Eine verdächtig wahre Geschichte – Antoine Laurain

AutorAntoine Laurain
Verlag Atlantik Verlag
Erscheinungsdatum 2. Februar 2022
FormatGebundene Ausgabe
Seiten208
SpracheDeutsch
ÜbersetzungClaudia Kalscheuer
ISBN-13978-3455012026

„Vor langer Zeit ist etwas geschehen. An diesem Winternachmittag in der großen Stadt, auf der Terrasse dieses Cafés, unter diesem mondgrauen Himmel beschließe ich: Bald wird alle Schuld beglichen sein.“ (Zitat Pos. 609)

Inhalt

Zehn bis fünfzehn Manuskripte treffen täglich in diesem Pariser Verlag ein. Pro Jahr werden zwei bis drei davon angenommen. „Die Zuckerblume“ von Camille Désencres ist einer dieser Romane und ist nun auch für den Prix Goncourt nominiert. Als Violaine Lepage, Cheflektorin und Leiterin der Manuskriptabteilung, nach einem Unfall aus dem Koma erwacht, hat sie ein paar persönliche Fakten aus ihrem Leben vergessen, das jedoch nicht. Denn der Autor ist verschwunden. Ein berühmter Literaturpreis für ein von ihr veröffentlichtes Buch, bei dem sie nicht in der Lage ist, den Autor zu präsentieren, würde das Ende ihrer beeindruckenden Karriere bedeuten. Nun interessiert sich auch Sophie Tanche, Kommissarin der Kriminalpolizei Rouen, für die bekannte Lektorin und für diesen Roman. Vor einem Jahr hat die Kommissarin in einem immer noch ungelösten Fall mit zwei Toten ermittelt, deren Ermordung genau der Beschreibung in diesem Buch entspricht. Nun ist auch die Kommissarin auf der Suche nach dem Autor, denn in dem Roman sind streng vertrauliche Details erwähnt, die nie an die Öffentlichkeit gelangt sind, und es geht um insgesamt vier Morde.

Thema und Genre

Dieser Roman spielt in der Literaturszene. Themen sind Verlage, Bücher, Manuskripte und Buchpreise. Doch es geht auch um persönliche Entscheidungen und Geheimnisse, die tief in der Vergangenheit begraben sind.

Charaktere

Die Figuren sind authentisch, zeigen viele menschliche Facetten und ziehen uns Lesende sofort in ihren Bann.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt, wobei der zweite, mittlere Teil zwanzig Jahre früher spielt, die berufliche Entwicklung von Violaine schildert, und so die aktuelle Handlung unterbricht, gleichzeitig jedoch mit wichtigen Informationen ergänzt. Dieser interessante Aufbau der Geschichte macht sie packend und erhöht das intensive Vergnügen, sich Seite um Seite durch diese geheimnisvolle Suche nach einem unbekannten Autor zu lesen und gleichzeitig der ermittelnden, misstrauischen Kommissarin zu folgen.

Fazit

Eine Geschichte, deren Manuskript auch die strenge Lektorin Violaine sofort mit einer Sonne, dem internen Zeichen der Manuskriptabteilung für „angenommen“, versehen und veröffentlicht hätte. Denn dieser unterhaltsame, facettenreiche und überraschende Roman ist pures, großartiges Lesevergnügen.

Das Krähennest – Martina Wied

AutorMartina Wied
HerausgeberinEvelyne Polt-Heinzl
Verlag Edition Atelier
Erscheinungsdatum 22. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten480
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3990650509

„Niemand könnte einsamer sein, als ich es bin, keiner der alten Freunde – soweit sie noch erreichbar wären – kennt meinen Aufenthalt und wer hier mit mir umgeht, weiß nicht, wer ich war, wer ich bin: eine Sprachlehrerin, die ihr Fach leidlich versteht.“ (Zitat Seite 73)

Inhalt

Madeleine de la Tour verlässt ihren langjährigen Partner Ernest Mathieu Le Sieutre und gibt ihre erfolgreiche Tätigkeit als Kunsthistorikerin in Paris auf, als sie aus dem von den Nationalsozialisten besetzten Paris nach England flieht. Anders als Ernest ist sie nicht bereit, sich mit den Besatzern zu arrangieren, obwohl sie sich immer wieder fragt, ob es nicht mutiger und wichtiger gewesen wäre, zu bleiben und in Paris Widerstand zu leisten. Als Tochter eines französischen Vaters und einer österreichischen Mutter ist sie in der Lage, in England als Sprachlehrerin zu arbeiten. Aus den zahlreichen Angeboten wählt sie die Télème-Abtei-Schule, ein Londoner Privatinternat, das nun jedoch auf dem weitläufigen Lavendelhof in einer abgeschiedenen, vor den deutschen Bomben sicheren, ländlichen Gegend beheimatet ist. Der liberale Erziehungsstil in Koedukation spricht sie an, doch beginnt sie bald zu erkennen, warum alle hier die Schule nur „Krähennest“ nennen, denn nicht einmal in diesem geschützten Umfeld verläuft das Leben so friedlich, wie Leontes, der Prinzipal, es vorgibt.

Thema und Genre

Die Autorin lebte selbst von 1939 bis 1947 im Exil in Großbritannien und war dort als Mittelschullehrerin tätig. Begonnen hat sie diesen Roman 1944, beendet 1948. 1947 lehrt sie nach Österreich zurück, doch erst Ende 1951 findet sich ein Verleger für diesen Roman, in dem es um alle Aspekte eines Lebens im Exil geht, um Entwurzelung, Selbstzweifel und als Gegensatz Anpassung aus Bequemlichkeit geht. „Es ist unser Verhängnis – ist ein Attribut unseres Exils, daß wir immer im Vergangenen leben.“ (Zitat Seite 276).

Charaktere

Die Autorin wählt einzelne Figuren, denen sie durch die gesamte Handlung folgt und zeigt an ihnen die steten, zunächst kaum bemerkbaren Veränderungen, im kleinen, geschätzten Bereich der Schule und in der besetzten Großstadt Paris. Es geht um die vielen Formen von menschlichen Beziehungen, die Konflikte zwischen Abhängigkeit, Stillschweigen, Heuchelei, Selbsttäuschung, Enttäuschung, Freundschaft, Liebe und Verrat.

Handlung und Schreibstil

Die Autorin wechselt wiederholt zwischen den Erzähl- und Handlungsebenen. Sie wählt unterschiedliche Erzählformen, indem sie die Geschichte teilweise als Briefe, Zeitungsmeldungen, Rundfunkberichte, innere Monologe, Träume erzählt, dann wieder als allwissende Erzählerin berichtet und sogar mit ihren Figuren diskutiert. Die Sprache entspricht der Zeit, in der dieser Roman geschrieben wurde und ich hatte zunächst Mühe, mich in diese ausufernden, teilweise überschäumenden Schilderungen und langatmigen inneren Monologe einzulesen. Doch die Vielfalt der Themen und das weite Spektrum der Fragen im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dieser Zeit, metaphorisch und direkt, machen diesen Roman zu einer eindrücklichen, interessanten Lektüre, die zum intensiven Nachdenken anregt.

Fazit

Dieser lange vergessene Roman wurde 2021 von dem Wiener Verlag Edition Atelier neu herausgegeben und ist ein interessanter, wichtiger Beitrag der österreichischen Exilliteratur, nicht einfach zu lesen, doch es lohnt sich.

Gott aus Stroh – Frank Dommel

AutorFrank Dommel
Verlag GRAFIT
Erscheinungsdatum 21. Oktober 2021
FormatTaschenbuch
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3894256821

„Der Wald roch schon nach Herbst, obwohl noch keine Birke gelb trug. Die Landschaft bestand nur aus den notwendigsten Elementen, eine sparsame Malerei aus Immergrün, rotbraungrauen Erhebungen, einem kreidigen Himmel und dem Fjord, der glänzte wie gebläuter Stahl.“ (Zitat Seite 82)

Inhalt

Eigentlich wollte sich der Münchner Kriminaloberkommissar Falk Sebastiani in der Musikabteilung des Kaufhaus Beck nur genussvoll durch einige Jazz-Neuerscheinungen auf CD hören, doch er gerät in einen Terroranschlag, ist sofort im Einsatzmodus und erschießt die drei Attentäter, um weitere Tote zu verhindern. Seine Vorgesetzten legen ihm eine sofortige Auszeit nahe. Falk besitzt ein altes, entlegenes Ferienhaus in Norwegen. Auf dem Weg besucht er seine Ex-Frau, die mit der gemeinsamen Tochter Hannah, demnächst achtzehn Jahre alt, in Oslo lebt.  Falk will endlich seine Tochter sehen, die seit der Scheidung vor vier Jahren jeden Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Angeblich ist Hannah gerade in Madrid, doch plötzlich melden sich Entführer mit einer Lösegeldforderung, und zwar aus Norwegen. Auf der Suche nach seiner Tochter versinkt Falk immer tiefer in einem undurchsichtigen, verworrenen Fall, den zu lösen nicht seine Aufgabe war, und dessen mögliche Zusammenhänge ihm Angst machen.

Thema und Genre

Dieser Nordic Noir Roman ist mehr, als nur ein Kriminalroman, denn in diesem Genre geht es immer auch um gesellschaftskritische, soziale Aspekte, um die Probleme unserer modernen Gesellschaft. Themen in dieser Geschichte sind Beziehungen, Eltern-Kind-Konflikte, Drogen, das freie, genügsame Leben der Samen mit ihren Rentierherden, die Flüchtlingsproblematik auf der „Eisroute“ von Russland nach Norwegen, und die psychologischen Facetten von Schuld.

Charaktere

Falk Sebastiani ist ein sympathischer Ermittler mit persönlichen Problemen. Er hinterfragt sich selbst und sein Handeln bei diesem Anschlag in München, das jahrelange Schweigen seiner heranwachsenden Tochter belastet ihn. Als die aktuellen Ereignisse es erfordern, ist er sofort bereit, sich für seine Tochter einzusetzen, mit allen Konsequenzen und um jeden Preis. Der Autor nimmt sich Zeit für seine Figuren, zeichnet sie glaubwürdig und menschlich. Es sind lebensnahe Charaktere, deren Entscheidungen und Handeln sich wie im realen Leben in allen Schattierungen der Graubereiche bewegen.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt überwiegend im Nordosten von Norwegen, in der weiten, einsamen Natur der Finnmark. Bewusst habe ich diesmal als Zitat eines dieser poetischen Stimmungsbilder gewählt, das uns sofort in die spätsommerliche Landschaft Nord-Norwegens versetzt. Der Autor kennt Norwegen sehr gut und daher sind viele der Handlungsorte real und die online verfügbaren Bilder ergänzen unsere Phantasie mit Fotografien der Örtlichkeiten und Umgebung. Zwei Erzählstränge wechseln einander ab, der erste Erzählstrang schildert die Nachforschungen und aktuellen Erlebnisse von Falk, der zweite Erzählstrang trägt nach der jeweiligen Kapitelnummer Koordinaten, welche ebenfalls real sind und die abenteuerliche Flucht einer Flüchtlingsfamilie als Symbol unterstreichen, um die es in dieser Parallelgeschichte geht. Die Handlung ist durch die unterschiedlichen Problematiken facettenreich, durch ihre Figuren packend und wird anschaulich durch die erzählenden, ruhigen Beschreibungen ergänzt. Es ist dieses Gesamtbild, das uns Lesende bei und nach der Lektüre atemlos macht und zu vielen weiteren Gedanken anregt.

Fazit

Ein bunter, aber auch dunkler, vielschichtiger Nordic Noir Kriminal- und Gesellschaftsroman, ein beeindruckendes, packendes, überzeugendes Leseerlebnis.

Aphrodite und das rote Bild mit Pferden – Ralph P. Breuer

AutorRalph P. Breuer
Verlag Independently published
Erscheinungsdatum 2. Mai 2018
FormatKindle-Version
Seiten472 Seiten (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB07CTFT9SQ

„In der Reihe der aufgehängten Bilder gab es in unregelmäßigen Abständen vier leere Stellen an der Wand. Unterhalb dieser Stellen lehnten vier leere Rahmen an der Wand.“ (Zitat Seite 55)

Inhalt

Am 27. Februar 2017, einem Sonntag, explodiert in Köln in den späten Abendstunden vor der jüdischen Synagoge eine Autobombe. Fast zeitgleich damit findet ein Überfall auf den Schauraum der Galerie Gmarzunsky, bekannt vor allem für russische Avantgarde-Kunst, statt. Der Schauraum wird verwüstet und die Galerie selbst im noblen Stadtteil Marienburg bei einem Brandanschlag samt aller Werke bis auf die Grundmauern niedergebrannt. In dieser besonderen Nacht zum Rosenmontag werden auch einige Gemälde aus dem Museum Ludwig gestohlen, wobei ein Wachmann getötet wird und der zufällig anwesende Kunstmäzen, Stifter und Sammler Dr. Peter Ludwig entführt. Es muss einen Zusammenhang zwischen diesen Taten geben, da sind sich die Mitglieder  der Soko Ludwig der Kripo Köln unter der Leitung von Hauptkommissarin Charlotte „Charly“ Schmitz, fachlich unterstützt von Uta Klein, Kunsthistorikerin und Oberkommissarin des LKA Düsseldorf, rasch einig, doch welchen? Intensive Recherchen beginnen, denn „die Russen-Mafia“, das ist Charly als Antwort zu einfach und überzeugt sie nicht. Da muss noch mehr sein …

Thema und Genre

Der Autor selbst nennt dieses Buch einen „Kunst-Krimi aus der Welt des schönen Scheins“. Es ist ein Kriminalroman mit Regionalbezug, der in Köln spielt, dessen Kernthemen, bekannte Kunst-Sammlungen, Museen, die Kunstszene und das damit verbundene große Geschäft mit Kunst, jedoch international sind.

Charaktere

Charlotte Schmitz trägt ihren Spitznamen „Charly“ nicht grundlos, denn ihr Auftreten ist forsch, etwas rüde und sehr direkt. Sie ist eine unangepasste, aber erfahrene, hartnäckige Ermittlerin, die den Job, wie auch ihr Kollege Stefan Kubitza, von Grund auf gelernt hat. Rasch stellt sie fest, dass Uta Klein, die Ermittlerin aus Düsseldorf, einen ähnlich schrägen Humor hat, wie sie selbst, und so wird aus der anfänglichen Abneigung bald Teamgeist und sie ergänzen einander trotz ihrer Kabbeleien perfekt.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung verläuft chronologisch und wird durch Rückblenden ergänzt. Die Perspektive wechselt und stellt parallel unterschiedliche Figuren in den Mittelpunkt, was uns Lesenden teilweise einen Vorsprung gegenüber dem Ermittlerteam verschafft und die Geschichte facettenreich auffächert. Interessante Schilderungen aus den Bereichen Kunstszene und Finanzwelt, sowie lebhafte Beschreibungen der Eigenheiten und besonderen Stadtteile der Stadt Köln ergänzen die Ereignisse und die spannenden, vielschichtigen Ermittlungen. So folgen wir zum Beispiel Charly auf einem Spaziergang, den sie mit ihrer schon etwas dementen Mutter durch das Veedel unternimmt, wo sie früher gewohnt hatten und man sie immer noch kennt, weil dort die Nachbarschaft im positiven Sonne gepflegt wird. Dieser fiktive Kriminalroman basiert teilweise auf Ereignissen, die tatsächlich stattgefunden haben und die mit einer Ausnahme leicht veränderten Namen lassen sich klar zuordnen. Der Schreibstil ist salopp, allerdings hätte diese interessante Geschichte ein sorgfältiges Lektorat verdient, was, zumindest in dieser Kindle-Version, fehlt. Rechtschreibung, Übereinstimmung von Adjektiv und Substantiv, Zeichensetzung am Ende einer direkten Rede, sind, um in der Sprache der Kunst zu bleiben, dringend restaurierungsbedürftig.

Fazit

Ein interessanter, facettenreicher, unterhaltsamer Kunst-Krimi aus Köln.

Im Ruin – Barbara Kadletz

AutorBarbara Kadletz
Verlag Edition Atelier
Erscheinungsdatum 22. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten224
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3990650486

„Man kann auch an einem guten Ort auf einer Irrfahrt sein. Man irrt dabei halt nicht durch die Welt, sondern dreht sich immer auf der Stelle, permanent im Kreis herum.“ (Zitat Seite 73, 74)

Inhalt

Als David und Katharina das kleine Lokal im zehnten Wiener Gemeindebezirk von den alten Vorbesitzern übernehmen, liegt ihr Leben noch vor ihnen, denken sie. Jetzt ist David tot und Katharina. erst dreinundreißig Jahre alt, ist damit beschäftigt, das Leben im Andenken an ihn und die gemeinsame Vergangenheit weiterzuführen, sie funktioniert (meistens), und an weniger guten Tagen verlässt sie sich auf ihre Mitarbeiterin und beste Freundin Sabina. Ari ist auf der Flucht aus seinem Leben und landet durch Zufall in Wien. Schlaflos, erstaunt und verwirrt streift er durch Favoriten, diesen besonderen Bezirk, gleichsam eine Insel in der Großstadt, und entdeckt plötzlich diese kleine Bar „Ruin“ im Erdgeschoss eines ungewöhnlichen Hauses. Bekannt für den hervorragenden Kaffee, bietet das „Ruin“ seinen Gästen Frühstück ab siebzehn Uhr und dazu Getränke bis spät in die Nacht hinein. Es ist neunzehn Uhr, ein besonders gemütlicher Tisch in einer Nische ist frei und Ari hat Lust auf Frühstück, von nun an täglich, immer pünktlich um neunzehn Uhr.

Thema und Genre

In diesem Roman geht es um Veränderungen, die Suche nach einem neuen oder alten Platz im eigenen Leben, um Trauer, Verlust, Freundschaft und um Wien und ein typisches Grätzellokal, das für die unterschiedlichsten Menschen so etwas wie Geborgenheit und Heimat bedeutet.

Charaktere

Die Figuren dieser Geschichte sind moderne Großstadtmenschen. Einfühlsam und humorvoll lässt die Autorin sie auch unkonventionelle Wege gehen, während sie realistisch die Probleme und Konflikte schildert. Gerade weil sie bisher nicht Teil eines gemeinsamen Lebens waren, können Katharina und Ari einander unvoreingenommen begegnen und auch dort interessierte und kritische Fragen stellen, wo andere aus Rücksicht und Sorge dies nicht tun.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in Wien, genau gesagt, im zehnten Wiener Gemeindebezirk, und der Zeitrahmen umfasst weniger als ein Jahr, vom Spätsommer bis zum nächsten Frühling. Rückblenden in Form von Katharinas Erinnerungen ergänzen die aktuelle Handlung, in der auch immer die entsprechende Musik mitklingt. Die Sprache der Autorin ist modern, manchmal kantig, grantig, aber immer auch charmant, Eigenschaften, mit denen man auch Wien und das Wienerische beschreiben könnte. „Easy“, wie Katharina zu sagen pflegt.

Fazit

„Romantischer Dadaismus“, diesen Begriff erfinden Katharina und Ari in einem Dialog in Bezug auf ihre unterschiedlichen Strategien, wieder in das eigenen Leben zu finden, und besser kann man diese kluge, poetische Geschichte nicht beschreiben.

Das verlassene Haus: Der dritte Fall für Gamache – Louise Penny

AutorLouise Penny
Verlag Kampa Verlag
Erscheinungsdatum 29. Januar 2020
FormatKindle
Seiten520 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ÜbersetzungAndrea Stumpf
Gabriele Werbeck
ASINB082D3CP8Z

„Wir laden die Weisheit der Welt in unseren geweihten Kreis an, um uns zu schützen und zu führen und über unser Werk in dieser Nacht zu wachen, während wir dieses Haus von allen Geistern, die es besetzt halten, befreien.“ (Zitat Seite 74)

Inhalt

Der Frühling hält Einzug in Three Pines und das Dorf bereitet sich auf das Osterfest vor. In Gabri Dubeaus Pension trifft ein Feriengast ein, Jeanne Chauvet, ein Medium. Spontan plant Gabri eine Séance in Oliviers Bistro, doch diese wird unterbrochen. Plötzlich kommt das Gespräch auf das düstere Hadley-Haus. Auf Grund der vergangenen Ereignisse sind die Dorfbewohner überzeugt, dass dieses düstere Haus böse ist. Daher findet die nächste Séance am Ostersonntagabend direkt im Hadley-Haus statt, um das Böse endgültig zu vertreiben. Kerzen, Salz, ein geweihter Sesselkreis als sicherer Ort und dann plötzlich Schritte, ein Schrei und jemand fällt vom Sessel. Armand Gamache verbringt den Ostermontag mit der Familie, als seine Frau Reine-Marie den Artikel in der Zeitung entdeckt. Im alten Hadley-Haus in Three Pines ist jemand buchstäblich zu Tode erschrocken und Armand Gamache hat einen neuen Fall voller Rätsel und Geheimnisse.

Thema und Genre

In diesem dritten Fall von Armand Gamache geht es um Religion und Spiritualität in unterschiedlichen Formen, aber auch um Ängste, Intrigen, um Entscheidungen und ihre gravierenden Folgen. Themen sind aber auch Freundschaft, Liebe und der Zusammenhalt einer kleinen Dorfgemeinschaft.

Charaktere

Armand Gamache muss erkennen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie scheinen. Nicht in diesem neuen Fall und nicht in seinem Team. „Alles, was er bisher als gegeben betrachtet hatte, als Tatsache, als real und unbestritten, war zusammengebrochen.“ (Zitat 97). Doch Gamache gibt nicht auf, denn die Bedrohung richtet sich nicht mehr nur gegen ihn, er muss auch die Menschen schützen, die ihm nahestehen.

Handlung und Schreibstil

Die spannende, geheimnisvolle Geschichte wird chronologisch erzählt. Lebhafte Beschreibungen von Three Pines und dem Osterfest in diesem schönen, meistens gemütlichen Dorf, ergänzen die Handlung. Mit viel Humor und sehr anschaulich geschilderte Episoden und Dialoge der liebenswerten, teilweise etwas schrulligen Dorfbewohner sorgen für zusätzlichen Spaß beim Lesen. Parallel zu den Ermittlungen halten die bedrohlichen Vorgänge innerhalb der Sûreté Gamache in Atem. Auch hier fehlen ihm noch wichtige Fakten, bis es zum entscheidenden Showdown kommt.

Fazit

Ein neuer, geheimnisvoller Fall für Chief Inspector Armand Gamache, Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec. Auch dieser dritte Band der Serie überzeugt durch die Vielfalt der Themen und bringt spannendes Lesevergnügen.

Tief eingeschneit: Der zweite Fall für Gamache – Louise Penny

AutorLouise Penny
Verlag Kampa Verlag
Erscheinungsdatum 1. Oktober 2019
FormatKindle Ausgabe
Seiten464 (Print-Ausgabe)
SpracheDeutsch
ÜbersetzungAndrea Stumpf
Gabriele Werbeck
ASINB07VD7T97W

„Gamache wusste, dass dieses Rätsel, wie bei jedem Mord, vor langer Zeit begonnen hatte. Das hier war weder der Anfang noch das Ende.“ (Zitat Seite 91)

Inhalt

Three Pines ist ein kleines, verstecktes Dorf in den Eastern Townships, weniger als neunzig Autominuten von Montreal entfernt. Jetzt, während der Weihnachtszeit, ist alles mit einer dicken, weißen Schneedecke bedeckt. Einer der Höhepunkte der Aktivitäten der Dorfgemeinschaft während der Weihnachtstage ist das Curling-Turnier und vor allem der Moment zum Abschluss, wenn Mother das Haus räumt. Was damit gemeint ist, ist eines der vielen Rätsel, die auch Chief Inspector Armand Gamache, Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec, lösen will, denn genau in diesem besonderen Augenblick, als alle gebannt auf die Eisbahn schauen, passiert ein Mord.

Thema und Genre

Dieser Kriminalroman spielt in Kanada und ist der zweite Band aus der Serie um Chief Inspector Armand Gamache. Themen sind menschliches Verhalten, Erfahrungen und Gefühle, die Menschen prägen und Ermittlungen, die genau in diesen Konflikten die Hintergründe einer Tat suchen.

Charaktere

Es sind mit allen ihren Eigenheiten liebenswerte Figuren, die in dem verschlafenen, meistens friedlichen und gemütlichen kleinen Ort Three Pines leben. Armand Gamache fragt als Ermittler immer erst nach dem „Warum?“, später erst nach dem „Wer?“. Seine Antworten sucht er in der Vergangenheit und Gefühlen, die dort entstanden sind.

Handlung und Schreibstil

Die Handlung spielt in der aktuellen Zeit, in welcher der Roman geschrieben wurde, wird chronologisch erzählt. In den Büchern dieser Autorin geht es nie nur um eine Tat und die damit verbundenen Ermittlungen. Sie führt uns gleichzeitig auch mitten in das gesellschaftliche Dorfleben und ergänzt die Geschichte mit eindrücklichen Schilderungen von Landschaft, Natur und den Menschen mit ihren persönlichen Konflikten und Entscheidungen, vor die sie gestellt wurden und werden. Sie alle entwickeln sich weiter und wir folgen ihrem Weg in jedem Buch dieser Serie. Gleichzeitig zu den laufenden Ermittlungen verläuft eine Parallelgeschichte, da Gamache in der jüngeren Vergangenheit aus persönlicher Überzeugung eine Entscheidung getroffen die, welche die Sûreté intern in zwei Lager spaltet. Der Schreibstil der Autorin ist im Original sehr elegant und mit Vergnügen zu lesen, dagegen wirkt die deutsche Übersetzung leider etwas plump. Dies mag auch daran liegen, dass die englische Sprache feiner nuanciert, unterschiedliche Ausdrücke hat, um etwas genauer auszudrücken, wo die deutsche Sprache nur einen einzigen Ausdruck kennt und für weitere Definitionen zusätzliche Nebensätze braucht, oder aber darauf verzichtet. Wer englische Bücher auch in der Originalsprache liest, sollte dies bei Louise Penny unbedingt tun.

Fazit

Ein facettenreicher, packender Kriminalroman, der auch durch die Vielfalt der Themen und  kauzige, unkonventionelle Figuren überzeugt.

Die Überlebenden – Alex Schulman

AutorAlex Schulman
Verlag dtv Verlagsgesellschaft
Erscheinungsdatum 20. August 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten304
SpracheDeutsch
ÜbersetzerinHanna Granz
ISBN-13978-3423282932

 „Das ist der Schauplatz, so sieht es aus, ein paar kleine Gebäude auf einer Wiese, mit dem Wald dahinter und dem Wasser davor. Ein unzugänglicher Ort, heute ebenso abgeschieden wie früher.“ (Zitat Seite 10)

Inhalt

Benjamin, Pierre und Nils sind Brüder, die sich einander längst fremd geworden sind. Kurz nach dem Tod ihrer Mutter entdecken sie einen Brief, in dem ihre Mutter sich wünscht, dass sie ihre Asche in jenem See verstreuen, wo sie in einem Holzhaus die Sommer ihrer Kindheit verbracht hatten. Sie sagen das geplante Begräbnis ab und machen sich auf die Reise in jene abgelegene Gegend, zusammen mit ihren Erinnerungen an gute Tage mit ihrem Vater und an weniger gute Tage mit ihrer Mutter. „Die Reise, die sie zum Einschlagpunkt zurückbringen wird, rückwärts in ihrer Geschichte, Schritt für Schritt, um ein letztes Mal zu überleben. (Zitat Seite 298)

Thema und Genre

Im Mittelpunkt dieses Romans steht eine zerrüttete Familie, untere Gesellschaftsschicht, drei Kinder und ihre Eltern. Es geht um Kindheitserinnerungen und die daraus resultierende Lebenssituation von Erwachsenen.

Charaktere

Es sind interessante Figuren, aber keine sympathischen. Der Vater, der sich dann mit seinen Söhnen beschäftigt, wenn er sie zu Wettkämpfen gegeneinander auffordert, die Mutter, die vor allem ihre Ruhe haben will und ihre Drinks. Die drei Brüder, die versuchen, einander Halt zu geben, besonders Benjamin und Pierre, während Nils, der älteste, sich meistens in seine eigene Welt zurückzieht.

Handlung und Schreibstil

Sehr interessant und speziell ist die Art des Autors, diese Geschichte zu erzählen. Im Mittelpunkt der aktuellen Handlung steht Benjamin, der mittlere der drei Brüder, doch auch diese Rahmenhandlung verläuft nicht chronologisch. Unterbrochen wird sie durch seine Erinnerungen, die dann anschließend ausführlich geschildert werden, nun ist die Vergangenheit aktuelle Jetztzeit, wobei sich immer wieder Abweichungen zwischen der Realität und seinen Erinnerungen ergeben. Wir erfahren ergänzende Details und die teilweise etwas andere Sichtweise seiner Brüder. Auch der klare Schreibstil ist sehr gut zu lesen. Dennoch konnte mich dieser Roman nicht überzeugen. Die interessante Art, die Geschichte dieser Familie in Fragmenten und Zeitsprüngen zu erzählen, wird aufgehoben durch fehlende Spannung und Tiefe. Die Konflikte und Problematik ergeben sich aus gefühlsmäßigen Befindlichkeiten und den damit verbundenen psychologischen Elementen. Ein überraschendes Detail gegen Ende der Geschichte erklärt zwar manches, kann aber die Ereignisse in der Vergangenheit nicht verändern.

Fazit

Eine bis zur Trostlosigkeit beklemmende Familiengeschichte, Episoden und Fragmente einer Kindheit und die Erinnerung daran.      

DAS EULENTOR – Andreas Gruber

AutorAndreas Gruber
Verlag Luzifer Verlag
Erscheinungsdatum 30. November 2021
FormatBroschiert
Seiten370
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3958356214

„Denn bis auf einen verdammt tiefen, geometrisch exakten Schacht, ein paar Gesteinsproben, unheimliche Vogelgerippe und einer Menge vager Theorien haben wir nichts zu bieten.“ (Zitat Seite 177)

Inhalt

Im August 1911 bricht der junge Wiener Arzt und Schriftsteller Dr. Alexander Berger mit einer Gruppe von insgesamt sechs Personen in die Arktis auf. Mit im Team ist auch die Isländerin Marit Ragnarsdóttir, eine Kartografin. Ihr Ziel ist die Erkundung und Kartografierung von Spitzbergen. Am 11. August starten sie mit drei Hundeschlitten die Inselumrundung, dann schlägt das Wetter um. Sie müssen die Expedition abbrechen, zuvor jedoch entdecken sie einen geheimnisvollen Schacht. Schon im Frühjahr 1912 kehren sie zurück und errichten eine richtige Station auf dem Plateau, wo sie 1911 gescheitert waren. Ihr Ziel ist nicht mehr die Kartografierung, sondern die Erforschung dieses Schachts, dessen dunkle, noch rätselhafte Tiefe sie magisch anzieht und gleichzeitig in tiefe Angst versetzt. Im November 2021 kommt die Huskytrainerin Neele Tujunen in die inzwischen moderne, groß ausgebaute Forschungsstation. Sie hat das erste Tagebuch von Alexander Berger im Nachlass ihres Großvaters gefunden und will wissen, was damals passiert ist.

Thema und Genre

Vom Verlag als Horrorthriller eingestuft, ist dieses Buch gleichzeitig auch ein spannender Abenteuerroman. Es ist eine interessante Geschichte über naturwissenschaftliche Expeditionen und Entdeckungen. Sie spielt auf der arktischen Inselgruppe Spitzbergen.

Charaktere

Der Autor nimmt sich Zeit für seine unterschiedlichen Charaktere. Sie sind glaubhaft und ihre Handlunge nachvollziehbar, dadurch sind sie nahe an uns Lesenden und man fiebert gepackt mit. Alexander Berger und Marit Ragnarsdóttir sind eher skeptisch, während sein Freund, der Abenteurer Jan Hansen, und Ing. Gottfried Prehm wie Besessene sind, sie sehen diesen Schacht als persönliche Herausforderung, sich selbst als wissenschaftliche Pioniere. Hansen ist ungeduldig und emotional, Prehm der besonnene, rationale Wissenschaftler. Neele will 2021 unbedingt herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen ihrer Familie und dieser Geschichte gibt.  

Handlung und Schreibstil

Die Handlung ist in zwölf Teile gegliedert und wird in zwei unterschiedlichen Erzählsträngen und Zeitebenen erzählt. Die erste Geschichte, in personaler Erzählform mit Neele im Mittelpunkt, findet im aktuellen Jahr 2021 statt. Sie bildet die Rahmenhandlung für die zweite Geschichte, die Erlebnisse von Alexander Berger ab 1911, erzählt als Aufzeichnungen in der ersten Person. Die Ereignisse werden jeweils chronologisch geschildert und beide Zeitebenen wechseln einander ab. Diese Art des Erzählens passt perfekt zum Genre. Das Handlungstempo ist rasant und umfasst einerseits die wissenschaftlichen Erkenntnisse, logisch nachvollziehbare physikalische Überlegungen, Erfahrungen, andererseits die rätselhaften Ereignisse im Zusammenhang mit dem Schacht. Auch die Gefahren der Natur mit tiefer Kälte und Eis zwischen Mitternachtssonne und Dunkelheit sind so gut und eindrücklich beschrieben, dass wir uns sofort mitten in den Schneestürmen fühlen und uns das dunkle, mystische Grauen, das Ahnen von etwas Übernatürlichem, beim Hinabgleiten in den Schacht erfasst.

Fazit

Eine packende, interessante, sehr spannende Mischung aus Entdeckergeschichte, Abenteuerroman und Horrorthriller, ein großartiges Lesevergnügen. Ein Pageturner, perfekt für kalte, dunkle Winterabende, aber nicht nur für diese.

Das Salzfass – Simon Sailer

AutorSimon Sailer
IllustratorJorghi Poll
Verlag Edition Atelier
Erscheinungsdatum 22. Februar 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten128
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3990650462

„Nur dieses Salzfass war hier. Mitten im Lager stand es. Nicht einmal versteckt, ganz so, als hätte er es noch mitnehmen wollen.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Als die Antiquitätenhändlerin das Geschäft übernimmt, ist es vollkommen leer, sowohl der Geschäftsraum, als auch das Lager. Nicht ganz, im Lager steht ein einziger Gegenstand, ein altes Salzfass aus englischem Silber und Kobaltglas. Sie beobachtet den Mann, der ihr Geschäft betreten hat, schon seit einer Weile und spürt deutlich sein Interesse an dem Salzfass, also erzählt sie ihm die Geschichte dieses Gegenstandes. Schon sein Vater war Antiquitätenhändler gewesen und nach seinem Tod hat sein Sohn Maurice Demel das Geschäft übernommen. Eines Tages wird ihm ein Nachlass angeboten, das hübsche kleine Salzfass gehört dazu. Doch bald bemerkt Maurice, dass dieser Gegenstand geheimnisvolle Kräfte zu haben scheint, es ist nicht nur ein weißes Geflecht, das er zunächst für Salzreste hielt, das aber die Größe verändern kann und immer mehr auch in seine Gedanken zu dringen scheint und bald sein Leben bestimmt. Er will es verkaufen, notfalls auch verschenken, doch so einfach ist das nicht.

Thema und Genre

Diese Erzählung spielt im modernen Wien von heute und ist eine eigenwillige Version eines klassischen, phantastischen Schauerromans mit Ereignissen, für die es keine logische Erklärung gibt.

Charaktere

Maurice Demel ist ein erfolgreicher Antiquitätenhändler, bis sich dieses Salzfass in sein Leben drängt. Seine Hilflosigkeit diesem Phänomen gegenüber erzeugt auch beim Lesenden Beklemmung und gespannt folgen wir seinen Versuchen, sich irgendwie mit dem Ding zu arrangieren und es so rasch als möglich loszuwerden.

Handlung und Schreibstil

In der Rahmenhandlung begegnen wir einer gesprächigen, engagierten Antiquitätenhändlerin in ihrem ersten eigenen Geschäft in der Wiener Innenstadt. Sie ist überzeugt, sofort zu erkennen, ob ein Kunde kaufen will, oder sich nur umsieht. Als sich ein Kunde für das Salzfass zu interessieren scheint, beginnt sie, ihm die Geschichte ihres Vorgängers Maurice Demel zu erzählen, wobei nicht sicher ist, was sie darüber tatsächlich weiß und was sie erfindet, um das Objekt für den möglichen Kunden spannend zu machen. Diese Geschichte von Maurice, in deren Mittelpunkt das Salzfass steht, ist die Haupthandlung. Der Autor beginnt leise, mit einer Schilderung eines durchaus üblichen Geschäftsvorganges im Antiquitätenhandel. Stetig und rasch steigt dann die Spannung und sorgt für unvorhersehbare Situationen und eine völlig überraschende Wendung. Zahlreiche schwarz-weiße Illustrationen, passend zum Genre, ergänzen die Geschichte.

Fazit

Die moderne, facettenreiche Version eines klassischen Schauerroman, packend und beklemmend.

Mama – Jessica Lind

AutorJessica Land
Verlag Kremayr & Scheriau
Erscheinungsdatum 16. August 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten192
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3218012805

„Und da ist dieses vertraute Gefühl, gemeinsam einen Augenblick zu erleben, den sie gleich empfinden, anstatt Menschen auf zwei verschiedenen gedanklichen Kontinenten zu sein.“ (Zitat Pos. 100)

Inhalt

Josef und Amira verbringen einige Tage in einer einsamen Hütte im Wald. Josef hat dort die Sommer seiner Kindheit verbracht. Drei Tage Urlaub in der Natur, völlig abgeschieden, Zeit füreinander. Der Zeitpunkt ist von Amira bewusst gewählt, sie hofft, dass es endlich mit dem lang ersehnten Kinderwunsch klappt. Tatsächlich wird Amira schwanger und sechs Wochen vor der Geburt fahren die beiden wieder zur Hütte, Babymoon, der letzte Urlaub ohne Kind. Die nächsten Ferien folgen mehr als drei Jahre später, diesmal mit Tochter Luise, ihr Vater will ihr die Natur zeigen. Doch immer öfter gleitet Amira in unterschiedliche Zeit- und Wahrnehmungsebenen ab, die Grenzen zwischen Einbildung und Realität verschwinden.

Thema und Genre

In diesem Roman mit starken psychologischen Themen wie Ängsten, Realitätsverlust und Zwängen, geht es im die Veränderungen im Leben einer Frau, wenn sie Mutter wird, um den Schritt von Beziehung und Partnerschaft zur Familie. Im Laufe der Geschichte gleiten die Ereignisse durch übernatürliche, unerklärbare Wahrnehmungen ins Horrorgenre ab.

Charaktere

Amira ist keine sympathische Figur. Sie ist besessen von ihrem Kinderwunsch, was auch die Beziehung zu ihrem Ehemann Josef belastet. Dann wird sie zur Übermutter, will eine perfekte Mutter sein, gleichzeitig belasten sie Zweifel und Ängste, Andeutungen weisen auf das Gegenteil hin. Ständig hinterfragt sie sich selbst zwanghaft in ihrer Mutterrolle, ihre Tochter wird zum Mittelpunkt ihres Lebens, um den sich alles dreht.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird in vier übergeordneten Teilen erzählt. Im personalen Mittelpunkt steht immer Amira; ihr Ehemann Josef und ihre Tochter Luise bleiben Nebenfiguren. Weitere Hauptprotagonisten sind eine einsame Hütte am Waldesrand, der Wald selbst, ein altes Märchenbuch, das Josefs Vater vor vielen Jahren geschrieben hat, und eine Hündin, vor der Amira panische Angst hat. Was zunächst leise und alltäglich beginnt, wird rasch durch kurze Episoden und viele unterschiedliche Andeutungen surreal und beklemmend. Wir folgen der Hauptfigur Amira durch einige Jahre, wobei sie selbst immer öfter hinterfragt, in welcher Zeit- und Wahrnehmungsebene sie sich befindet, und wir Lesende fragen uns das ebenso. Das Leben ein Traum, der Traum ein Leben, die Autorin lässt uns mit dieser etwas wirren, unglaubwürdigen Geschichte und vielen losen Enden zurück, gibt uns damit jedoch viel Stoff zum Nachdenken. Ich habe diesen Roman mit dem Gefühl beendet, dass sich nicht nur die Hauptfigur Amira im dichten Gedankenwald dieser Geschichte verirrt hat, sondern irgendwann auch die Autorin.

Fazit

Eine beklemmende, packende, etwas wirre Geschichte, ein Beziehungsroman mit starken psychologischen Themen und Elementen aus dem Horrorgenre.

Winterschwimmer – Alexander Osang

AutorAlexander Osang
Verlag Aufbau Taschenbuch
Erscheinungsdatum 14. September 2018
FormatTaschenbuch
Seiten239
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3746634913

„In einer kleinen Lichtung entdeckte er im Mondlicht einen unwirklich schönen Baum. Schwarz wie ein Scherenschnittweihnachtsbaum aus einem Kinderbuch.“ (Zitat aus „Weissenseer Wölfe“, Seite 36)

Inhalt

Der Autor schreibt seit 1995 jedes Jahr eine Weihnachtsgeschichte. Dieses Buch enthält vierzehn von diesen Erzählungen, darunter auch die Geschichte „Winterschwimmer“, die dieser Sammlung den Namen gab.

Thema und Genre

Alle Geschichten spielen in und um Berlin in den Tagen rund um Weihnachten und es geht um die an diesen Feiertagen immer präsenten Themen wie Familie, Ehe und Beziehungen in allen Facetten, doch auch Ost-West und damit verbundene Erinnerungen tauchen auf. Hier geht es um mehr, als die  bekannten Schilderungen von fröhlichen, romantischen, üppigen Weihnachtsfeiern.

Handlung und Schreibstil

Es sind Momentaufnahmen von alltäglichen Ausgangssituationen und den folgenden Erlebnissen, vom Aussuchen des perfekten Baumes bis zu den Familienfeiern und Traditionen, die jedes Jahr Menschen zusammenführen, die einander kaum mehr etwas zu sagen haben. Es sind keine besonders fröhlichen, glücklichen Tage, wir erleben Protagonisten in Momenten des Scheiterns, manchmal der Resignation, Verzweiflung, aber auch des Umdenkens. Oft ist es ein unvorhersehbarer, kleiner erster Schritt, der eine mögliche Veränderung andeutet. Ob es den Figuren gelingt und wie es weitergeht, das überlässt der Autor unserer eigenen Phantasie. Es sind Geschichten in einer klaren, personalen Erzählsprache, mit jeweils einer Hauptfigur im Mittelpunkt. Der Autor ist ein präziser Beobachter der kleinen und weniger kleinen menschlichen Schwächen und Eitelkeiten und findet seine Geschichten mitten im täglichen, realen Leben.

Fazit

Eine Sammlung von vierzehn Erzählungen, die in der Weihnachtszeit spielen und deren  facettenreiche Themen, Protagonisten und Ereignisse aus dem Alltag gegriffen sind, wir haben die jeweilige Situation sofort bildhaft vor Augen und in unseren Gedanken. Geschichten für entspannte Lesestunden, zum Nachdenken, perfekt für diese besondere Zeit des Jahres.

Wintergeschichten – Anton Čechov

AutorAnton Čechov
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 18. Oktober 2019
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ÜbersetzungPeter Urban
ISBN-13978-3257070767

„Von unseren Füßen bis hinab zur Erde erstreckt sich eine abschüssige Fläche, in der sich die Sonne betrachtet wie in einem Spiegel. An unserer Seite ein kleiner Schlitten, mit hellrotem Stoff ausgeschlagen.“ (Zitat Seite 17)

Inhalt

Dieses Buch enthält fünfundzwanzig Erzählungen von Anton Čechov. Es sind Geschichten, die in der Winterzeit spielen. Von der Entstehung her finden wir in dieser Sammlung frühe Erzählungen, entstanden zwischen 1880 und 1887, und Texte aus den späten Schaffensjahren von 1889 bis 1903.

Thema und Handlung

In diesen Geschichten, geschrieben in einer klaren Erzählsprache, erleben wir Schlittenfährten durch den tiefen Schnee und die Kälte des russischen Winters, aber auch fröhliche, üppige Feste zwischen gesellschaftlichen Pflichten und diversen Wirrnissen und persönlichen Eitelkeiten. Auch die tiefe Kluft zwischen Armut und Reichtum ist ein Thema dieser Geschichten, die eines gemeinsam haben: sie alle spielen in der einsamen, winterlichen Landschaft, in abgelegenen Dörfern und Kleinstädten der russischen Provinz. Es ist eine interessante Vielfalt von Charakteren und ihren Erlebnissen, von Alltagssituationen, Verhalten und Gefühlen, die Čechov aufzeigt, in einer Bandbreite zwischen komisch, traurig und hoffnungsvoll, aber immer knapp und realistisch. Oft ist es nur eine Episode, das Ende ist offen. Ausgewählt wurden die Erzählungen von Christine Stemmermann, wobei mir auch die Reihenfolge besonders gut gefällt, es beginnt mit Schlittenfahrten zu Winterbeginn, führt zu den besonderen Tagen vor Weihnachten, zum Fest selbst und schließt mit dem Jahreswechsel, den ersten Tagen des neuen Jahres. Der letzte Text, „“Die Dame mit dem Hündchen“, spielt zu Beginn im Sommer und ist eine seiner bekanntesten Geschichten. Alle Geschichten wurden von Peter Urban neu übersetzt und sind überzeugend angenehm zu lesen.

Fazit

Eine interessante, stimmungsvolle Sammlung von fünfundzwanzig Erzählungen von Anton Čechov, die uns in kalte, schneereiche russische Winter Ende des 19. Jahrhunderts entführen.

Der rote Raum: Ein Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss – Roman Voosen, Kerstin Signe Danielsson

AutorRoman Voosen
AutorinKerstin Signe Danielsson
Verlag KiWi-Taschenbuch
Erscheinungsdatum 7. Oktober 2021
FormatTaschenbuch
Seiten432
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3462001631

„Einen vergleichbaren Fall kenne ich nicht und ich habe nicht die geringste Ahnung, womit wir es hier zu tun haben.“ (Zitat Pos. 637)

Inhalt

Ingrid Nyström, Hauptkommissarin in Växjö und für die Region Kronoberg zuständig, ermittelt in einem beklemmenden Mordfall: Adam Arlemark, Unternehmensberater, alleinstehend, wird in seinem Appartement tot aufgefunden. Im Brustkorb der Leiche fehlt das Herz, es wurde durch einen besonderen Stein ersetzt. Ein neuer Fall von Kannibalismus? In diesem Fall müsste man mit einem Serientäter rechnen, doch wie passt der Stein ins Bild? Stina Forss, Stockholm, wird nach einem kritischen Alleingang in einem Einsatz ein neuer Fall zugeteilt. In Kiruna, im hohen Norden, wurde Matti Leinonen von einer Hebebühne zerquetscht. Ein Arbeitsunfall, denn die Hebebühne war alt, schlecht gewartet und der Mechaniker war allein in der von innen verschlossenen Werkstätte. Doch dann beweist ein Indiz, dass es kein Unfall, sondern Mord war, ein Mord, der Stina Forss und der Polizei Kiruno eine Reihe von Rätseln aufgibt.

Thema und Genre

Dieser Kriminalroman spielt in Schweden und ist der neunte Fall der Serie „Die Kommissarinnen Nyström und Forss ermitteln“.

Charaktere

Die Kommissarinnen Ingrid Nyström und Stina Forss, die früher ein Team waren, ermitteln nun voneinander unabhängig, denn Stina Forss hatte sich nach Stockholm versetzen lassen. Es sind Ermittlerinnen, die auch in ihrer eigenen Geschichte gefangen sind, besonders Stina ist eine unangepasste Einzelgängerin.

Handlung und Schreibstil

Die beiden Ermittlungen verlaufen unabhängig voneinander und werden in zwei Handlungssträngen abwechselnd geschildert. Parallel dazu wird eine dritte Geschichte erzählt, andere Personen, ein anderes Setting und man ist gespannt, wann sich hier ein Zusammenhang ergeben wird. Sehr interessant sind die Schilderungen der Landschaft und Menschen in und um Kiruna am nördlichsten Teil von Schweden. Die straffe, knappe Zeitrahmen, eine Woche von Samstag bis Samstag, wird durch Rückblicke erweitert. Die vielen unterschiedlichen Themen wie verstörende Morde, persönliche Befindlichkeiten, Spuren in die Red Rooms des Darknet, Psychologie und Sozialkritik machen sie facettenreich, obwohl gerade diese Vielschichtigkeit manchmal den Spannungsbogen unterbricht. Die Intention, weiterhin beide Ermittlerinnen in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen, ist im Rahmen der Serie verständlich, führt aber zu etwas konstruiert wirkenden überraschenden Wendungen und Zusammenhängen.

Fazit

Dieser facettenreiche, düstere Kriminalroman ist der neunte Fall einer Serie, die in Schweden spielt und in deren Mittelpunkt zwei eigenwillige Ermittlerinnen stehen.

Jane Austen und die Kunst der Worte – Catherine Bell

AutorCatherine Bell
Verlag Aufbau Taschenbuch
Erscheinungsdatum 15. November 2021
FormatTaschenbuch
Seiten376
SerieAußergew. Frauen zw. Aufbruch u. Liebe
SpracheDeutsch
ISBN-13‎978-3746637686

„Was immer ihr geschah, sie hatte einen Ort, an den sie gehen konnte. In ihre Welt, jene, die sie anderen nahebringen konnte, indem sie beschrieb, was sie dort hörte, was sie sah, was die darin lebenden Figuren empfangen.“ (Zitat Seite 76)

Inhalt

1795 ist Jane Austen zwanzig Jahre alt. Sie wächst als eines von acht Kindern einer englischen Pfarrerfamilie im ländlichen Raum auf. Ihr zurückgezogenes Leben wird unterbrochen von Einladungen und Bällen auf den umliegenden Landgütern, denn Jane liebt es zu tanzen. Doch mehr als alles andere liebt Jane das Schreiben, ihre Figuren, die plötzlich in ihren Gedanken auftauchen und ihre Geschichten erzählen. In diesem Dezember 1795 hat Jane Austen viele Träume, sie träumt davon, sich zu verlieben, doch vor allem träumt sie davon, Schriftstellerin zu werden und einen Roman zu schreiben, den eines Tages ein Verleger veröffentlicht.

Thema und Genre

In diesem biografischen Roman geht es um das Leben der Schriftstellerin Jane Austen und die Entstehung ihrer Romane.

Charaktere

Jane Austen war, wie auch ihre Romanheldinnen, eine für die damalige Zeit modern denkende Frau. In einer Zeit, als eine Frau auf eine möglichst gute Partie angewiesen war, einen Ehemann, der sie finanziell versorgte und so ihre Stellung in der Gesellschaft sicherte, sah sie genau diesen Weg mit Skepsis. Für sie waren das Schreiben und ihre Unabhängigkeit das Wichtigste im Leben.

Handlung und Schreibstil

Der Roman umfasst drei Teile. Der Prolog nimmt ein für Jane Austen wichtiges Ereignis im Jahr 1815 vorweg. Der Haupthandlungsstrang beginnt im Jahr 1795 und schildert Jane Austens Leben auf dem Land mit ihrer Familie und die geselligen Kontakte mit den befreundeten Nachbarn. Es ist das Setting, das sie auch in ihren Romanen verwendet und in dem sie tatsächlich lebt. Ein zweiter Strang, der mehrmals die chronologisch erzählten Jahre unterbricht, schildert Ereignisse in den späteren Jahren und hat die ersten Schritte zur Veröffentlichung ihrer Romane zum Thema. Mit einem Epilog 1815 mündet die Geschichte dann direkt wieder in den Prolog und führt diesen fort. Eine abwechslungsreiche, interessante Wahl, einen biografischen Roman zu erzählen. Die Sprache nähert sich teilweise dem Schreibstil Jane Austens an, ist aber an manchen Stellen unpassend salopp. Bei einem Tee mit ihrer besten Freundin lesen wir „Jane angelte sich einen Scone“ (Zitat Seite 25) und bei Bällen „quetscht“ sie sich des Öfteren durch plaudernde Menschengrüppchen.

Fazit

Ein unterhaltsamer Roman, in dessen Mittelpunkt die englische Schriftstellerin Jane Austen steht. Was wir über Jane Austen wissen, resultiert aus insgesamt nur 161 Briefen, die noch erhalten sind, und einer ersten Biografie aus dem Jahr 1869, die ihr Neffe James Edward Austen-Leigh verfasst und herausgegeben hat. Dies lässt der Autorin Catherine Bell viel Freiraum für die eigene Phantasie und frei erfundene zusätzliche Ereignisse, die sie uns in dieser Geschichte erzählt, die mehr ein romantischer Roman ist, als biografisch.

Februar 33: Der Winter der Literatur – Uwe Wittstock

AutorUwe Wittstock
Verlag C.H.Beck
Erscheinungsdatum 10. November 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten288
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3406776939

 „Für die Zerstörung der Demokratie brauchten die Antidemokraten nicht länger als die Dauer eines guten Jahresurlaubs. Wer Ende Januar aus einem Rechtsstaat abreiste, kehrte vier Wochen später in eine Diktatur zurück.“ (Zitat Seite 273)

Thema und Inhalt

Dieses Buch handelt von diesem besonderen Schicksalsmonat Februar 1933, in dem sich die Zukunft Deutschlands und der Menschen entscheidet. Wie schon aus dem Titel zu ersehen, geht es in diesem Buch um die blühende kulturelle Vielfalt, die bis zu diesem Jahr 1933 in Deutschland anzutreffen war. Am Beispiel der Literatur schildert der Autor die Situation von bekannten Schriftstellern und Schriftstellerinnen, aber auch von Verlegern, Journalisten und mit diesem Kreis befreundeten Künstlern. Sie alle müssen Entscheidungen treffen, in manchen Fällen muss dies sehr schnell geschehen, da den ersten brennenden Büchern rasch auch Verhaftungen folgen.

Umsetzung

Das Buch beginnt mit dem Presseball in Berlin am 28. Januar 1933 und den zu diesem Zeitpunkt noch unterschiedlichen Meinungen zu der drohenden Gefahr durch die Machtübernahme der NSDAP. Zwei Tage später ist es Realität. Der Autor schildert die Ereignisse in Form eines Tatsachenberichts, jedem Tag ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dessen Mittelpunkt jeweils eine oder mehrere Persönlichkeiten stehen, deren Leben und Entscheidungen während dieser Tage fortlaufend dokumentiert werden. Jedes Kapitel endet mit kurzen täglichen Meldungen aus Tageszeitungen über Zusammenstöße zwischen den politischen Gruppierungen, Gewalttaten mit Toten.

Es sind bekannte Schriftsteller und Künstler, die als Beispiele für die gesamte Situation in diesem Bericht auftreten, Namen wie Berthold Brecht, Thomas, Heinrich, Klaus und Erika Mann, Mascha Kaléko, Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin. Doch auch die Haltung der Akademie der Künste in Berlin ist ein Thema.

Der Bericht endet mit Mittwoch, dem 15. März 1933. Es folgen insgesamt dreiunddreißig kurze Schilderungen, wie es im Leben der jeweiligen Persönlichkeiten weiterging. Dem Nachwort folgen eine Liste der verwendeten Literatur und ein Personenverzeichnis. Die genaue, ausführliche Recherche, die auch Briefe, Tagebücher und Aufzeichnungen umfasste, geben einen anschaulichen Einblick in diese Zeit, die Ungewissheit und Zweifel dieser Schicksalstage, die wachsende Angst, die Erkenntnis der drohenden Lebensgefahr, die Flucht oft im letzten Augenblick. Im Gegensatz dazu die Entscheidungen von Kulturschaffenden, sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren.

Fazit

Ein sehr eindringliches, beklemmendes Buch, mit der packenden Intensität eines Tatsachenromans und der Spannung eines Kriminalromans.

Die Enkelin – Bernhard Schlink

AutorBernhard Schlink
Verlag Diogenes Verlag
Erscheinungsdatum 27. Oktober 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten368
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3257071818

„Ich will keines dieser nicht gelebten Leben. Aber ich kann sie nicht von mir abtun. Meine nicht gelebten Leben sind mein wie mein gelebtes.“ (Zitat Seite 58)

Inhalt

Am 17. Mai 1964 lernen sie einander in Ostberlin kennen, Birgit aus dem Osten und Kaspar aus dem Westen, der für dieses Sommersemester nach Berlin gezogen ist. Sie verlieben sich, Kaspar ist bereit, nach Ostberlin zu ziehen, doch Birgit will in den Westen. Am 16. Januar 1965 landet sie in Tempelhof. Nun, nach fünfzig Jahren Ehe, ist Birgit tot und in ihren Entwürfen für einen Roman über ihr Leben entdeckt Kaspar eine völlig andere Frau, als er gekannt hat. Bei ihrer Flucht hat sie ihre kleine Tochter zurückgelassen, wollte sie suchen, hat es immer wieder hinausgeschoben. Kaspar begibt sich auf diese Reise in die Vergangenheit und findet die vierzehnjährige Sigrun, Birgits Enkelin. Können eine Vierzehnjährige, die in einem Dorf nach der Ideologie einer völkischen Gemeinschaft aufgewachsen ist und der ruhige, introvertierte Buchhändler eine gemeinsame Basis finden, einander kennenzulernen?

Thema und Genre

In diesem Generationenroman, Coming-of-Age-Roman, Beziehungsroman, geht es um drei Frauen aus drei Generationen, prägende Entscheidungen, die das Leben eines Menschen beeinflussen, zeitgeschichtliche und politische Themen wie Ostdeutschland-Westdeutschland, nationalistische, völkische Lebensformen in Deutschland heute. Auch die unterschiedlichen Ideen, beinahe verlassene ländliche Gebiete und Dörfer wieder mit Leben und Zukunftsperspektiven zu füllen, ist ein Thema.

Charaktere

Im Mittelpunkt dieses Romans stehen die Menschen. Birgit, die eine Entscheidung getroffen hat, ihr Leben mit immer präsenten Schuldgefühlen, ihr Schweigen darüber. Kaspar, der ruhige, intellektuelle Buchhändler, dessen ganzes Leben nach dem Tod seiner Frau Birgit durch ihre Aufzeichnungen plötzlich zu einem „Vielleicht“ wird. Auf der anderen Seite Birgits Tochter Svenja und deren Tochter Sigrun, die Kinder und Enkel der ehemaligen DDR-Bürger, ihre Träume, ihre Werte, manchmal ihr Scheitern.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte wird in drei Teilen erzählt. Im ersten Teil wird die Beziehung zwischen Kaspar und Birgit kurz personal mit Kaspar als Mittelpunkt geschildert, daran anschließend wird Birgits Leben ausführlich erzählt, in Ich-Form, da es sich um ihre persönlichen Aufzeichnungen und Unterlagen zu ihrem geplanten Roman handelt. Der zweite Teil ist zugleich der Hauptteil. Kaspar begibt sich auf die Spurensuche, trifft unterschiedliche Personen aus Birgits früherem Leben und schließlich Sigrun, Birgits Enkelin, die auch für ihn zur Enkelin wird. Vorsichtig nähern sich die beiden so unterschiedlichen Personen und Generationen einander an. Der dritte, abschließende Teil spielt zwei Jahre später. Die Sprache erzählt leise und schildert eindrücklich.

Fazit

Ein facettenreicher Roman mit zeitlos aktuellen Themen. Die Konflikte und Suche nach Lösungen und Wendungen der einfühlsam geschilderten Figuren geben der Geschichte Intensität und Spannung und regen zum Nachdenken an.

Mente Alienari – Monika Grasl

AutorMonika Grasl
Verlag PUPUT BOOKS
Erscheinungsdatum 8. November 2020
FormatKindle-Ausgabe
Seiten232 (Printausgabe)
SpracheDeutsch
ASINB08N1259XG

„Erst ein paar Stunden im Amt, noch keine Belagerer in Sichtweite, aber schon ein Mordopfer im Morast.“ (Zitat Pos. 291)

Inhalt

An diesem ersten April 1683, irgendwann gegen Mitternacht, stirbt der erst achtzehnjährige Toni Steiner in einer dunklen Gasse. Er ist allein, nur ein Fuchs beobachtet ihn. Am zweiten April 1683 wird Florentinus Moser von seinem Platz bei der Stadtwache abgezogen. Er muss jetzt für die Sicherheit in Hernals sorgen, denn die Osmanen rücken näher. Doch zunächst will er diesen Mord aufklären und gemeinsam mit dem Bader Alois Wolf macht er eine interessante Entdeckung. Da geschieht ein zweiter Mord.

Thema und Genre

Dieser historische Kriminalroman spielt zwischen April und Juli 1683 in Hernals, damals noch ein eigenständiges Gemeindegebiet weit außerhalb der Stadtmauern von Wien. Es geht nicht nur um die Mordfälle, sondern um das Leben der einfachen Menschen, Armut und Gewalt sind allgegenwärtig. Zuvor protestantisch, ist die Ortsgemeinde nun dem Domkapitel von St. Stephan und somit der Macht der katholischen Kirche unterstellt.

Charaktere

Die einzelnen Figuren wirken absolut authentisch, was die genaue Recherche erkennen lässt. Hier gibt es keine eleganten Ermittler mit gehobenem Lebensstandard, denn das hätte nicht in das Hernals des 17. Jahrhunderts gepasst. Florentinus Moser und Alois Wolf sind aus unterschiedlichen Gründen absolut keine Freunde der Kirche und denken fortschrittlich. In Lukas Gruber, Pfarrer von Hernals, aber keineswegs aus christlicher Überzeugung, haben sie einen erbitterten Gegner.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte beginnt Anfang April 1683, während der Fastenzeit, der Ostersonntag war in diesem Jahr der 18. April, und endet am 12. Juli 1683, als die Osmanen Wien erreichten. Es ist eine facettenreiche Geschichte, in der es um die Schicksale und Lebensumstände der Menschen in dieser Zeit geht, die Taten entstehen aus nachvollziehbaren Motiven und stehen jeweils mit aktuellen Ereignissen in Verbindung. Die Autorin bringt auch Elemente des Schauerromans, des  möglichen Übernatürlichen in die Handlung ein, was dem Geschehen einen spannenden weiteren Aspekt verleiht. Die Sprache ist in der Ausdrucksform der Zeit angepasst, ohne jedoch bemüht zu wirken, sie bleibt angenehm locker und sehr gut lesbar.

Fazit

Ein vielschichtiger Kriminalroman, der 1683 vor den Toren von Wien spielt, in einer Zeit, die geprägt ist von Armut, Gewalt und den immer näher rückenden Osmanenheeren. Die Figuren und die Schilderungen spiegeln ein authentisches, nicht romantisiertes Bild der Zeit und des täglichen Lebens rund um Wien wider. Ein interessantes, spannendes und unterhaltsames Lesevergnügen, das, obwohl die Handlung im Frühjahr spielt, perfekt in die momentanen dunklen, nebeligen Novembertage passt.

Die wärmste aller Farben – Grégoire Delacourt

AutorGrégoire Delacourt
Verlag Atlantik Verlag
Erscheinungsdatum 1. November 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten256
SpracheDeutsch
ÜbersetzungKatrin Segerer
ISBN-13978-3455011715

„Er lebt in einer Welt, in der wir beide, du und ich, unseren Platz haben. Einer Welt der Bäume und des Winds, der klugen Worte, einer Welt, in der Wut, Gewalt, das Böse nicht existieren.“ (Zitat Pos. 897)

Inhalt

Geoffrey Delatte lebt in seiner eigenen Welt, in die er sich zurückzieht, weil ihm der Lärm und die Einflüsse um ihn herum zu viel werden. Seine Mutter Louise liebt ihn, versucht ihn zu verstehen, seine eigene, präzise Ordnung, sein Weltbild aus Zahlen und aus Farben, seine Liebe zur Natur. Sein Vater Pierre war, als die Welt noch in Ordnung war, Maschinenführer in einer Papierfabrik, dann wurde er arbeitslos, bekam eine Teilstelle als Nachtwächter. Als die Gelbwestenproteste beginnen, ist Pierre Delatte dabei. Sein stiller Sohn Geoffrey ist in der Schule ein gemobbter Außenseiter, bis sich eines Tages in der Pause die zwei Jahre ältere Djamila neben ihn setzt und Geoffreys Leben sich für immer verändert. Ihre Freizeit verbringen sie im Wald des alten Einzelgängers Hagop Haytayan, wo Geoffrey Djamila die Natur erklärt, ein stiller, magischer Ort, doch kann er die drei Außenseiter vor der Realität dieser Tage schützen?

Thema und Genre

Dieser Roman ist vielseitig, es ist ein Familienroman, Gesellschaftsroman, Coming-of-Age-Roman. Themen sind Ausgrenzung, ASS, Migration, Radikalisierung, Sozialkritik aber auch Freundschaft, die stille Schönheit der Natur und die Liebe.

Charaktere

Geoffrey ist dreizehn Jahre alt und lebt seit seiner Geburt in seiner eigenen, genau geordneten Welt.  Man müsste nur zuhören, um ihn zu verstehen, und die zwei Jahre ältere Djamila und der alte Hagop Haytayan hören ihm zu. Der Autor zeichnet seine Figuren mit Empathie, auch die zornigen Gelbwesten, erklärt ihre Hintergründe, zeigt ihnen aber auch neue Möglichkeiten, lässt ihnen eine Wahl in ihren Entscheidungen.

Handlung und Schreibstil

Diese Geschichte ist ein Zeitbild von Frankreich und Paris während der intensiven Phase der zornigen Gelbwesten-Proteste. „Siebzehn Jahre später streifte sich die Verzweiflung neongelbe Warnwesten über. Jetzt bemerkte man sie schon von Weitem.“ (Zitat Pos. 149) Einfühlsam schildert der Autor die Hintergründe, seine Figuren stehen für Schicksale, die keine Einzelschicksale sind. Er erzählt das Leben seiner Hauptprotagonisten chronologisch, parallel, denn die Ereignisse finden gleichzeitig statt. In dieser Welt der Radikalisierung in alle Richtungen und Aufstände finden wir eine zweite, kleine Welt, leise und poetisch durch die Liebe zur Natur und das tiefe Verständnis zwischen drei Menschen, alle eine Form von Außenseitern. Der Autor ist ein wunderbarer Erzähler, dessen Sprache beeindruckt. Jedes Kapitel trägt als Überschrift eine bestimmte Farbe, die auch den Inhalt widerspiegelt.

Fazit

Eine facettenreiche, gesellschaftskritische, aktuelle Geschichte, einfühlsam, eindringlich und poetisch erzählt.

Hexenweib: Ein Zeitreiseroman – Marie von Stein

AutorMarie von Stein
Verlag tredition
Erscheinungsdatum 1. November 2021
FormatGebundene Ausgabe
Seiten272
SpracheDeutsch
ISBN-13978-3347406940

„Bis zu dieser unruhigen Zeit, in der die Kunst zu heilen und der Wunsch zu helfen schon mal voller Neid beobachtet wurde. Von denen, die solche Fähigkeiten nicht verstanden.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt

Auch wenn Anna Callendorp nach einer verleumderischen Anklage auf ihren Adelstitel und weite Ländereien ihres verstorbenen Vaters verzichten musste – der Meierhof ihrer Großeltern ist ihr geblieben und sie baut nun auf den Rat ihrer Zofe und Freundin Juliette erfolgreich Raps an. Doch dann die Hiobsbotschaft: Juliette, die kräuterkundige Heilerin, wurde verhaftet und ist der Hexerei angeklagt. Im Jahr 1670 bedeutet dies den Scheiterhaufen.

Im Jahr 2020, mitten in der Pandemie, hat Inge Süvern, die Großtante von Susanna Kallens Freund Thomas, einen schweren Verkehrsunfall. Doch trotz dieser Sorgen zögert Susanna nicht, als sie plötzlich, wie schon ein Jahr zuvor, einen Wolf sieht. Sie folgt ihm zum Elfenborn, denn sie spürt, ihre Ahnin braucht wieder ihre Hilfe und die Zeit drängt!

Thema und Genre

Auch dieser zweite Roman der Zeitreise-Serie „RegenbogenReigen“ verbindet die Geschichte des Kalletals im 17. Jahrhundert mit Ereignissen in dieser schönen Region im Jahr 2020. Es geht um die historischen Hexenverfolgungen in einer Zeit, die geprägt ist von Aberglaube und Verleumdung. Es geht aber auch um die zeitlos aktuelle Unterdrückung von Frauen, und um Familiengeheimnisse, die ein Leben zerstören können.

Charaktere

Susanna Kallen ist eine moderne junge Frau. Ein magisches Band scheint sie mit ihrer Vorfahrin Anna Callendorp zu verbinden. Beide sind selbstbewusst, etwas eigensinnig und in Notsituationen sehr mutig und erfinderisch.

Handlung und Schreibstil

Die Geschichte spielt in unterschiedlichen Jahrhunderten, wobei die Ereignisse gleichzeitig stattfinden und abwechselnd oder vernetzt erzählt werden. Die einzelnen Kapitel tragen die jeweilige Jahreszahl als Überschrift, doch auch die Sprache ändert sich, passt perfekt zum historischen Hintergrund. Ein dritter Erzählstrang führt in die nähere Vergangenheit und erklärt die Hintergründe einer bestimmten Situation in der Gegenwart. So ergibt sich eine interessante, abwechslungsreiche Geschichte, in der man sich durch die lebhaften Beschreibungen beim Lesen rasch ebenso zu Hause fühlt, wie im Tal der Kalle mit den prächtigen Regenbogen, Wölfen und Wäldern, in denen auch magische Ereignisse möglich scheinen.

Fazit

Ein facettenreicher Roman mit Regionalbezug, der eine magische Landschaft und ihre Geschichte mit zeitlos aktuellen Themen verbindet.

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