebendige, authentische Schilderungen der Schauplätze an der Ostsee ergänzen die Handlung.

Fazit

Der packende Beginn einer neuen Serie, die an der deutschen Ostseeküste spielt und durch eine interessant aufgebaute Geschichte, ein sympathisches Ermittlerteam und überraschende Wendungen für spannende Unterhaltung sorgt.

Der brennende See – John von Düffel

AutorJohn von Düffel
Verlag DuMont Buchverlag
Erscheinungsdatum 18. Februar 2020
FormatGebundene Ausgabe
Seiten320
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3832181222

 „Neu sind nicht die Erkenntnisse, sondern unser Wille zu handeln, das Ende der Geduld meiner Generation mit deiner und die des Planeten mit uns. Die letzte Chance, etwas zu verändern, ist jetzt.“ (Zitat Seite 241)

Inhalt

Hannah reist mit leichtem Gepäck, wie schon ihr Vater, ein bekannter Schriftsteller. Nach seinem Tod kehrt Hannah ein letztes Mal an den Ort ihrer Kindheit zurück, um seine Wohnung zu räumen. Neben dem Bett liegt sein zuletzt erschienenes Buch, darin ein Foto von einer jungen Frau. Hannah will wissen, wer diese Unbekannte ist und als der Anwalt ihres Vaters sie vorab informiert, dass ihr Vater kurz vor seinem Tod sein Testament geändert hat, beginnt sie nachzuforschen. Obwohl sie, die einzige Tochter, ohnedies erwogen hatte, das Erbe auszuschlagen, will sie nun den Grund für die Entscheidung ihres Vaters wissen.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Generationenkonflikte, die Eltern-Kind-Problematik und aktuelle Umweltthemen.

Charaktere

Hannah ist stolz darauf, unabhängig und mit kleinem Gepäck zu reisen, wie schon ihr Vater. In ihrem Verhalten jedoch dient dies eher der Möglichkeit, rasch aus einer unangenehmen Situation fliehen zu können, sie ist labil und versucht wiederholt, trotz aller guten Vorsätze, auftretende Probleme mit Alkohol zu lösen, insgesamt keine besonders sympathische Hauptfigur.

Die junge Umwelt-Aktivistin Julia ist typisch für die Fridays-for-Future-Generation. Engagiert und überzeugt davon, dass die Elterngeneration an allem schuld sei, ist sie doch froh, dass immer, wenn sie erwischt wird, der Familienanwalt ihr zu Hilfe eilt, wenn ihre auf Grund ihrer Jugend ohnedies nur bedingte Strafmündigkeit sie nicht ausreichend schützt.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt innerhalb von wenigen Tagen zwischen dem 21. und 24. April. Jedes Kapitel berichtet als Einleitung über das aktuelle Wetter in diesen extrem warmen, sehr trockenen Vorsommertage. Im Mittelpunkt der personalen Erzählform steht Hannah, im Mittelpunkt der Ereignisse steht ein Baggersee.

Der Roman überzeugt durch seine eindringliche, leise Erzählsprache, nicht jedoch durch die Handlung und das Verhalten der einzelnen Figuren, denn viele Szenen sind weder logisch noch nachvollziehbar.

Fazit

Ein Roman über die Kernthemen unserer Zeit: Generationenkonflikt, Gesellschaftsstrukturen und Umwelt. Leider sind sowohl die Handlung, als auch das eigenartige Verhalten der einzelnen Figuren teilweise nicht stimmig und unglaubwürdig. Dies ist schade, denn der Autor ist ein genauer Beobachter und erzählt in einer eindrücklichen, klaren Sprache, die sehr angenehm zu lesen ist.

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